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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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dikalismus höchstens der Instinkt des Volkes und vielleicht die Festigkeit der
Regierung.

Viele erklären ein Volk schon darum reif zur Selbstregierung, weil es eine
gewisse Achtung vor dem Gesetz zeigt. Das aber ist blutwenig. Die Hauptsache
ist politische Klugheit und lebendige Theilnahme an allem dem, was ein wahr¬
haftes Volksleben ausmacht. Das Eine nun, die politische Klugheit, fehlt un'
serm Volk, wie es scheint, sast ganz; ob es das andere besitzt, ist wenigstens
problematisch. Und wir sind in der That auf dem Pnnkte, daß der verständigere
Theil des Volkes nicht nur befürchten muß, durch die Thorheiten der großen
Massen in ein Unglück über das andere gestoßen zu werden, sondern daß selbst
dies nicht unmöglich ist, daß der roheste Materialismus und ein abstraktes,
formelles politisches Treiben an die Stelle der geistigen Civilisation, die wir er¬
rungen haben, treten werden.

Daß Wissenschaft und Kunst ohne eine gewisse Unterstützung von Seiten des
Staates nicht existiren können, ist klar. Denn wenn es Männer geben soll, die
damit sich beschäftigen, so müssen sie die Mittel zur Existenz daraus ziehen kön¬
nen; diese aber werden ihnen im Großen und Ganzen nur dnrch den Staat ge¬
währt. Wir waren uun gewöhnt und sind es auch uoch, dies höhere geistige
Leben als etwas so Sicheres zu betrachten, daß es wohl Wenigen eingefallen
sein wird, daß die Demokratie diese Sicherheit vernichten könnte. Was ist denn
Demokratie? Demokratie ist bis jetzt nichts Anderes, als Herrschaft (?) der Klassen,
die auf einer sehr niedrigen Stufe der Bildung stehen. Ich habe schon einmal
erwähnt, daß ich darunter nicht blos die sogenannten Arbeiter, sondern auch
einen großen Theil der Bürger meine, ja ich kann selbst einen nicht geringen
Theil der sogenannten Gebildeten hinzufügen. Es scheint mir nun, daß, wenn
diese Klassen nicht auf eine höhere Stufe der Bildung gehoben werden, wissen¬
schaftliche und künstlerische Beschäftigungen sehr bald als etwas Ueberflüssiges
gelten könnten. Es würde schwer fallen, die praktische Nothwendigkeit dersel¬
ben, z. B. der Philosophie, der Aesthetik, der Philologie nachzuweisen; wenn
man den Werth dieser Wissenschaften nicht in ihnen selbst, d. h. in der Erhe¬
bung des Menschen über die Schranken des Nothwendigen sucht, so wird man
ihnen gar keinen sonderlichen Werth beilegen können. Diesen Werth aber zu
erkennen ist die große Masse bis jetzt gänzlich unfähig. Die Achtung, die gegen¬
wärtig Viele vor der Wissenschaft und ihren Vertretern haben, beruht auf Tra¬
dition und Gewöhnung, mithin auf einer Basis, die für die Demokratie keine
Festigkeit mehr hat. Und selbst wenn das Volk fähig wäre, den innern Werth
der Wissenschaften zu erkennen, so wird es nie dulden, daß Einzelne bevorzugt
seien für diese geistige Erhebung, die Meisten aber davon ausgeschlossen werde".
So wird es in dem einen Falle nicht gestatten, daß überhaupt Kräfte der Nation
für wissenschaftliche und künstlerische Thätigkeit verwandt werden, in dem andern


dikalismus höchstens der Instinkt des Volkes und vielleicht die Festigkeit der
Regierung.

Viele erklären ein Volk schon darum reif zur Selbstregierung, weil es eine
gewisse Achtung vor dem Gesetz zeigt. Das aber ist blutwenig. Die Hauptsache
ist politische Klugheit und lebendige Theilnahme an allem dem, was ein wahr¬
haftes Volksleben ausmacht. Das Eine nun, die politische Klugheit, fehlt un'
serm Volk, wie es scheint, sast ganz; ob es das andere besitzt, ist wenigstens
problematisch. Und wir sind in der That auf dem Pnnkte, daß der verständigere
Theil des Volkes nicht nur befürchten muß, durch die Thorheiten der großen
Massen in ein Unglück über das andere gestoßen zu werden, sondern daß selbst
dies nicht unmöglich ist, daß der roheste Materialismus und ein abstraktes,
formelles politisches Treiben an die Stelle der geistigen Civilisation, die wir er¬
rungen haben, treten werden.

Daß Wissenschaft und Kunst ohne eine gewisse Unterstützung von Seiten des
Staates nicht existiren können, ist klar. Denn wenn es Männer geben soll, die
damit sich beschäftigen, so müssen sie die Mittel zur Existenz daraus ziehen kön¬
nen; diese aber werden ihnen im Großen und Ganzen nur dnrch den Staat ge¬
währt. Wir waren uun gewöhnt und sind es auch uoch, dies höhere geistige
Leben als etwas so Sicheres zu betrachten, daß es wohl Wenigen eingefallen
sein wird, daß die Demokratie diese Sicherheit vernichten könnte. Was ist denn
Demokratie? Demokratie ist bis jetzt nichts Anderes, als Herrschaft (?) der Klassen,
die auf einer sehr niedrigen Stufe der Bildung stehen. Ich habe schon einmal
erwähnt, daß ich darunter nicht blos die sogenannten Arbeiter, sondern auch
einen großen Theil der Bürger meine, ja ich kann selbst einen nicht geringen
Theil der sogenannten Gebildeten hinzufügen. Es scheint mir nun, daß, wenn
diese Klassen nicht auf eine höhere Stufe der Bildung gehoben werden, wissen¬
schaftliche und künstlerische Beschäftigungen sehr bald als etwas Ueberflüssiges
gelten könnten. Es würde schwer fallen, die praktische Nothwendigkeit dersel¬
ben, z. B. der Philosophie, der Aesthetik, der Philologie nachzuweisen; wenn
man den Werth dieser Wissenschaften nicht in ihnen selbst, d. h. in der Erhe¬
bung des Menschen über die Schranken des Nothwendigen sucht, so wird man
ihnen gar keinen sonderlichen Werth beilegen können. Diesen Werth aber zu
erkennen ist die große Masse bis jetzt gänzlich unfähig. Die Achtung, die gegen¬
wärtig Viele vor der Wissenschaft und ihren Vertretern haben, beruht auf Tra¬
dition und Gewöhnung, mithin auf einer Basis, die für die Demokratie keine
Festigkeit mehr hat. Und selbst wenn das Volk fähig wäre, den innern Werth
der Wissenschaften zu erkennen, so wird es nie dulden, daß Einzelne bevorzugt
seien für diese geistige Erhebung, die Meisten aber davon ausgeschlossen werde».
So wird es in dem einen Falle nicht gestatten, daß überhaupt Kräfte der Nation
für wissenschaftliche und künstlerische Thätigkeit verwandt werden, in dem andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/474>, abgerufen am 26.06.2024.