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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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scheu Offiziere und Militärbeamten belief sich noch am 22. November 181? laut
eines dem damaligen Generalgouvemeur von dem Stadtrache überreichten Verzeich¬
nisses auf 177.

Wenn nun Reil in dem erwähnten Bericht sagt, daß mau die Kranken an
Orte niedergelegt habe, welche er der Kausmännin nicht für ihr krankes Moppel
anbieten möchte, und sie zum Theil in dumpfen Spelunken lagen, so läßr sich
diese Bezeichnung nur auf den allerdings dunkeln Wollbodcn und einigermaßen,
jedoch in weit geringerem Maße, auf den Tuchboden anwenden. Alle übrige
oben benannte Localitäten sind keineswegs geeignet, mit dieser Benennung belegt
zu werden. Eben so unwahr ist nach dem Vorangefübrten die Aeußerung Neit's,
daß bei dem Mangel öffentlicher Gebäude auch uicht ein einziges Bürgerhaus den
gemeinen Soldaten zum Spitale eingeräumt worden sei. Daß die Kirchen gerade
nicht passende Baulichkeiten sind, um zu Hospitäler angewendet zu werden, ist
wohl zuzugeben, allein die Nothwendigkeit zwang dazu, und es war damals noch
uicht so kalt, daß der Aufenthalt daselbst unbedingt tödtlich hätte werden müssen ;
auch war, so weit möglich, durch aufgestellte Oefen für deren Erwärmung gesorgt.
Was aber die scheibenloscn Schulen anlangt, so war bis nach der Schlacht nur
die einzige im Arbeitshause sür Arme befindliche Schule mit diesem Gebäude selbst
zum Hospital eingeräumt worden; erst nach der Schlacht ergriff das russische Ge¬
neralgouvernement zwar nicht so energische Maßregeln, als Reil in seinem Bericht
in Vorschlag bringt, verlangte aber doch mit der größten Bestimmtheit binnen 24
Stunden die Evacuirung des ganzen Reichelschen, an die Promenade stoßenden
Gebäudes (das im Garten stehende Hintergebäude existirte damals noch nicht), und
man muß die Verzweiflung der zahlreichen, in diesem Gebäude wohnenden Fami¬
lien, welche mit ihren sämmtlichen Habseligkeiten lind ihren vielen kranken Fami¬
liengliedern sofort auf die Straße gesetzt werden sollten, gesehen haben, um sich
zu überzeugen, welche Noth und welchen Jammer die Ausführung dieser Maßregel
herbeigeführt haben würde. Mit der unsäglichsten Schwierigkeit und Anstren-
gung gelang es endlich, dieselbe dadurch abzuwenden, daß das Gcorgenhans und
die Bürgerschule zu Hospitäler eingerichtet wurden, eine Aufgabe, die namentlich
wegen des Georgenhanses nicht gering war, da in diesem Gebände nicht nur das
Zuchthaus für eigentliche Sträflinge, welche dnrch Kosaken nach Zwickau, Wald¬
heim, Colditz und Lichtenbnrg transportirt werden mußten, sondern auch ein
Arbeitshaus für Bettler und Ströhmer, eine Verpflegnngsanftalt für Hülflose Per¬
sonen und ein Waisenhaus sich befanden, deren Bewohner sämmtlich auf die eine
oder andre Weise anderwärts unterzubringen waren. Gewiß ist aber das Geor¬
genhaus eben so wenig als die Bürgerschule den Behörden in einem scheibenlosen
Zustande übergeben worden, was wohl Jeder bestätigen wird, der die Bürger¬
schule in ihrem damaligen und jetzigen Zustande kennt, und sollte wirklich ein solcher
Mangel an Scheiben vorhanden gewesen sein, als Reil bemerkt haben will, so


scheu Offiziere und Militärbeamten belief sich noch am 22. November 181? laut
eines dem damaligen Generalgouvemeur von dem Stadtrache überreichten Verzeich¬
nisses auf 177.

Wenn nun Reil in dem erwähnten Bericht sagt, daß mau die Kranken an
Orte niedergelegt habe, welche er der Kausmännin nicht für ihr krankes Moppel
anbieten möchte, und sie zum Theil in dumpfen Spelunken lagen, so läßr sich
diese Bezeichnung nur auf den allerdings dunkeln Wollbodcn und einigermaßen,
jedoch in weit geringerem Maße, auf den Tuchboden anwenden. Alle übrige
oben benannte Localitäten sind keineswegs geeignet, mit dieser Benennung belegt
zu werden. Eben so unwahr ist nach dem Vorangefübrten die Aeußerung Neit's,
daß bei dem Mangel öffentlicher Gebäude auch uicht ein einziges Bürgerhaus den
gemeinen Soldaten zum Spitale eingeräumt worden sei. Daß die Kirchen gerade
nicht passende Baulichkeiten sind, um zu Hospitäler angewendet zu werden, ist
wohl zuzugeben, allein die Nothwendigkeit zwang dazu, und es war damals noch
uicht so kalt, daß der Aufenthalt daselbst unbedingt tödtlich hätte werden müssen ;
auch war, so weit möglich, durch aufgestellte Oefen für deren Erwärmung gesorgt.
Was aber die scheibenloscn Schulen anlangt, so war bis nach der Schlacht nur
die einzige im Arbeitshause sür Arme befindliche Schule mit diesem Gebäude selbst
zum Hospital eingeräumt worden; erst nach der Schlacht ergriff das russische Ge¬
neralgouvernement zwar nicht so energische Maßregeln, als Reil in seinem Bericht
in Vorschlag bringt, verlangte aber doch mit der größten Bestimmtheit binnen 24
Stunden die Evacuirung des ganzen Reichelschen, an die Promenade stoßenden
Gebäudes (das im Garten stehende Hintergebäude existirte damals noch nicht), und
man muß die Verzweiflung der zahlreichen, in diesem Gebäude wohnenden Fami¬
lien, welche mit ihren sämmtlichen Habseligkeiten lind ihren vielen kranken Fami¬
liengliedern sofort auf die Straße gesetzt werden sollten, gesehen haben, um sich
zu überzeugen, welche Noth und welchen Jammer die Ausführung dieser Maßregel
herbeigeführt haben würde. Mit der unsäglichsten Schwierigkeit und Anstren-
gung gelang es endlich, dieselbe dadurch abzuwenden, daß das Gcorgenhans und
die Bürgerschule zu Hospitäler eingerichtet wurden, eine Aufgabe, die namentlich
wegen des Georgenhanses nicht gering war, da in diesem Gebände nicht nur das
Zuchthaus für eigentliche Sträflinge, welche dnrch Kosaken nach Zwickau, Wald¬
heim, Colditz und Lichtenbnrg transportirt werden mußten, sondern auch ein
Arbeitshaus für Bettler und Ströhmer, eine Verpflegnngsanftalt für Hülflose Per¬
sonen und ein Waisenhaus sich befanden, deren Bewohner sämmtlich auf die eine
oder andre Weise anderwärts unterzubringen waren. Gewiß ist aber das Geor¬
genhaus eben so wenig als die Bürgerschule den Behörden in einem scheibenlosen
Zustande übergeben worden, was wohl Jeder bestätigen wird, der die Bürger¬
schule in ihrem damaligen und jetzigen Zustande kennt, und sollte wirklich ein solcher
Mangel an Scheiben vorhanden gewesen sein, als Reil bemerkt haben will, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/54>, abgerufen am 23.07.2024.