Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

möglich vorzubeugen, theils könnten die Erfahrungen auch so böse werden, daß
das ganze Volk daran unterginge.

Es gibt nur ein radikales Mittel, Volksbildung ; dies Mittel ist theils schwer,
theils gefährlich. Die Schwierigkeit brauche ich nicht nachzuweisen; die Gefahr
aber liegt darin, daß ein gebildetes, geistig gewecktes Volk mechanische Arbeiten,
die doch für das Bestehen der Gesellschaft unerläßlich sind, scheuen wird. Trotz
dem muß man zu diesem Mittel schreiten, denn es ist das einzig durchgreifende.

Vor der Hand müssen wir uns nun freilich helfen, wie es geht. Es kommt
uns zu gut, daß die größeren Volksmassen in diesem Augenblicke weniger eigenen
Antheil an der Gesetzgebung und Regierung nehmen, als es in einigen Jahren
der Fall sein wird. Es macht sich somit noch nicht gleich von Anfang an der
niedrigste Standpunkt der Bildung geltend. Zeit gewonnen ist aber viel gewon¬
nen, -- vorausgesetzt wenigstens , daß die Besonnenen und Vernünftigen, deren
Zahl in Deutschland doch nicht so klein sein kann, ihre Kräfte aufbieten, wenig¬
stens die Grundbegriffe eines höhern Staatslebens den Massen beizubringen.
Ein zweiter sehr wichtiger Umstand ist, daß wir uns vor allen Dingen nach
Ministern umsehen, die der Bildung der Zeit gewachsen sind. Man sehe vor
Allem hierauf, man rechne politische Versehen, kleine Unsicherheiten nicht so hoch
an; die Hauptsache ist Adel der Gesinnung und der Bildung. Das wichtigste
Ministerium dürfte, wenn wir unsern Blick über die augenblicklichen Zeitverhält¬
nisse erheben, das Unterrichtsministerium sein; denn von der Thätigkeit, die dieses
entwickeln wird, hängt zu allermeist die Zukunft unseres Vaterlandes ab.

Von deu gefährlichen Einflüssen, die sich dem Volke jetzt aufdrängen, heben
wir vor Allem das ultramontane und das radikale Element hervor. Wie kann
ein Volk, das unter dem Einfluß katholischer Geistlichkeit steht, politisch reif
sein? Wenn die Vernunft in diesen Dingen sich nicht frei bewegt, so wird
sie es anch in andern Dingen nicht; die Errungenschaften deutscher Bildung sind
für uns als verloren zu betrachten, wenn es nicht gelingt, die Massen religiös
ganz feci zu machen. Mau achte diese Gesahr nicht zu gering; man vertraue
nicht dem Geiste der Zeit, denn der Geist der Zeit ist kein für sich bestehendes
Wesen, das ohne menschliche Kräfte etwas wirken könnte.

Und die Radikalen? Wenn die Radikalen beim Volke mehr wirken, als die
Gemäßigten, so liegt das eben in der mangelhaften Bildung der geistigen Fähig¬
keiten. Der Radikale hebt einen bestimmten Gedanken scharf hervor, sein Rai-
sonnement ist daher einfach und leicht zu begreifen. Der Gemäßigte wägt ver¬
schiedene und entgegengesetzte Gedanken gegen einander ab, sein Raisonnement ist
complicirt und erfordert Uebung, Elasticität des Geistes. Deu Radikalen läßt
sich dauernd nnr dadurch entgegenwirken, daß das Denken, die Dialektik geübt
wird. Im Augenblick ist dies nicht leicht möglich, so schützt uns gegen den Na-


60*

möglich vorzubeugen, theils könnten die Erfahrungen auch so böse werden, daß
das ganze Volk daran unterginge.

Es gibt nur ein radikales Mittel, Volksbildung ; dies Mittel ist theils schwer,
theils gefährlich. Die Schwierigkeit brauche ich nicht nachzuweisen; die Gefahr
aber liegt darin, daß ein gebildetes, geistig gewecktes Volk mechanische Arbeiten,
die doch für das Bestehen der Gesellschaft unerläßlich sind, scheuen wird. Trotz
dem muß man zu diesem Mittel schreiten, denn es ist das einzig durchgreifende.

Vor der Hand müssen wir uns nun freilich helfen, wie es geht. Es kommt
uns zu gut, daß die größeren Volksmassen in diesem Augenblicke weniger eigenen
Antheil an der Gesetzgebung und Regierung nehmen, als es in einigen Jahren
der Fall sein wird. Es macht sich somit noch nicht gleich von Anfang an der
niedrigste Standpunkt der Bildung geltend. Zeit gewonnen ist aber viel gewon¬
nen, — vorausgesetzt wenigstens , daß die Besonnenen und Vernünftigen, deren
Zahl in Deutschland doch nicht so klein sein kann, ihre Kräfte aufbieten, wenig¬
stens die Grundbegriffe eines höhern Staatslebens den Massen beizubringen.
Ein zweiter sehr wichtiger Umstand ist, daß wir uns vor allen Dingen nach
Ministern umsehen, die der Bildung der Zeit gewachsen sind. Man sehe vor
Allem hierauf, man rechne politische Versehen, kleine Unsicherheiten nicht so hoch
an; die Hauptsache ist Adel der Gesinnung und der Bildung. Das wichtigste
Ministerium dürfte, wenn wir unsern Blick über die augenblicklichen Zeitverhält¬
nisse erheben, das Unterrichtsministerium sein; denn von der Thätigkeit, die dieses
entwickeln wird, hängt zu allermeist die Zukunft unseres Vaterlandes ab.

