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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Fall selbst daran Theil nehmen wollen. Es bleibt also auch hier nur das Eine
übrig: Volksbildung, aber nicht eine Volksbildung, die in trocknen und gleichgiltigen
Kenntnissen besteht, in solchen Kenntnissen, die etwas Halbes und Fragmentarisches
bleiben, weil das Leben keine Gelegenheit bietet sie weiter auszubilden, sondern man
wecke die geistige Thätigkeit und damit den Sinn für das wissenschaftliche Leben,
man gebe einen Stoff, der, mit dem Leben in Verbindung stehend, aus ihm
stets n,me Nahrung zieht; so allein wird das große Problem der Weltgeschichte
lösbar sein, die Freiheit mit der Sittlichkeit, die Volksherrschaft mit der Civili¬
sation zu vereinen.

Das Maß der Selbstständigkeit ist die materielle und geistige Kraft eines
Menschen. Ich kann Niemanden selbstständig machen, der sich nicht selbst unab¬
hängig macht durch seine materielle oder geistige Kraft. Ein Volk selbstständig
machen, das nicht durch seine geistige Kraft dieser Selbstständigkeit werth ist,
heißt: die Selbstständigkeit auf die physische Kraft, auf die brutale Gewalt grün¬
den. Dann sind drei Entwickelungen möglich: entweder es geht die geistige
Blüthe, die in der Nation vorhanden war, unter; oder die errungene Souve¬
ränität wird durch Reaktionen umgestoßen; oder das Volk wird auf die Stufe
der Bildung gehoben, durch die es der Freiheit werth ist.

Darum denkt nicht zu spät daran, die Demokratie auch nach dieser Seite
hin zu sichern. Nicht von der gebrochenen Gewalt der Fürsten oder der Beamten
droht der Freiheit des Volkes Gefahr, sondern von der Unfähigkeit des Volkes
sich so zu regieren, wie es die Ehre der deutsche" Nation verlangt. Wollen wir
für die Demokratie reif sein, so bedürfen die Einen eines höhern Grades der
Einsicht, die Andern eines hohem Grades der Energie. Aber bedenkt wohl, daß
einst die größere Schuld jene treffen könnte, die die Erkenntniß hatten, aber
nicht die Kraft. Denn die Andern wissen ja nicht, was sie thun.


Gustav Engel.


Fall selbst daran Theil nehmen wollen. Es bleibt also auch hier nur das Eine
übrig: Volksbildung, aber nicht eine Volksbildung, die in trocknen und gleichgiltigen
Kenntnissen besteht, in solchen Kenntnissen, die etwas Halbes und Fragmentarisches
bleiben, weil das Leben keine Gelegenheit bietet sie weiter auszubilden, sondern man
wecke die geistige Thätigkeit und damit den Sinn für das wissenschaftliche Leben,
man gebe einen Stoff, der, mit dem Leben in Verbindung stehend, aus ihm
stets n,me Nahrung zieht; so allein wird das große Problem der Weltgeschichte
lösbar sein, die Freiheit mit der Sittlichkeit, die Volksherrschaft mit der Civili¬
sation zu vereinen.

Das Maß der Selbstständigkeit ist die materielle und geistige Kraft eines
Menschen. Ich kann Niemanden selbstständig machen, der sich nicht selbst unab¬
hängig macht durch seine materielle oder geistige Kraft. Ein Volk selbstständig
machen, das nicht durch seine geistige Kraft dieser Selbstständigkeit werth ist,
heißt: die Selbstständigkeit auf die physische Kraft, auf die brutale Gewalt grün¬
den. Dann sind drei Entwickelungen möglich: entweder es geht die geistige
Blüthe, die in der Nation vorhanden war, unter; oder die errungene Souve¬
ränität wird durch Reaktionen umgestoßen; oder das Volk wird auf die Stufe
der Bildung gehoben, durch die es der Freiheit werth ist.

Darum denkt nicht zu spät daran, die Demokratie auch nach dieser Seite
hin zu sichern. Nicht von der gebrochenen Gewalt der Fürsten oder der Beamten
droht der Freiheit des Volkes Gefahr, sondern von der Unfähigkeit des Volkes
sich so zu regieren, wie es die Ehre der deutsche» Nation verlangt. Wollen wir
für die Demokratie reif sein, so bedürfen die Einen eines höhern Grades der
Einsicht, die Andern eines hohem Grades der Energie. Aber bedenkt wohl, daß
einst die größere Schuld jene treffen könnte, die die Erkenntniß hatten, aber
nicht die Kraft. Denn die Andern wissen ja nicht, was sie thun.


Gustav Engel.


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[0475] Fall selbst daran Theil nehmen wollen. Es bleibt also auch hier nur das Eine übrig: Volksbildung, aber nicht eine Volksbildung, die in trocknen und gleichgiltigen Kenntnissen besteht, in solchen Kenntnissen, die etwas Halbes und Fragmentarisches bleiben, weil das Leben keine Gelegenheit bietet sie weiter auszubilden, sondern man wecke die geistige Thätigkeit und damit den Sinn für das wissenschaftliche Leben, man gebe einen Stoff, der, mit dem Leben in Verbindung stehend, aus ihm stets n,me Nahrung zieht; so allein wird das große Problem der Weltgeschichte lösbar sein, die Freiheit mit der Sittlichkeit, die Volksherrschaft mit der Civili¬ sation zu vereinen. Das Maß der Selbstständigkeit ist die materielle und geistige Kraft eines Menschen. Ich kann Niemanden selbstständig machen, der sich nicht selbst unab¬ hängig macht durch seine materielle oder geistige Kraft. Ein Volk selbstständig machen, das nicht durch seine geistige Kraft dieser Selbstständigkeit werth ist, heißt: die Selbstständigkeit auf die physische Kraft, auf die brutale Gewalt grün¬ den. Dann sind drei Entwickelungen möglich: entweder es geht die geistige Blüthe, die in der Nation vorhanden war, unter; oder die errungene Souve¬ ränität wird durch Reaktionen umgestoßen; oder das Volk wird auf die Stufe der Bildung gehoben, durch die es der Freiheit werth ist. Darum denkt nicht zu spät daran, die Demokratie auch nach dieser Seite hin zu sichern. Nicht von der gebrochenen Gewalt der Fürsten oder der Beamten droht der Freiheit des Volkes Gefahr, sondern von der Unfähigkeit des Volkes sich so zu regieren, wie es die Ehre der deutsche» Nation verlangt. Wollen wir für die Demokratie reif sein, so bedürfen die Einen eines höhern Grades der Einsicht, die Andern eines hohem Grades der Energie. Aber bedenkt wohl, daß einst die größere Schuld jene treffen könnte, die die Erkenntniß hatten, aber nicht die Kraft. Denn die Andern wissen ja nicht, was sie thun. Gustav Engel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/475>, abgerufen am 26.06.2024.