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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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müssen, daß man auch einen Blick für die Vorzüge der frühern preußischen Regierung,
habe; man hätte endlich die Einheit Deutschlands höher stellen müssen, als solche
kleinliche und meist grundlose Differenzen, Es war natürlich, daß der Haß der
Süddeutschen auch in Preußen eine gereizte Stimmung hervorbrachte, obschon
meines Wissens in Preußen stets eine große Zuneigung zu Süddeutschland herrschte,
die 'auch durch jene Vorgänge keineswegs erloschen ist. -- Etwas Aehnliches zeigt
sich noch jetzt in den Rheinlanden. Die Stimmung der großen Masse ist hier ent¬
schieden antipreußisch, auch hier ist man nicht im Stande, das alte Preußen von
dem neuen Preußen, die preußische Regierung von dem preußischen Volk zu tren¬
nen. -- Wie in den Rheinlanden und in Süddentschland, so zeigen sich die Radikalen
auch in Berlin. Was man in den Berliner Clubs Hort, das sind fast mir sans¬
culottische Philippiken gegen Gespenster von Reaction, Devaluationen ohne Zu¬
sammenhang und ohne Wahrheit. Die Freiheit ist der einzige Begriff, den diese
Leute haben. Wenn Katzenmusiken verboten werden, so ist das ein Attentat gegen
die Freiheit, wenn die Polen wegen der gegen die Deutschen verübten Gewalt¬
samkeiten bekriegt, wenn die Forderungen, die sie stellen, nicht unverkürzt bewilligt
werde", so siud das Attentate gegen die Freiheit, und so fort. Die Massen ent¬
scheiden jetzt unser Geschick. Denn sie beurtheilen, wer am fähigsten zur Gesetz¬
gebung nud Regierung des Staates sei; und bis jetzt macht der bei ihnen das
meiste Gluck, der seine Ansichten am plumpsten und massivsten ausspricht. Es ist
in dieser Hinsicht kein großer Unterschied zwischen Arbeitern und Bürgern, zwischen
Anhängern des alten und des neuen Systems; der eine verlangt diese Ansichten
ausgesprochen zu hören, der andere jene; aber die Farbe, der Ton des Talents
wird bei den verschiedenen Parteien ziemlich gleich gefordert. -- Eben so wider¬
wärtig, als der Fanatismus der Radikalen, ist das Widerstreben der Anhänger
des alten Systems, die Konsequenz der Doktrinäre und der früheren Konstitutio¬
nellen, und die Verzagtheit derjenigen, deren ganzes Denken und Streben sich
um die Begriffe Ruhe und Ordnung bewegt.

Die vielfachen Verirrungen, die sich in dem öffentlichen Leben der letzten
Monate auf allen Seiten gezeigt haben, lassen sich auf verschiedene Gründe zurück¬
führen. Es ist theils Eigensinn, theils jesuitische Berechnung, zum größten Theile
aber Unfähigkeit, Schwerfälligkeit des Denkens und die Unfähigkeit für um¬
fassendere Gedankencombinationcn. Der gemeine Mann begreift zur Noth wohl
einen abstracten Gedanken, aber man muß nicht zu viel auf einmal von ihm ver-.
langen. Wenn man ihm sagt: deine Freiheit soll nicht beschränkt werden, so ver¬
steht er das und weiß auch in den einzelnen Fällen zu beurtheilen, ob sie beschränkt
wird oder nicht. Wenn man ihm aber sagt: die Freiheit muß zugleich um ihrer
selbst willen beschränkt werden und man "ritt ihm am einzelnen Gesetz auseinan¬
dersetzen, daß gerade diese Beschränkung eine nothwendige sei, so wird das in der
Regel schon zu complicirt für ihn. Rum ist das Unglück, daß sich das Staats-


Grcnzbvten. II. 1848.

müssen, daß man auch einen Blick für die Vorzüge der frühern preußischen Regierung,
habe; man hätte endlich die Einheit Deutschlands höher stellen müssen, als solche
kleinliche und meist grundlose Differenzen, Es war natürlich, daß der Haß der
Süddeutschen auch in Preußen eine gereizte Stimmung hervorbrachte, obschon
meines Wissens in Preußen stets eine große Zuneigung zu Süddeutschland herrschte,
die 'auch durch jene Vorgänge keineswegs erloschen ist. — Etwas Aehnliches zeigt
sich noch jetzt in den Rheinlanden. Die Stimmung der großen Masse ist hier ent¬
schieden antipreußisch, auch hier ist man nicht im Stande, das alte Preußen von
dem neuen Preußen, die preußische Regierung von dem preußischen Volk zu tren¬
nen. — Wie in den Rheinlanden und in Süddentschland, so zeigen sich die Radikalen
auch in Berlin. Was man in den Berliner Clubs Hort, das sind fast mir sans¬
culottische Philippiken gegen Gespenster von Reaction, Devaluationen ohne Zu¬
sammenhang und ohne Wahrheit. Die Freiheit ist der einzige Begriff, den diese
Leute haben. Wenn Katzenmusiken verboten werden, so ist das ein Attentat gegen
die Freiheit, wenn die Polen wegen der gegen die Deutschen verübten Gewalt¬
samkeiten bekriegt, wenn die Forderungen, die sie stellen, nicht unverkürzt bewilligt
werde», so siud das Attentate gegen die Freiheit, und so fort. Die Massen ent¬
scheiden jetzt unser Geschick. Denn sie beurtheilen, wer am fähigsten zur Gesetz¬
gebung nud Regierung des Staates sei; und bis jetzt macht der bei ihnen das
meiste Gluck, der seine Ansichten am plumpsten und massivsten ausspricht. Es ist
in dieser Hinsicht kein großer Unterschied zwischen Arbeitern und Bürgern, zwischen
Anhängern des alten und des neuen Systems; der eine verlangt diese Ansichten
ausgesprochen zu hören, der andere jene; aber die Farbe, der Ton des Talents
wird bei den verschiedenen Parteien ziemlich gleich gefordert. — Eben so wider¬
wärtig, als der Fanatismus der Radikalen, ist das Widerstreben der Anhänger
des alten Systems, die Konsequenz der Doktrinäre und der früheren Konstitutio¬
nellen, und die Verzagtheit derjenigen, deren ganzes Denken und Streben sich
um die Begriffe Ruhe und Ordnung bewegt.

Die vielfachen Verirrungen, die sich in dem öffentlichen Leben der letzten
Monate auf allen Seiten gezeigt haben, lassen sich auf verschiedene Gründe zurück¬
führen. Es ist theils Eigensinn, theils jesuitische Berechnung, zum größten Theile
aber Unfähigkeit, Schwerfälligkeit des Denkens und die Unfähigkeit für um¬
fassendere Gedankencombinationcn. Der gemeine Mann begreift zur Noth wohl
einen abstracten Gedanken, aber man muß nicht zu viel auf einmal von ihm ver-.
langen. Wenn man ihm sagt: deine Freiheit soll nicht beschränkt werden, so ver¬
steht er das und weiß auch in den einzelnen Fällen zu beurtheilen, ob sie beschränkt
wird oder nicht. Wenn man ihm aber sagt: die Freiheit muß zugleich um ihrer
selbst willen beschränkt werden und man »ritt ihm am einzelnen Gesetz auseinan¬
dersetzen, daß gerade diese Beschränkung eine nothwendige sei, so wird das in der
Regel schon zu complicirt für ihn. Rum ist das Unglück, daß sich das Staats-


Grcnzbvten. II. 1848.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/471>, abgerufen am 26.06.2024.