Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Louis Philipp verstand diesmal keinen Spaß, ..... er war älter und mürrischer
geworden -- er sperrte daher den schlechten Farceur im Schlosse Ham ein, aus
welchem er voriges Zahr, wahrscheinlich mit Willen der Regierung, entwischte.

Altkluge Leute behaupten, der Neffe des Kaisers habe durch seinen Aufenthalt
in Amerika und England viel gelernt und vergessen, er sei daher jetzt nicht mehr
zu verachten gewesen. Braucht man wirklich nur seine Thorheiten und Tollheiten
abzustreifen, um ein bedeutender Mann zu werden? Wir meinen, was ein Haken
werden soll, krümmt sich bei Zeiten, und ein staatsmäunisches Talent pflegt sich
früher und anders zu verrathen als dadurch, daß man, nahe am Schwabenalter,
aufhört, Schwabenstreiche zu machen. Doch muß man gestehen, daß Louis Na¬
poleon wenigstens etwas tactvoller geworden ist und bei der neulichen Comödie
hat er fast eine bessere Rolle gespielt als die republikanische Nationalversammlung,

Die Aufregung, welche Louis Napoleon'S Wahl zum Nationalvertreter her¬
vorrief, war geradezu unanständig. Dieselben demokratischen Republikaner, die ein
Nachbarland "stupide" schelten, weil es seinen constitutionellen Monarchen behält,
die den leisesten Zweifel an der Ewigkeit der Republik Hochverrath nennen, ergriff
ein Schwindel theils der Versuchung theils der Angst. Im Departement der
Charente riefen Tausende von Republikanern: Vivo Mpoloon! Vivo l'omsiorour!..
Keine Republik! Kein allgemeiner Ruin! rief mau in Audrenn. Freilich waren
dies Prövinciaux! Aber selbst den Parisern wurde es nicht geheuer. Die Brutusse
und die Brümäristen liefen in allen Straßen herum. Man sprach von bedeutenden
Umtrieben und von englischen Sovereigns, mit denen ein Theil des souveränen
Volkes bestochen sei. Der Mann mit dem lebendigen Adler spukte in allen Köpfen.
Bald sollte ihm in Anrrenil ein Zweckessen von 80,000 Gedecken gegeben sein,
bald hatte man ihn schon in Paris gesehen und bezeichnete ihn als Candidaten
für die (lebenslängliche, nach Andern sogar erbliche) Präsidentschaft und dieselben
Mitglieder des souveränen Volkes, die vor dem Thor Se. Denis einige Abende
vorher Vive Barbvs! gebrüllt hatten, brüllten jetzt Vive Napoleon. Auch in der
Presse spukte der Prätendent und ein halb Dutzend neue Journale fingen die
"napoleonische Republik" zu predigen an. Die Zugänge zur Nationalversammlung
wurden von Militär und Bürgerwehr blockirt >und im Schooß dieses weisen Se¬
nats war man nahe daran, sich zu bedecken und das Vaterland in Gefahr zu
erklären. Die Negierung hatte die Schwäche, ein Verbannungsdecret gegen Louis
Napoleon vorzuschlagen, also ein Ansnahmsgesetz, da die napoleoniden amnestirt
sind, und die republikanische Polizei schickte sich an, ans ihn zu fahnden, wie einst
die preußische auf Henvegh. Wie mag Lamoricivre oder Cavaignac dreingelächelt
haben! Wenn der Zauber eines Namens, denn mehr hat der Prinz nicht von
seinem Onkel geerbt, so mächtig und gefährlich scheint, welche Aussichten werden
sich einst dem talentvollen Ehrgeiz eröffnen, wenn die ruhednrstenden Gemüther
erst mit dem Gedanken an eine militärische Dictatur vertrauter werden!


61*

Louis Philipp verstand diesmal keinen Spaß, ..... er war älter und mürrischer
geworden — er sperrte daher den schlechten Farceur im Schlosse Ham ein, aus
welchem er voriges Zahr, wahrscheinlich mit Willen der Regierung, entwischte.

