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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Schiboleth und die Seele alles Großen und Bedeütungsvollen in Frankreich: die
Einheit. Sie selbst entstand ja durch eine, den frühern Kammcrcoalitionen
ähnliche Verbündung feindlicher Parteien; ein Bündniß, das nur zum Umsturz
mächtig ist und bei dem geringsten Schvpfungsversnch sich in die ursprünglichen
Elemente der Zwietracht und Eifersucht auflöst. Ihr fehlt in Folge davon die
Initiative. Frankreich ist seit einigen Monaten jener blasse skeptische Held ge-
worden, mit welchem Altdeutschland in den Tagen der Weltschmerzelei sich selbst¬
gefällig zu vergleichen pflegte: eilt Hamlet. Es wird geschoben statt zu schieben
und muß dem Zufall danken, der ihm von Zeit zu Zeit einen wirklichen oder ein¬
gebildeten Feind auf den Leib hetzt, an dem es seine Kraft erproben kann. Käme
nicht dann und wann ein dramatischer Zwischenfall, der die Verhandlungen der
Nationalversammlung beschäftigt, indem er sie von ihrem eigentlichen Beruf ab¬
zieht, so gäbe es in Paris Nichts zu thun und Frankreich wüßte nicht, wovon
es sprechen sollte.

Nächst dem Aufstand vom 15. Mai war keine Episode in der Geschichte der
neuesten Republik so interessant und so lehneich, als die Louis-Napoleonische.
Dein abenteuerlichen napoleoniden ist es gelungen, zum dritten Mal in seinem
Leben Aufsehen in Europa zu machen. Ob er in der That tiefer angelegte Plane
verfolgte oder die Republik nur auf die Probe stellen wollte? Böse Zungen
behaupten, eine Partei, die weder republikanisch noch bonapartistisch gesinnt ist,
habe den Neffen des Kaisers, von dessen Ungefährlichkeit sie überzeugt zu sein
glaubt, auf die Bühne gelockt, theils um die Gemüther für ernstere Prätcndcn-
tenspiele vorzubereiten und theils um auf die Schwäche der Republik ein boshaf¬
tes Licht zu werfen.

Muß eine Republik nicht wirklich an bedeutender Nervenschwäche leiden, wenn
der Sporenklang eines Louis Napoleon sie nnr einen Angenblick erschrecken kann?
Der Barrikadenkönig durste gegen den theatralischsten aller Prätendenten sich mit
ernsten Waffen wehren: die Republik mußte ihn mit einem Lächeln empfangen, wenn
sie ihrem Selbstgefühl nichts vergeben wollte. Louis Napoleon, hieß es in der National¬
versammlung, "habe zweimal die Waffen gegen Frankreich getragen." Die Waffen aber
waren nicht sehr furchtbar und Niemand gefährlich als ihrem Träger, den sie -- lächer¬
lich machten und it n')' " qui tu"; c"meno I"; ritlicule, sagt man sonst in Frankreich. Das
erstemal bestanden die Waffen des geistreichen Prinzen in ein Paar Kanonenstiefeln und
einem Hütchen u "ur, womit er, um die Armee zu bezaubern, sich in Straß-
bnrg zeigte und nach einer halben Stunde in einer Sackgasse gefangen ward. Der
Bürgerkönig schickte den Neffen des Kaisers damals nach Amerika. Zum zweiten
Mal landete Louis Napoleon in Boulogne, begleitet von einem lebendigen Adler
im Käsig. Er hatte den Vogel eigens zu diesem Zwecke großgezogen, indessen
fehlten ihm die Jupiterblitze in den Krallen und seinem Herrn fehlte so ziemlich
der olympische Genius, dessen Symbol der gezähmte Kaiservogel sein sollte. Aber


Schiboleth und die Seele alles Großen und Bedeütungsvollen in Frankreich: die
Einheit. Sie selbst entstand ja durch eine, den frühern Kammcrcoalitionen
ähnliche Verbündung feindlicher Parteien; ein Bündniß, das nur zum Umsturz
mächtig ist und bei dem geringsten Schvpfungsversnch sich in die ursprünglichen
Elemente der Zwietracht und Eifersucht auflöst. Ihr fehlt in Folge davon die
Initiative. Frankreich ist seit einigen Monaten jener blasse skeptische Held ge-
worden, mit welchem Altdeutschland in den Tagen der Weltschmerzelei sich selbst¬
gefällig zu vergleichen pflegte: eilt Hamlet. Es wird geschoben statt zu schieben
und muß dem Zufall danken, der ihm von Zeit zu Zeit einen wirklichen oder ein¬
gebildeten Feind auf den Leib hetzt, an dem es seine Kraft erproben kann. Käme
nicht dann und wann ein dramatischer Zwischenfall, der die Verhandlungen der
Nationalversammlung beschäftigt, indem er sie von ihrem eigentlichen Beruf ab¬
zieht, so gäbe es in Paris Nichts zu thun und Frankreich wüßte nicht, wovon
es sprechen sollte.

Nächst dem Aufstand vom 15. Mai war keine Episode in der Geschichte der
neuesten Republik so interessant und so lehneich, als die Louis-Napoleonische.
Dein abenteuerlichen napoleoniden ist es gelungen, zum dritten Mal in seinem
Leben Aufsehen in Europa zu machen. Ob er in der That tiefer angelegte Plane
verfolgte oder die Republik nur auf die Probe stellen wollte? Böse Zungen
behaupten, eine Partei, die weder republikanisch noch bonapartistisch gesinnt ist,
habe den Neffen des Kaisers, von dessen Ungefährlichkeit sie überzeugt zu sein
glaubt, auf die Bühne gelockt, theils um die Gemüther für ernstere Prätcndcn-
tenspiele vorzubereiten und theils um auf die Schwäche der Republik ein boshaf¬
tes Licht zu werfen.

