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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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i.
'Aamlet in Leipzig.

Wir waren in der letzten Zeit gewohnt, daß in unserm Theater die Zahl der
agirenden Personen dem zuschauenden Publikum ziemlich gleich kam. Wir haben so viel
selber zu agiren, daß wir uns für das Spiel Anderer nicht wesentlich interessiren kön¬
nen; wir maskircn uns mit schwarz-roth-goldnen Bändern oder Cocarden und halten
im Vaterlandsverein oder dem deutschen Verein zeitgemäße Vorträge über die Sclaverei
in den vereinigten Staaten von Nordamerika, über Pauperismus und Proletariat; oder
mir schlingen ein blutrothes Band um unsere Westen, verschwören uns zur Einführung
irgend einer Republik und zwitschern wohlgereimte Couplets zum Lob der Guillotine
und des seligen Herrn v. Robespierre; oder wir bauen einen Kutter für die deutsche
Flotte, oder wir überlassen uns geradezu den Wogen unseres Gefühls und plaudern
in's Blaue hinein von dem Nutzen der Freiheit, der Einigkeit, der Gerechtigkeit und
was sonst die menschliche Seele billigenswerthes in sich trägt. Wir lassen, wie Mal-
volio, Staatsgcsvrächc von unsern Lippen schallen und legen uns auf ein Sonderlings¬
betragen. In dem Bewußtsein dieser Beschäftigung, in der wir "tun Vaterlande die
große Seele verschwenden," kann uns die Majestät und der Heroismus aus der Bühne
nicht imponiren, wir hegen keine Ehrfurcht mehr vor den Helden der Tragödie, denn
wir selber fühle" einige zwanzig Helden in uuserer Faust und wir warten nur aus
eine passende Gelegenheit, um, "heroisch im Zimmer auf- und abgehend," mit Bour-
gognino ausrufen zu können: "Wir haben einen Tyrannen!" Daran fehlt es uns,
Aristogitons sind wir alle, aber wir wissen nicht, wem wir unser Schwert in Myrthen-
zwcige vorhalten sollen. Einen Tyrannen! 27 geordnete tricvlore Cocarden sür einen
Tyrannen! Denn was hilft es, ein Held zu sein, wenn es an Niesen fehlt, die man
lebendig verschlingen kann!

Was helfen uns diese Theater-Tyrannen, diese Theater-Jesuiten, diese Theater -
Vergister? Geschickte Lumpenkönige, wir kennen die Maschinerie. Der Leipziger, jeder
Zoll ein Deutscher, soll um Geschicke sich härmen, die im Feenlande der Dichter spielen?
Was ist ihm Hekuba, daß er um sie soll weinen? Sein Grimm verlangt eine concre-
tere Nahrung; stellt ihm einen wirklichen Bösewicht, einen Vvlksvcrräther entgegen,
und gebt Acht, wie der latente Heroismus frei wird!

Aber wenn ihr euch das Herz mit der Heugabel austreibt, bisweilen wird es den¬
noch zurückkehren. ES kehrte zurück, als Herr Wagner, der Liebling unserer Damen-


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i.
'Aamlet in Leipzig.

Wir waren in der letzten Zeit gewohnt, daß in unserm Theater die Zahl der
agirenden Personen dem zuschauenden Publikum ziemlich gleich kam. Wir haben so viel
selber zu agiren, daß wir uns für das Spiel Anderer nicht wesentlich interessiren kön¬
nen; wir maskircn uns mit schwarz-roth-goldnen Bändern oder Cocarden und halten
im Vaterlandsverein oder dem deutschen Verein zeitgemäße Vorträge über die Sclaverei
in den vereinigten Staaten von Nordamerika, über Pauperismus und Proletariat; oder
mir schlingen ein blutrothes Band um unsere Westen, verschwören uns zur Einführung
irgend einer Republik und zwitschern wohlgereimte Couplets zum Lob der Guillotine
und des seligen Herrn v. Robespierre; oder wir bauen einen Kutter für die deutsche
Flotte, oder wir überlassen uns geradezu den Wogen unseres Gefühls und plaudern
in's Blaue hinein von dem Nutzen der Freiheit, der Einigkeit, der Gerechtigkeit und
was sonst die menschliche Seele billigenswerthes in sich trägt. Wir lassen, wie Mal-
volio, Staatsgcsvrächc von unsern Lippen schallen und legen uns auf ein Sonderlings¬
betragen. In dem Bewußtsein dieser Beschäftigung, in der wir „tun Vaterlande die
große Seele verschwenden," kann uns die Majestät und der Heroismus aus der Bühne
nicht imponiren, wir hegen keine Ehrfurcht mehr vor den Helden der Tragödie, denn
wir selber fühle» einige zwanzig Helden in uuserer Faust und wir warten nur aus
eine passende Gelegenheit, um, „heroisch im Zimmer auf- und abgehend," mit Bour-
gognino ausrufen zu können: „Wir haben einen Tyrannen!" Daran fehlt es uns,
Aristogitons sind wir alle, aber wir wissen nicht, wem wir unser Schwert in Myrthen-
zwcige vorhalten sollen. Einen Tyrannen! 27 geordnete tricvlore Cocarden sür einen
Tyrannen! Denn was hilft es, ein Held zu sein, wenn es an Niesen fehlt, die man
lebendig verschlingen kann!

