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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die politische Poesie des moderne" Hufsitismus.



Motiv: Aus Liedern Striche des Volkes Art.

Ich habe die Volkspoesie der Slaven immer geliebt und habe ihr vielseitig
meine Aufmerksamkeit zugewandt, weil mich aus ihren Liebesliedern, aus ihren
Heldengcsängen eine Eigenthümlichkeit, eine Wehmuth, eine Bilderfülle und gleich¬
zeitig eine Kraft der Verkörperung ansprach, die jedem für echte Poesie zugäng¬
lichen Gemüthe nicht anders, als das höchste Interesse einflößen mußte. War das
im höchsten Grade bei den südslavischcn Naturepopöen (wer rennt nicht die serbi¬
schen Heldengedichte?), bei den tiefpoetischen Sagen der Südrnsscn, bei den feurigen
Krakoviaken des Polen der Fall, so kann ich nicht lüngnen, daß das Interesse
an den slavischen Volksdichtungen jener Stämme, die mit den Czechen verwandt
sind, ein im selben Grade abnehmendes werden mußte und endlich in den Volks¬
liedern der Czechen selbst seine Auflösung fand. Die Musik der Czechen ist
schön -- ihre Volkspoe sie dagegen nimmt in der Stufenleiter der slavischen
Volksdichtungen die tiefste Stelle ein. ES herrscht in den Volksliedern der Cze¬
chen etwas Wildes, Ungebärdiges, Rohes, Zurückstoßendes -- und die Wahrheit
dieser Behauptung wird durch die allerneuste Volkspoesie der Czechen nur bestätigt.

Es liegen uns zwei kleine Hefte von Liedern vor, die unter dem Titel
"slavisches Liederbuch, herausgegeben von Vojtech" erschienen sind und außer
czechischen auch uoch mährische, slvvenische und illyrische Lieder enthalten. Wäh¬
rend ans den letztern und namentlich ans den illyrischen ein stolzer, südlich glü¬
hender Freiheitsgeist sprüht, der, aufgewachsen unter Kämpfen und bewußt der
weltbekannten, sieggewohnten Serben- und Kroatcnfanst, dem Feinde offen in'S
Auge sieht und ans die Stunde harrt, wo Trompetenklang und Säbelgeklirr ihn
in'S Feld ruft unter den rauschenden Barjak (Fahne); ergehen sich die zahlreichen
Lieder der Czechen, was wir eben als kein Zeichen der Kraft ansehen können,
im klettigm Gefilde des Hohns, des Spottes, der Stichelei, der Bosheit und
des schlechten Witzes. Schauerlich und widrig mit diesen Grnndtönen der moder¬
nen politischen Czechenpoeste contrastiren die ausgerüttelten Anklänge eines neuen
Hnssttismns, Adamitismus, Taboritismus. Es lodert keine Kampfglut in diesen
Liedern, es rauscht kein Siezeödrang durch diese Strophen, nur ein wilder, un-


Die politische Poesie des moderne» Hufsitismus.



Motiv: Aus Liedern Striche des Volkes Art.

Ich habe die Volkspoesie der Slaven immer geliebt und habe ihr vielseitig
meine Aufmerksamkeit zugewandt, weil mich aus ihren Liebesliedern, aus ihren
Heldengcsängen eine Eigenthümlichkeit, eine Wehmuth, eine Bilderfülle und gleich¬
zeitig eine Kraft der Verkörperung ansprach, die jedem für echte Poesie zugäng¬
lichen Gemüthe nicht anders, als das höchste Interesse einflößen mußte. War das
im höchsten Grade bei den südslavischcn Naturepopöen (wer rennt nicht die serbi¬
schen Heldengedichte?), bei den tiefpoetischen Sagen der Südrnsscn, bei den feurigen
Krakoviaken des Polen der Fall, so kann ich nicht lüngnen, daß das Interesse
an den slavischen Volksdichtungen jener Stämme, die mit den Czechen verwandt
sind, ein im selben Grade abnehmendes werden mußte und endlich in den Volks¬
liedern der Czechen selbst seine Auflösung fand. Die Musik der Czechen ist
schön — ihre Volkspoe sie dagegen nimmt in der Stufenleiter der slavischen
Volksdichtungen die tiefste Stelle ein. ES herrscht in den Volksliedern der Cze¬
chen etwas Wildes, Ungebärdiges, Rohes, Zurückstoßendes — und die Wahrheit
dieser Behauptung wird durch die allerneuste Volkspoesie der Czechen nur bestätigt.