Von deu gefährlichen Einflüssen, die sich dem Volke jetzt aufdrängen, heben
wir vor Allem das ultramontane und das radikale Element hervor. Wie kann
ein Volk, das unter dem Einfluß katholischer Geistlichkeit steht, politisch reif
sein? Wenn die Vernunft in diesen Dingen sich nicht frei bewegt, so wird
sie es anch in andern Dingen nicht; die Errungenschaften deutscher Bildung sind
für uns als verloren zu betrachten, wenn es nicht gelingt, die Massen religiös
ganz feci zu machen. Mau achte diese Gesahr nicht zu gering; man vertraue
nicht dem Geiste der Zeit, denn der Geist der Zeit ist kein für sich bestehendes
Wesen, das ohne menschliche Kräfte etwas wirken könnte.

Und die Radikalen? Wenn die Radikalen beim Volke mehr wirken, als die
Gemäßigten, so liegt das eben in der mangelhaften Bildung der geistigen Fähig¬
keiten. Der Radikale hebt einen bestimmten Gedanken scharf hervor, sein Rai-
sonnement ist daher einfach und leicht zu begreifen. Der Gemäßigte wägt ver¬
schiedene und entgegengesetzte Gedanken gegen einander ab, sein Raisonnement ist
complicirt und erfordert Uebung, Elasticität des Geistes. Deu Radikalen läßt
sich dauernd nnr dadurch entgegenwirken, daß das Denken, die Dialektik geübt
wird. Im Augenblick ist dies nicht leicht möglich, so schützt uns gegen den Na-