Altkluge Leute behaupten, der Neffe des Kaisers habe durch seinen Aufenthalt
in Amerika und England viel gelernt und vergessen, er sei daher jetzt nicht mehr
zu verachten gewesen. Braucht man wirklich nur seine Thorheiten und Tollheiten
abzustreifen, um ein bedeutender Mann zu werden? Wir meinen, was ein Haken
werden soll, krümmt sich bei Zeiten, und ein staatsmäunisches Talent pflegt sich
früher und anders zu verrathen als dadurch, daß man, nahe am Schwabenalter,
aufhört, Schwabenstreiche zu machen. Doch muß man gestehen, daß Louis Na¬
poleon wenigstens etwas tactvoller geworden ist und bei der neulichen Comödie
hat er fast eine bessere Rolle gespielt als die republikanische Nationalversammlung,

Die Aufregung, welche Louis Napoleon'S Wahl zum Nationalvertreter her¬
vorrief, war geradezu unanständig. Dieselben demokratischen Republikaner, die ein
Nachbarland „stupide" schelten, weil es seinen constitutionellen Monarchen behält,
die den leisesten Zweifel an der Ewigkeit der Republik Hochverrath nennen, ergriff
ein Schwindel theils der Versuchung theils der Angst. Im Departement der
Charente riefen Tausende von Republikanern: Vivo Mpoloon! Vivo l'omsiorour!..
Keine Republik! Kein allgemeiner Ruin! rief mau in Audrenn. Freilich waren
dies Prövinciaux! Aber selbst den Parisern wurde es nicht geheuer. Die Brutusse
und die Brümäristen liefen in allen Straßen herum. Man sprach von bedeutenden
Umtrieben und von englischen Sovereigns, mit denen ein Theil des souveränen
Volkes bestochen sei. Der Mann mit dem lebendigen Adler spukte in allen Köpfen.
Bald sollte ihm in Anrrenil ein Zweckessen von 80,000 Gedecken gegeben sein,
bald hatte man ihn schon in Paris gesehen und bezeichnete ihn als Candidaten
für die (lebenslängliche, nach Andern sogar erbliche) Präsidentschaft und dieselben
Mitglieder des souveränen Volkes, die vor dem Thor Se. Denis einige Abende
vorher Vive Barbvs! gebrüllt hatten, brüllten jetzt Vive Napoleon. Auch in der
Presse spukte der Prätendent und ein halb Dutzend neue Journale fingen die
„napoleonische Republik" zu predigen an. Die Zugänge zur Nationalversammlung
wurden von Militär und Bürgerwehr blockirt >und im Schooß dieses weisen Se¬
nats war man nahe daran, sich zu bedecken und das Vaterland in Gefahr zu
erklären. Die Negierung hatte die Schwäche, ein Verbannungsdecret gegen Louis
Napoleon vorzuschlagen, also ein Ansnahmsgesetz, da die napoleoniden amnestirt
sind, und die republikanische Polizei schickte sich an, ans ihn zu fahnden, wie einst
die preußische auf Henvegh. Wie mag Lamoricivre oder Cavaignac dreingelächelt
haben! Wenn der Zauber eines Namens, denn mehr hat der Prinz nicht von
seinem Onkel geerbt, so mächtig und gefährlich scheint, welche Aussichten werden
sich einst dem talentvollen Ehrgeiz eröffnen, wenn die ruhednrstenden Gemüther
erst mit dem Gedanken an eine militärische Dictatur vertrauter werden!