Was helfen uns diese Theater-Tyrannen, diese Theater-Jesuiten, diese Theater -
Vergister? Geschickte Lumpenkönige, wir kennen die Maschinerie. Der Leipziger, jeder
Zoll ein Deutscher, soll um Geschicke sich härmen, die im Feenlande der Dichter spielen?
Was ist ihm Hekuba, daß er um sie soll weinen? Sein Grimm verlangt eine concre-
tere Nahrung; stellt ihm einen wirklichen Bösewicht, einen Vvlksvcrräther entgegen,
und gebt Acht, wie der latente Heroismus frei wird!

Aber wenn ihr euch das Herz mit der Heugabel austreibt, bisweilen wird es den¬
noch zurückkehren. ES kehrte zurück, als Herr Wagner, der Liebling unserer Damen-


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[0488] T l! g e b u et). i. 'Aamlet in Leipzig. Wir waren in der letzten Zeit gewohnt, daß in unserm Theater die Zahl der agirenden Personen dem zuschauenden Publikum ziemlich gleich kam. Wir haben so viel selber zu agiren, daß wir uns für das Spiel Anderer nicht wesentlich interessiren kön¬ nen; wir maskircn uns mit schwarz-roth-goldnen Bändern oder Cocarden und halten im Vaterlandsverein oder dem deutschen Verein zeitgemäße Vorträge über die Sclaverei in den vereinigten Staaten von Nordamerika, über Pauperismus und Proletariat; oder mir schlingen ein blutrothes Band um unsere Westen, verschwören uns zur Einführung irgend einer Republik und zwitschern wohlgereimte Couplets zum Lob der Guillotine und des seligen Herrn v. Robespierre; oder wir bauen einen Kutter für die deutsche Flotte, oder wir überlassen uns geradezu den Wogen unseres Gefühls und plaudern in's Blaue hinein von dem Nutzen der Freiheit, der Einigkeit, der Gerechtigkeit und was sonst die menschliche Seele billigenswerthes in sich trägt. Wir lassen, wie Mal- volio, Staatsgcsvrächc von unsern Lippen schallen und legen uns auf ein Sonderlings¬ betragen. In dem Bewußtsein dieser Beschäftigung, in der wir „tun Vaterlande die große Seele verschwenden," kann uns die Majestät und der Heroismus aus der Bühne nicht imponiren, wir hegen keine Ehrfurcht mehr vor den Helden der Tragödie, denn wir selber fühle» einige zwanzig Helden in uuserer Faust und wir warten nur aus eine passende Gelegenheit, um, „heroisch im Zimmer auf- und abgehend," mit Bour- gognino ausrufen zu können: „Wir haben einen Tyrannen!" Daran fehlt es uns, Aristogitons sind wir alle, aber wir wissen nicht, wem wir unser Schwert in Myrthen- zwcige vorhalten sollen. Einen Tyrannen! 27 geordnete tricvlore Cocarden sür einen Tyrannen! Denn was hilft es, ein Held zu sein, wenn es an Niesen fehlt, die man lebendig verschlingen kann! Was helfen uns diese Theater-Tyrannen, diese Theater-Jesuiten, diese Theater - Vergister? Geschickte Lumpenkönige, wir kennen die Maschinerie. Der Leipziger, jeder Zoll ein Deutscher, soll um Geschicke sich härmen, die im Feenlande der Dichter spielen? Was ist ihm Hekuba, daß er um sie soll weinen? Sein Grimm verlangt eine concre- tere Nahrung; stellt ihm einen wirklichen Bösewicht, einen Vvlksvcrräther entgegen, und gebt Acht, wie der latente Heroismus frei wird! Aber wenn ihr euch das Herz mit der Heugabel austreibt, bisweilen wird es den¬ noch zurückkehren. ES kehrte zurück, als Herr Wagner, der Liebling unserer Damen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/488>, abgerufen am 26.06.2024.