Muß eine Republik nicht wirklich an bedeutender Nervenschwäche leiden, wenn
der Sporenklang eines Louis Napoleon sie nnr einen Angenblick erschrecken kann?
Der Barrikadenkönig durste gegen den theatralischsten aller Prätendenten sich mit
ernsten Waffen wehren: die Republik mußte ihn mit einem Lächeln empfangen, wenn
sie ihrem Selbstgefühl nichts vergeben wollte. Louis Napoleon, hieß es in der National¬
versammlung, „habe zweimal die Waffen gegen Frankreich getragen." Die Waffen aber
waren nicht sehr furchtbar und Niemand gefährlich als ihrem Träger, den sie — lächer¬
lich machten und it n')' » qui tu«; c»meno I«; ritlicule, sagt man sonst in Frankreich. Das
erstemal bestanden die Waffen des geistreichen Prinzen in ein Paar Kanonenstiefeln und
einem Hütchen u «ur, womit er, um die Armee zu bezaubern, sich in Straß-
bnrg zeigte und nach einer halben Stunde in einer Sackgasse gefangen ward. Der
Bürgerkönig schickte den Neffen des Kaisers damals nach Amerika. Zum zweiten
Mal landete Louis Napoleon in Boulogne, begleitet von einem lebendigen Adler
im Käsig. Er hatte den Vogel eigens zu diesem Zwecke großgezogen, indessen
fehlten ihm die Jupiterblitze in den Krallen und seinem Herrn fehlte so ziemlich
der olympische Genius, dessen Symbol der gezähmte Kaiservogel sein sollte. Aber


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[0480] Schiboleth und die Seele alles Großen und Bedeütungsvollen in Frankreich: die Einheit. Sie selbst entstand ja durch eine, den frühern Kammcrcoalitionen ähnliche Verbündung feindlicher Parteien; ein Bündniß, das nur zum Umsturz mächtig ist und bei dem geringsten Schvpfungsversnch sich in die ursprünglichen Elemente der Zwietracht und Eifersucht auflöst. Ihr fehlt in Folge davon die Initiative. Frankreich ist seit einigen Monaten jener blasse skeptische Held ge- worden, mit welchem Altdeutschland in den Tagen der Weltschmerzelei sich selbst¬ gefällig zu vergleichen pflegte: eilt Hamlet. Es wird geschoben statt zu schieben und muß dem Zufall danken, der ihm von Zeit zu Zeit einen wirklichen oder ein¬ gebildeten Feind auf den Leib hetzt, an dem es seine Kraft erproben kann. Käme nicht dann und wann ein dramatischer Zwischenfall, der die Verhandlungen der Nationalversammlung beschäftigt, indem er sie von ihrem eigentlichen Beruf ab¬ zieht, so gäbe es in Paris Nichts zu thun und Frankreich wüßte nicht, wovon es sprechen sollte. Nächst dem Aufstand vom 15. Mai war keine Episode in der Geschichte der neuesten Republik so interessant und so lehneich, als die Louis-Napoleonische. Dein abenteuerlichen napoleoniden ist es gelungen, zum dritten Mal in seinem Leben Aufsehen in Europa zu machen. Ob er in der That tiefer angelegte Plane verfolgte oder die Republik nur auf die Probe stellen wollte? Böse Zungen behaupten, eine Partei, die weder republikanisch noch bonapartistisch gesinnt ist, habe den Neffen des Kaisers, von dessen Ungefährlichkeit sie überzeugt zu sein glaubt, auf die Bühne gelockt, theils um die Gemüther für ernstere Prätcndcn- tenspiele vorzubereiten und theils um auf die Schwäche der Republik ein boshaf¬ tes Licht zu werfen. Muß eine Republik nicht wirklich an bedeutender Nervenschwäche leiden, wenn der Sporenklang eines Louis Napoleon sie nnr einen Angenblick erschrecken kann? Der Barrikadenkönig durste gegen den theatralischsten aller Prätendenten sich mit ernsten Waffen wehren: die Republik mußte ihn mit einem Lächeln empfangen, wenn sie ihrem Selbstgefühl nichts vergeben wollte. Louis Napoleon, hieß es in der National¬ versammlung, „habe zweimal die Waffen gegen Frankreich getragen." Die Waffen aber waren nicht sehr furchtbar und Niemand gefährlich als ihrem Träger, den sie — lächer¬ lich machten und it n')' » qui tu«; c»meno I«; ritlicule, sagt man sonst in Frankreich. Das erstemal bestanden die Waffen des geistreichen Prinzen in ein Paar Kanonenstiefeln und einem Hütchen u «ur, womit er, um die Armee zu bezaubern, sich in Straß- bnrg zeigte und nach einer halben Stunde in einer Sackgasse gefangen ward. Der Bürgerkönig schickte den Neffen des Kaisers damals nach Amerika. Zum zweiten Mal landete Louis Napoleon in Boulogne, begleitet von einem lebendigen Adler im Käsig. Er hatte den Vogel eigens zu diesem Zwecke großgezogen, indessen fehlten ihm die Jupiterblitze in den Krallen und seinem Herrn fehlte so ziemlich der olympische Genius, dessen Symbol der gezähmte Kaiservogel sein sollte. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/480>, abgerufen am 26.06.2024.