61*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0481" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276679"/>
          <p xml:id="ID_1664" prev="#ID_1663"> Louis Philipp verstand diesmal keinen Spaß, .....   er war älter und mürrischer<lb/>
geworden &#x2014; er sperrte daher den schlechten Farceur im Schlosse Ham ein, aus<lb/>
welchem er voriges Zahr, wahrscheinlich mit Willen der Regierung, entwischte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1665"> Altkluge Leute behaupten, der Neffe des Kaisers habe durch seinen Aufenthalt<lb/>
in Amerika und England viel gelernt und vergessen, er sei daher jetzt nicht mehr<lb/>
zu verachten gewesen. Braucht man wirklich nur seine Thorheiten und Tollheiten<lb/>
abzustreifen, um ein bedeutender Mann zu werden? Wir meinen, was ein Haken<lb/>
werden soll, krümmt sich bei Zeiten, und ein staatsmäunisches Talent pflegt sich<lb/>
früher und anders zu verrathen als dadurch, daß man, nahe am Schwabenalter,<lb/>
aufhört, Schwabenstreiche zu machen. Doch muß man gestehen, daß Louis Na¬<lb/>
poleon wenigstens etwas tactvoller geworden ist und bei der neulichen Comödie<lb/>
hat er fast eine bessere Rolle gespielt als die republikanische Nationalversammlung,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1666"> Die Aufregung, welche Louis Napoleon'S Wahl zum Nationalvertreter her¬<lb/>
vorrief, war geradezu unanständig. Dieselben demokratischen Republikaner, die ein<lb/>
Nachbarland &#x201E;stupide" schelten, weil es seinen constitutionellen Monarchen behält,<lb/>
die den leisesten Zweifel an der Ewigkeit der Republik Hochverrath nennen, ergriff<lb/>
ein Schwindel theils der Versuchung theils der Angst. Im Departement der<lb/>
Charente riefen Tausende von Republikanern: Vivo Mpoloon! Vivo l'omsiorour!..<lb/>
Keine Republik! Kein allgemeiner Ruin! rief mau in Audrenn. Freilich waren<lb/>
dies Prövinciaux! Aber selbst den Parisern wurde es nicht geheuer. Die Brutusse<lb/>
und die Brümäristen liefen in allen Straßen herum. Man sprach von bedeutenden<lb/>
Umtrieben und von englischen Sovereigns, mit denen ein Theil des souveränen<lb/>
Volkes bestochen sei. Der Mann mit dem lebendigen Adler spukte in allen Köpfen.<lb/>
Bald sollte ihm in Anrrenil ein Zweckessen von 80,000 Gedecken gegeben sein,<lb/>
bald hatte man ihn schon in Paris gesehen und bezeichnete ihn als Candidaten<lb/>
für die (lebenslängliche, nach Andern sogar erbliche) Präsidentschaft und dieselben<lb/>
Mitglieder des souveränen Volkes, die vor dem Thor Se. Denis einige Abende<lb/>
vorher Vive Barbvs! gebrüllt hatten, brüllten jetzt Vive Napoleon. Auch in der<lb/>
Presse spukte der Prätendent und ein halb Dutzend neue Journale fingen die<lb/>
&#x201E;napoleonische Republik" zu predigen an. Die Zugänge zur Nationalversammlung<lb/>
wurden von Militär und Bürgerwehr blockirt &gt;und im Schooß dieses weisen Se¬<lb/>
nats war man nahe daran, sich zu bedecken und das Vaterland in Gefahr zu<lb/>
erklären. Die Negierung hatte die Schwäche, ein Verbannungsdecret gegen Louis<lb/>
Napoleon vorzuschlagen, also ein Ansnahmsgesetz, da die napoleoniden amnestirt<lb/>
sind, und die republikanische Polizei schickte sich an, ans ihn zu fahnden, wie einst<lb/>
die preußische auf Henvegh. Wie mag Lamoricivre oder Cavaignac dreingelächelt<lb/>
haben! Wenn der Zauber eines Namens, denn mehr hat der Prinz nicht von<lb/>
seinem Onkel geerbt, so mächtig und gefährlich scheint, welche Aussichten werden<lb/>