60*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276671"/>
          <p xml:id="ID_1640" prev="#ID_1639"> möglich vorzubeugen, theils könnten die Erfahrungen auch so böse werden, daß<lb/>
das ganze Volk daran unterginge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1641"> Es gibt nur ein radikales Mittel, Volksbildung ; dies Mittel ist theils schwer,<lb/>
theils gefährlich. Die Schwierigkeit brauche ich nicht nachzuweisen; die Gefahr<lb/>
aber liegt darin, daß ein gebildetes, geistig gewecktes Volk mechanische Arbeiten,<lb/>
die doch für das Bestehen der Gesellschaft unerläßlich sind, scheuen wird. Trotz<lb/>
dem muß man zu diesem Mittel schreiten, denn es ist das einzig durchgreifende.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1642"> Vor der Hand müssen wir uns nun freilich helfen, wie es geht. Es kommt<lb/>
uns zu gut, daß die größeren Volksmassen in diesem Augenblicke weniger eigenen<lb/>
Antheil an der Gesetzgebung und Regierung nehmen, als es in einigen Jahren<lb/>
der Fall sein wird. Es macht sich somit noch nicht gleich von Anfang an der<lb/>
niedrigste Standpunkt der Bildung geltend. Zeit gewonnen ist aber viel gewon¬<lb/>
nen, &#x2014; vorausgesetzt wenigstens , daß die Besonnenen und Vernünftigen, deren<lb/>
Zahl in Deutschland doch nicht so klein sein kann, ihre Kräfte aufbieten, wenig¬<lb/>
stens die Grundbegriffe eines höhern Staatslebens den Massen beizubringen.<lb/>
Ein zweiter sehr wichtiger Umstand ist, daß wir uns vor allen Dingen nach<lb/>
Ministern umsehen, die der Bildung der Zeit gewachsen sind. Man sehe vor<lb/>
Allem hierauf, man rechne politische Versehen, kleine Unsicherheiten nicht so hoch<lb/>
an; die Hauptsache ist Adel der Gesinnung und der Bildung. Das wichtigste<lb/>
Ministerium dürfte, wenn wir unsern Blick über die augenblicklichen Zeitverhält¬<lb/>
nisse erheben, das Unterrichtsministerium sein; denn von der Thätigkeit, die dieses<lb/>
entwickeln wird, hängt zu allermeist die Zukunft unseres Vaterlandes ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1643"> Von deu gefährlichen Einflüssen, die sich dem Volke jetzt aufdrängen, heben<lb/>
wir vor Allem das ultramontane und das radikale Element hervor. Wie kann<lb/>
ein Volk, das unter dem Einfluß katholischer Geistlichkeit steht, politisch reif<lb/>
sein? Wenn die Vernunft in diesen Dingen sich nicht frei bewegt, so wird<lb/>
sie es anch in andern Dingen nicht; die Errungenschaften deutscher Bildung sind<lb/>
für uns als verloren zu betrachten, wenn es nicht gelingt, die Massen religiös<lb/>
ganz feci zu machen. Mau achte diese Gesahr nicht zu gering; man vertraue<lb/>
nicht dem Geiste der Zeit, denn der Geist der Zeit ist kein für sich bestehendes<lb/>
Wesen, das ohne menschliche Kräfte etwas wirken könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1644" next="#ID_1645"> Und die Radikalen? Wenn die Radikalen beim Volke mehr wirken, als die<lb/>
Gemäßigten, so liegt das eben in der mangelhaften Bildung der geistigen Fähig¬<lb/>
keiten. Der Radikale hebt einen bestimmten Gedanken scharf hervor, sein Rai-<lb/>
sonnement ist daher einfach und leicht zu begreifen. Der Gemäßigte wägt ver¬<lb/>
schiedene und entgegengesetzte Gedanken gegen einander ab, sein Raisonnement ist<lb/>
complicirt und erfordert Uebung, Elasticität des Geistes. Deu Radikalen läßt<lb/>
sich dauernd nnr dadurch entgegenwirken, daß das Denken, die Dialektik geübt<lb/>
wird. Im Augenblick ist dies nicht leicht möglich, so schützt uns gegen den Na-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 60*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0473] möglich vorzubeugen, theils könnten die Erfahrungen auch so böse werden, daß das ganze Volk daran unterginge. Es gibt nur ein radikales Mittel, Volksbildung ; dies Mittel ist theils schwer, theils gefährlich. Die Schwierigkeit brauche ich nicht nachzuweisen; die Gefahr aber liegt darin, daß ein gebildetes, geistig gewecktes Volk mechanische Arbeiten, die doch für das Bestehen der Gesellschaft unerläßlich sind, scheuen wird. Trotz dem muß man zu diesem Mittel schreiten, denn es ist das einzig durchgreifende. Vor der Hand müssen wir uns nun freilich helfen, wie es geht. Es kommt uns zu gut, daß die größeren Volksmassen in diesem Augenblicke weniger eigenen Antheil an der Gesetzgebung und Regierung nehmen, als es in einigen Jahren der Fall sein wird. Es macht sich somit noch nicht gleich von Anfang an der niedrigste Standpunkt der Bildung geltend. Zeit gewonnen ist aber viel gewon¬ nen, — vorausgesetzt wenigstens , daß die Besonnenen und Vernünftigen, deren Zahl in Deutschland doch nicht so klein sein kann, ihre Kräfte aufbieten, wenig¬ stens die Grundbegriffe eines höhern Staatslebens den Massen beizubringen. Ein zweiter sehr wichtiger Umstand ist, daß wir uns vor allen Dingen nach Ministern umsehen, die der Bildung der Zeit gewachsen sind. Man sehe vor Allem hierauf, man rechne politische Versehen, kleine Unsicherheiten nicht so hoch an; die Hauptsache ist Adel der Gesinnung und der Bildung. Das wichtigste Ministerium dürfte, wenn wir unsern Blick über die augenblicklichen Zeitverhält¬ nisse erheben, das Unterrichtsministerium sein; denn von der Thätigkeit, die dieses entwickeln wird, hängt zu allermeist die Zukunft unseres Vaterlandes ab. Von deu gefährlichen Einflüssen, die sich dem Volke jetzt aufdrängen, heben wir vor Allem das ultramontane und das radikale Element hervor. Wie kann ein Volk, das unter dem Einfluß katholischer Geistlichkeit steht, politisch reif sein? Wenn die Vernunft in diesen Dingen sich nicht frei bewegt, so wird sie es anch in andern Dingen nicht; die Errungenschaften deutscher Bildung sind für uns als verloren zu betrachten, wenn es nicht gelingt, die Massen religiös ganz feci zu machen. Mau achte diese Gesahr nicht zu gering; man vertraue nicht dem Geiste der Zeit, denn der Geist der Zeit ist kein für sich bestehendes Wesen, das ohne menschliche Kräfte etwas wirken könnte. Und die Radikalen? Wenn die Radikalen beim Volke mehr wirken, als die Gemäßigten, so liegt das eben in der mangelhaften Bildung der geistigen Fähig¬ keiten. Der Radikale hebt einen bestimmten Gedanken scharf hervor, sein Rai- sonnement ist daher einfach und leicht zu begreifen. Der Gemäßigte wägt ver¬ schiedene und entgegengesetzte Gedanken gegen einander ab, sein Raisonnement ist complicirt und erfordert Uebung, Elasticität des Geistes. Deu Radikalen läßt sich dauernd nnr dadurch entgegenwirken, daß das Denken, die Dialektik geübt wird. Im Augenblick ist dies nicht leicht möglich, so schützt uns gegen den Na- 60*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/473
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/473>, abgerufen am 26.06.2024.