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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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leben und die Staatskunst in so complicirten Verhältnissen bewegt; was soll nun
wohl daraus werden, wenn die Massen darüber entscheiden wollen?

Zwar klärt sich diese chaotische Masse etwas ab, denn sie gibt nicht selbst
Gesetze, sondern durch ihre Deputaten; aber sie ist es doch, die den Fähigen von
dem Unfähigen unterscheiden soll, ihre Ansichten kommen durch den Deputaten,
den sie wählt, doch nur zu einer klareren Form; so bleibt die Meinung, die Ge¬
sinnung, die Bildung der Massen doch immer entscheidend.

Wenn die untern Schichten des Volkes fast gänzlich, die höhern, wenigstens
in der Politik, ziemlich roh sind, so trifft die Schuld dieses Zustandes großentheils
die frühere Regierung. Denn mehr konnte allerdings für Volksbildung geschehen,
als geschehen ist. Es kommt weit weniger darauf an, daß ein jeder Staatsbürger
bedeutende positive Kenntnisse hat, als darauf, daß seiue geistige Thätigkeit, die
Leichtigkeit im Begreifen, die Beweglichkeit des Denkens, die Beherrschung schwie¬
riger BegriffScombinationen geweckt und geübt wird. Für die Ausbildung dieser
Kräfte hat das alte System uicht nur nichts gethan, sondern es hat die freie
geistige Thätigkeit sogar zu unterdrücken sich bemüht. Wenn, die Freiheit des
Denkens direct oder indirect in religiösen und politischen Dingen untergraben
wird, so wird dem Talent des Denkens die natürlichste Nahrung entzogen, und
die Freiheit des Geistes wird nicht nur in diesen bestimmten Gegenständen, son¬
dern überhaupt unterdrückt. Daher kommt es denn, daß Männer, die sonst ganz
verständig und praktisch und vielseitig sind, jetzt in der Politik die einfachsten Be¬
griffe nicht fassen können; sie sind wohl gebildet, aber in Aeußerlichkeiten; das
innere Wesen aller Bildung, die Elasticität des Geistes, geht ihnen ab.

Früher war die Thorheit, die Unklarheit, die Unwissenheit des Volkes für
das Ganze unschädlich, darum bekümmerte man sich wenig um sie und ließ nach
dieser Seite hin Alles gehen, wie es ging. Man muß sich jetzt aber an die ent¬
gegengesetzte Stellung gewöhnen, zu der das Volk gekommen ist. So scharf, wie
früher die Opposition gegen die Thorheiten der Regierungen sich verhielt, eben
so scharf muß sie sich jetzt gegen die Thorheiten des Volkslebens wenden, denn
von unten her werden wir regiert.

Ich halte, wie ich schon im Anfange dieses Aufsatzes bemerkte, die Demokra¬
tie, d. h. als demokratische Monarchie für etwas Thatsächliches. Selbst wenn die
preußische oder deutsche Nationalversammlung durch Bildung einer ersten oligar-
chisch zusammengesetzten Kammer das demokratische Princip beschränken sollte, selbst
dann halte ich die Demokratie für thatsächlich, denn die oligarchische Kammer
würde von nicht viel längerem Bestand sein, als es/die preußischen Stände vom
3. Februar waren. Wenn aber die Demokratie selbst Bestand haben soll, so muß
unzweifelhaft aus dem Volk etwas ganz Anderes gemacht werden, als es jetzt ist.

Der Schule der Erfahrung vertraue man nicht allzu sehr. Denn theils ist
dies eine sehr harte Schule, und es ist klug, den bösen Erfahrungen so viel als


leben und die Staatskunst in so complicirten Verhältnissen bewegt; was soll nun
wohl daraus werden, wenn die Massen darüber entscheiden wollen?

Zwar klärt sich diese chaotische Masse etwas ab, denn sie gibt nicht selbst
Gesetze, sondern durch ihre Deputaten; aber sie ist es doch, die den Fähigen von
dem Unfähigen unterscheiden soll, ihre Ansichten kommen durch den Deputaten,
den sie wählt, doch nur zu einer klareren Form; so bleibt die Meinung, die Ge¬
sinnung, die Bildung der Massen doch immer entscheidend.

Wenn die untern Schichten des Volkes fast gänzlich, die höhern, wenigstens
in der Politik, ziemlich roh sind, so trifft die Schuld dieses Zustandes großentheils
die frühere Regierung. Denn mehr konnte allerdings für Volksbildung geschehen,
als geschehen ist. Es kommt weit weniger darauf an, daß ein jeder Staatsbürger
bedeutende positive Kenntnisse hat, als darauf, daß seiue geistige Thätigkeit, die
Leichtigkeit im Begreifen, die Beweglichkeit des Denkens, die Beherrschung schwie¬
riger BegriffScombinationen geweckt und geübt wird. Für die Ausbildung dieser
Kräfte hat das alte System uicht nur nichts gethan, sondern es hat die freie
geistige Thätigkeit sogar zu unterdrücken sich bemüht. Wenn, die Freiheit des
Denkens direct oder indirect in religiösen und politischen Dingen untergraben
wird, so wird dem Talent des Denkens die natürlichste Nahrung entzogen, und
die Freiheit des Geistes wird nicht nur in diesen bestimmten Gegenständen, son¬
dern überhaupt unterdrückt. Daher kommt es denn, daß Männer, die sonst ganz
verständig und praktisch und vielseitig sind, jetzt in der Politik die einfachsten Be¬
griffe nicht fassen können; sie sind wohl gebildet, aber in Aeußerlichkeiten; das
innere Wesen aller Bildung, die Elasticität des Geistes, geht ihnen ab.