sich einst dem talentvollen Ehrgeiz eröffnen, wenn die ruhednrstenden Gemüther<lb/>
erst mit dem Gedanken an eine militärische Dictatur vertrauter werden!</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 61*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0481] Louis Philipp verstand diesmal keinen Spaß, ..... er war älter und mürrischer geworden — er sperrte daher den schlechten Farceur im Schlosse Ham ein, aus welchem er voriges Zahr, wahrscheinlich mit Willen der Regierung, entwischte. Altkluge Leute behaupten, der Neffe des Kaisers habe durch seinen Aufenthalt in Amerika und England viel gelernt und vergessen, er sei daher jetzt nicht mehr zu verachten gewesen. Braucht man wirklich nur seine Thorheiten und Tollheiten abzustreifen, um ein bedeutender Mann zu werden? Wir meinen, was ein Haken werden soll, krümmt sich bei Zeiten, und ein staatsmäunisches Talent pflegt sich früher und anders zu verrathen als dadurch, daß man, nahe am Schwabenalter, aufhört, Schwabenstreiche zu machen. Doch muß man gestehen, daß Louis Na¬ poleon wenigstens etwas tactvoller geworden ist und bei der neulichen Comödie hat er fast eine bessere Rolle gespielt als die republikanische Nationalversammlung, Die Aufregung, welche Louis Napoleon'S Wahl zum Nationalvertreter her¬ vorrief, war geradezu unanständig. Dieselben demokratischen Republikaner, die ein Nachbarland „stupide" schelten, weil es seinen constitutionellen Monarchen behält, die den leisesten Zweifel an der Ewigkeit der Republik Hochverrath nennen, ergriff ein Schwindel theils der Versuchung theils der Angst. Im Departement der Charente riefen Tausende von Republikanern: Vivo Mpoloon! Vivo l'omsiorour!.. Keine Republik! Kein allgemeiner Ruin! rief mau in Audrenn. Freilich waren dies Prövinciaux! Aber selbst den Parisern wurde es nicht geheuer. Die Brutusse und die Brümäristen liefen in allen Straßen herum. Man sprach von bedeutenden Umtrieben und von englischen Sovereigns, mit denen ein Theil des souveränen Volkes bestochen sei. Der Mann mit dem lebendigen Adler spukte in allen Köpfen. Bald sollte ihm in Anrrenil ein Zweckessen von 80,000 Gedecken gegeben sein, bald hatte man ihn schon in Paris gesehen und bezeichnete ihn als Candidaten für die (lebenslängliche, nach Andern sogar erbliche) Präsidentschaft und dieselben Mitglieder des souveränen Volkes, die vor dem Thor Se. Denis einige Abende vorher Vive Barbvs! gebrüllt hatten, brüllten jetzt Vive Napoleon. Auch in der Presse spukte der Prätendent und ein halb Dutzend neue Journale fingen die „napoleonische Republik" zu predigen an. Die Zugänge zur Nationalversammlung wurden von Militär und Bürgerwehr blockirt >und im Schooß dieses weisen Se¬ nats war man nahe daran, sich zu bedecken und das Vaterland in Gefahr zu erklären. Die Negierung hatte die Schwäche, ein Verbannungsdecret gegen Louis Napoleon vorzuschlagen, also ein Ansnahmsgesetz, da die napoleoniden amnestirt sind, und die republikanische Polizei schickte sich an, ans ihn zu fahnden, wie einst die preußische auf Henvegh. Wie mag Lamoricivre oder Cavaignac dreingelächelt haben! Wenn der Zauber eines Namens, denn mehr hat der Prinz nicht von seinem Onkel geerbt, so mächtig und gefährlich scheint, welche Aussichten werden sich einst dem talentvollen Ehrgeiz eröffnen, wenn die ruhednrstenden Gemüther erst mit dem Gedanken an eine militärische Dictatur vertrauter werden! 61*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/481
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/481>, abgerufen am 26.06.2024.