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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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In einer Stunde, wo ich bei ihm hospitirte, declamirte man den Fischer von
Goethe. Der Lehrer, gegenwärtig der Sohn des Professor Schröer, war mit den
verschiedenen Vorträgen des Gedichtes vollkommen zufrieden und ich selbst mußte
mir sagen, daß hier mehr geleistet wurde als man erwarten konnte. Aber dennoch
machten diese Vorträge auf mich einen peinlichen Eindruck. Die Zunge dieser
deutschen Studenten in Ungarn erinnerte doch an's Magyarische dnrch ihre breite
und allzu volle Aussprache, welcye mir noch um so mehr hervortrat, je langsamer
und behutsamer mau sprach. Es war gewiß etwas Besseres, als eine selbstgefällige
Eitelkeit auf meine deutsche Muttersprache, wenn ich, sobald ich mich wieder allein
sah, unwillkürlich anfing, den Fischer halblaut für mich her zu sagen, gleichsam um
mich der schonen Goethe'schen Worte wieder in ihrer Reinheit zu versichern. "Das
Wasser rauscht, das Wasser schwoll!" Ich hätte nie gedacht, daß ich mich bei
diesen einfachen Worten noch einmal freuen würde, zwischen Elbe und Weser ge¬
boren zu sein.

Man kann übrigens nicht von den höheren Lehranstalten in Ungarn reden,
ohne anch der deutschen Universitäten zu gedenken. Denn alles, was dort auf
wahre wissenschaftliche Bildung Anspruch macht, muß in Deutschland selbst studirt
haben. Meines Wissens haben sich in Norddeutschland die Studenten aus Un¬
garn so vertheilt, daß in Berlin vorzugsweise die Magyaren, in Halle die Slo-
vaken und in Jena die Deutschen sich aushalte". Leipzig soll viele Sachsen aus
Siebenbürgen haben. Wenn nun anch nirgends eine deutsche Universität von
einer bestimmte" Nationalität aus Ungarn ausschließlich besucht werden möchte,
so wird doch gewiß die eine oder die andere überall vorherrschen. Durch die
lateinischen Floskeln in ihren Pässen allen und jeden Behörden hinlänglich em¬
pfohlen, treten in jedem neuen Semester, selbst ans dem fernen Siebenbürgen,
bärtige junge Männer schaarenweise die Reise nach den deutschen Hochschulen
an. Auf jeder Universität bilden sie eine Art von eigener Corporation, einen
Staat im Staate. Am wenigsten schließen sich natürlich die Deutsch-Ungarn
ab, welche mehr durch den Umgang mit ihren Stammverwandten, als in den
Hörsälen lernen. Am fleißigsten möchten die Slaven sein, welche sich in letzter
Zeit mit einer wahren Vehemenz auf die Hegel'sehe Philosophie geworfen hatten,
die freilich Mancher von ihnen "ur benutzte, um -- den Panslavismus und die
welthistorische Bedeutung des Czarcuthumö zu construiren! Am lustigsten lebten
im Winter 1845 -- 4ti die Magyaren in Berlin. Ein Vicegcspa", der Schulden
halber seine Pnszte in Ungarn hatte verlassen müssen und selbst längst über die
Jahre des akademischen Studiums hinaus war, war ihr Häuptling, ein dankbarer
Berliner Schneider, welchen einst ans der Wanderschaft in Ungarn ein Magyar
durch eiuen Gulden vom Untergange errettet hatte, ihr Haushofmeister und un¬
ermüdlich thätig, alle ihre gcminsameu Wünsche zu befriedigen. Eine Anzahl
Schnciderjungsern bildeten den Hofstaat und erschienen an jedem Sonntag Nach-


In einer Stunde, wo ich bei ihm hospitirte, declamirte man den Fischer von
Goethe. Der Lehrer, gegenwärtig der Sohn des Professor Schröer, war mit den
verschiedenen Vorträgen des Gedichtes vollkommen zufrieden und ich selbst mußte
mir sagen, daß hier mehr geleistet wurde als man erwarten konnte. Aber dennoch
machten diese Vorträge auf mich einen peinlichen Eindruck. Die Zunge dieser
deutschen Studenten in Ungarn erinnerte doch an's Magyarische dnrch ihre breite
und allzu volle Aussprache, welcye mir noch um so mehr hervortrat, je langsamer
und behutsamer mau sprach. Es war gewiß etwas Besseres, als eine selbstgefällige
Eitelkeit auf meine deutsche Muttersprache, wenn ich, sobald ich mich wieder allein
sah, unwillkürlich anfing, den Fischer halblaut für mich her zu sagen, gleichsam um
mich der schonen Goethe'schen Worte wieder in ihrer Reinheit zu versichern. „Das
Wasser rauscht, das Wasser schwoll!" Ich hätte nie gedacht, daß ich mich bei
diesen einfachen Worten noch einmal freuen würde, zwischen Elbe und Weser ge¬
boren zu sein.