Früher war die Thorheit, die Unklarheit, die Unwissenheit des Volkes für
das Ganze unschädlich, darum bekümmerte man sich wenig um sie und ließ nach
dieser Seite hin Alles gehen, wie es ging. Man muß sich jetzt aber an die ent¬
gegengesetzte Stellung gewöhnen, zu der das Volk gekommen ist. So scharf, wie
früher die Opposition gegen die Thorheiten der Regierungen sich verhielt, eben
so scharf muß sie sich jetzt gegen die Thorheiten des Volkslebens wenden, denn
von unten her werden wir regiert.

Ich halte, wie ich schon im Anfange dieses Aufsatzes bemerkte, die Demokra¬
tie, d. h. als demokratische Monarchie für etwas Thatsächliches. Selbst wenn die
preußische oder deutsche Nationalversammlung durch Bildung einer ersten oligar-
chisch zusammengesetzten Kammer das demokratische Princip beschränken sollte, selbst
dann halte ich die Demokratie für thatsächlich, denn die oligarchische Kammer
würde von nicht viel längerem Bestand sein, als es/die preußischen Stände vom
3. Februar waren. Wenn aber die Demokratie selbst Bestand haben soll, so muß
unzweifelhaft aus dem Volk etwas ganz Anderes gemacht werden, als es jetzt ist.

Der Schule der Erfahrung vertraue man nicht allzu sehr. Denn theils ist
dies eine sehr harte Schule, und es ist klug, den bösen Erfahrungen so viel als


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[0472] leben und die Staatskunst in so complicirten Verhältnissen bewegt; was soll nun wohl daraus werden, wenn die Massen darüber entscheiden wollen? Zwar klärt sich diese chaotische Masse etwas ab, denn sie gibt nicht selbst Gesetze, sondern durch ihre Deputaten; aber sie ist es doch, die den Fähigen von dem Unfähigen unterscheiden soll, ihre Ansichten kommen durch den Deputaten, den sie wählt, doch nur zu einer klareren Form; so bleibt die Meinung, die Ge¬ sinnung, die Bildung der Massen doch immer entscheidend. Wenn die untern Schichten des Volkes fast gänzlich, die höhern, wenigstens in der Politik, ziemlich roh sind, so trifft die Schuld dieses Zustandes großentheils die frühere Regierung. Denn mehr konnte allerdings für Volksbildung geschehen, als geschehen ist. Es kommt weit weniger darauf an, daß ein jeder Staatsbürger bedeutende positive Kenntnisse hat, als darauf, daß seiue geistige Thätigkeit, die Leichtigkeit im Begreifen, die Beweglichkeit des Denkens, die Beherrschung schwie¬ riger BegriffScombinationen geweckt und geübt wird. Für die Ausbildung dieser Kräfte hat das alte System uicht nur nichts gethan, sondern es hat die freie geistige Thätigkeit sogar zu unterdrücken sich bemüht. Wenn, die Freiheit des Denkens direct oder indirect in religiösen und politischen Dingen untergraben wird, so wird dem Talent des Denkens die natürlichste Nahrung entzogen, und die Freiheit des Geistes wird nicht nur in diesen bestimmten Gegenständen, son¬ dern überhaupt unterdrückt. Daher kommt es denn, daß Männer, die sonst ganz verständig und praktisch und vielseitig sind, jetzt in der Politik die einfachsten Be¬ griffe nicht fassen können; sie sind wohl gebildet, aber in Aeußerlichkeiten; das innere Wesen aller Bildung, die Elasticität des Geistes, geht ihnen ab. Früher war die Thorheit, die Unklarheit, die Unwissenheit des Volkes für das Ganze unschädlich, darum bekümmerte man sich wenig um sie und ließ nach dieser Seite hin Alles gehen, wie es ging. Man muß sich jetzt aber an die ent¬ gegengesetzte Stellung gewöhnen, zu der das Volk gekommen ist. So scharf, wie früher die Opposition gegen die Thorheiten der Regierungen sich verhielt, eben so scharf muß sie sich jetzt gegen die Thorheiten des Volkslebens wenden, denn von unten her werden wir regiert. Ich halte, wie ich schon im Anfange dieses Aufsatzes bemerkte, die Demokra¬ tie, d. h. als demokratische Monarchie für etwas Thatsächliches. Selbst wenn die preußische oder deutsche Nationalversammlung durch Bildung einer ersten oligar- chisch zusammengesetzten Kammer das demokratische Princip beschränken sollte, selbst dann halte ich die Demokratie für thatsächlich, denn die oligarchische Kammer würde von nicht viel längerem Bestand sein, als es/die preußischen Stände vom 3. Februar waren. Wenn aber die Demokratie selbst Bestand haben soll, so muß unzweifelhaft aus dem Volk etwas ganz Anderes gemacht werden, als es jetzt ist. Der Schule der Erfahrung vertraue man nicht allzu sehr. Denn theils ist dies eine sehr harte Schule, und es ist klug, den bösen Erfahrungen so viel als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/472>, abgerufen am 26.06.2024.