Es liegen uns zwei kleine Hefte von Liedern vor, die unter dem Titel
„slavisches Liederbuch, herausgegeben von Vojtech" erschienen sind und außer
czechischen auch uoch mährische, slvvenische und illyrische Lieder enthalten. Wäh¬
rend ans den letztern und namentlich ans den illyrischen ein stolzer, südlich glü¬
hender Freiheitsgeist sprüht, der, aufgewachsen unter Kämpfen und bewußt der
weltbekannten, sieggewohnten Serben- und Kroatcnfanst, dem Feinde offen in'S
Auge sieht und ans die Stunde harrt, wo Trompetenklang und Säbelgeklirr ihn
in'S Feld ruft unter den rauschenden Barjak (Fahne); ergehen sich die zahlreichen
Lieder der Czechen, was wir eben als kein Zeichen der Kraft ansehen können,
im klettigm Gefilde des Hohns, des Spottes, der Stichelei, der Bosheit und
des schlechten Witzes. Schauerlich und widrig mit diesen Grnndtönen der moder¬
nen politischen Czechenpoeste contrastiren die ausgerüttelten Anklänge eines neuen
Hnssttismns, Adamitismus, Taboritismus. Es lodert keine Kampfglut in diesen
Liedern, es rauscht kein Siezeödrang durch diese Strophen, nur ein wilder, un-


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[0476] Die politische Poesie des moderne» Hufsitismus. Motiv: Aus Liedern Striche des Volkes Art. Ich habe die Volkspoesie der Slaven immer geliebt und habe ihr vielseitig meine Aufmerksamkeit zugewandt, weil mich aus ihren Liebesliedern, aus ihren Heldengcsängen eine Eigenthümlichkeit, eine Wehmuth, eine Bilderfülle und gleich¬ zeitig eine Kraft der Verkörperung ansprach, die jedem für echte Poesie zugäng¬ lichen Gemüthe nicht anders, als das höchste Interesse einflößen mußte. War das im höchsten Grade bei den südslavischcn Naturepopöen (wer rennt nicht die serbi¬ schen Heldengedichte?), bei den tiefpoetischen Sagen der Südrnsscn, bei den feurigen Krakoviaken des Polen der Fall, so kann ich nicht lüngnen, daß das Interesse an den slavischen Volksdichtungen jener Stämme, die mit den Czechen verwandt sind, ein im selben Grade abnehmendes werden mußte und endlich in den Volks¬ liedern der Czechen selbst seine Auflösung fand. Die Musik der Czechen ist schön — ihre Volkspoe sie dagegen nimmt in der Stufenleiter der slavischen Volksdichtungen die tiefste Stelle ein. ES herrscht in den Volksliedern der Cze¬ chen etwas Wildes, Ungebärdiges, Rohes, Zurückstoßendes — und die Wahrheit dieser Behauptung wird durch die allerneuste Volkspoesie der Czechen nur bestätigt. Es liegen uns zwei kleine Hefte von Liedern vor, die unter dem Titel „slavisches Liederbuch, herausgegeben von Vojtech" erschienen sind und außer czechischen auch uoch mährische, slvvenische und illyrische Lieder enthalten. Wäh¬ rend ans den letztern und namentlich ans den illyrischen ein stolzer, südlich glü¬ hender Freiheitsgeist sprüht, der, aufgewachsen unter Kämpfen und bewußt der weltbekannten, sieggewohnten Serben- und Kroatcnfanst, dem Feinde offen in'S Auge sieht und ans die Stunde harrt, wo Trompetenklang und Säbelgeklirr ihn in'S Feld ruft unter den rauschenden Barjak (Fahne); ergehen sich die zahlreichen Lieder der Czechen, was wir eben als kein Zeichen der Kraft ansehen können, im klettigm Gefilde des Hohns, des Spottes, der Stichelei, der Bosheit und des schlechten Witzes. Schauerlich und widrig mit diesen Grnndtönen der moder¬ nen politischen Czechenpoeste contrastiren die ausgerüttelten Anklänge eines neuen Hnssttismns, Adamitismus, Taboritismus. Es lodert keine Kampfglut in diesen Liedern, es rauscht kein Siezeödrang durch diese Strophen, nur ein wilder, un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/476>, abgerufen am 26.06.2024.