Man kann übrigens nicht von den höheren Lehranstalten in Ungarn reden,
ohne anch der deutschen Universitäten zu gedenken. Denn alles, was dort auf
wahre wissenschaftliche Bildung Anspruch macht, muß in Deutschland selbst studirt
haben. Meines Wissens haben sich in Norddeutschland die Studenten aus Un¬
garn so vertheilt, daß in Berlin vorzugsweise die Magyaren, in Halle die Slo-
vaken und in Jena die Deutschen sich aushalte». Leipzig soll viele Sachsen aus
Siebenbürgen haben. Wenn nun anch nirgends eine deutsche Universität von
einer bestimmte» Nationalität aus Ungarn ausschließlich besucht werden möchte,
so wird doch gewiß die eine oder die andere überall vorherrschen. Durch die
lateinischen Floskeln in ihren Pässen allen und jeden Behörden hinlänglich em¬
pfohlen, treten in jedem neuen Semester, selbst ans dem fernen Siebenbürgen,
bärtige junge Männer schaarenweise die Reise nach den deutschen Hochschulen
an. Auf jeder Universität bilden sie eine Art von eigener Corporation, einen
Staat im Staate. Am wenigsten schließen sich natürlich die Deutsch-Ungarn
ab, welche mehr durch den Umgang mit ihren Stammverwandten, als in den
Hörsälen lernen. Am fleißigsten möchten die Slaven sein, welche sich in letzter
Zeit mit einer wahren Vehemenz auf die Hegel'sehe Philosophie geworfen hatten,
die freilich Mancher von ihnen »ur benutzte, um — den Panslavismus und die
welthistorische Bedeutung des Czarcuthumö zu construiren! Am lustigsten lebten
im Winter 1845 — 4ti die Magyaren in Berlin. Ein Vicegcspa», der Schulden
halber seine Pnszte in Ungarn hatte verlassen müssen und selbst längst über die
Jahre des akademischen Studiums hinaus war, war ihr Häuptling, ein dankbarer
Berliner Schneider, welchen einst ans der Wanderschaft in Ungarn ein Magyar
durch eiuen Gulden vom Untergange errettet hatte, ihr Haushofmeister und un¬
ermüdlich thätig, alle ihre gcminsameu Wünsche zu befriedigen. Eine Anzahl
Schnciderjungsern bildeten den Hofstaat und erschienen an jedem Sonntag Nach-


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[0467] In einer Stunde, wo ich bei ihm hospitirte, declamirte man den Fischer von Goethe. Der Lehrer, gegenwärtig der Sohn des Professor Schröer, war mit den verschiedenen Vorträgen des Gedichtes vollkommen zufrieden und ich selbst mußte mir sagen, daß hier mehr geleistet wurde als man erwarten konnte. Aber dennoch machten diese Vorträge auf mich einen peinlichen Eindruck. Die Zunge dieser deutschen Studenten in Ungarn erinnerte doch an's Magyarische dnrch ihre breite und allzu volle Aussprache, welcye mir noch um so mehr hervortrat, je langsamer und behutsamer mau sprach. Es war gewiß etwas Besseres, als eine selbstgefällige Eitelkeit auf meine deutsche Muttersprache, wenn ich, sobald ich mich wieder allein sah, unwillkürlich anfing, den Fischer halblaut für mich her zu sagen, gleichsam um mich der schonen Goethe'schen Worte wieder in ihrer Reinheit zu versichern. „Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll!" Ich hätte nie gedacht, daß ich mich bei diesen einfachen Worten noch einmal freuen würde, zwischen Elbe und Weser ge¬ boren zu sein. Man kann übrigens nicht von den höheren Lehranstalten in Ungarn reden, ohne anch der deutschen Universitäten zu gedenken. Denn alles, was dort auf wahre wissenschaftliche Bildung Anspruch macht, muß in Deutschland selbst studirt haben. Meines Wissens haben sich in Norddeutschland die Studenten aus Un¬ garn so vertheilt, daß in Berlin vorzugsweise die Magyaren, in Halle die Slo- vaken und in Jena die Deutschen sich aushalte». Leipzig soll viele Sachsen aus Siebenbürgen haben. Wenn nun anch nirgends eine deutsche Universität von einer bestimmte» Nationalität aus Ungarn ausschließlich besucht werden möchte, so wird doch gewiß die eine oder die andere überall vorherrschen. Durch die lateinischen Floskeln in ihren Pässen allen und jeden Behörden hinlänglich em¬ pfohlen, treten in jedem neuen Semester, selbst ans dem fernen Siebenbürgen, bärtige junge Männer schaarenweise die Reise nach den deutschen Hochschulen an. Auf jeder Universität bilden sie eine Art von eigener Corporation, einen Staat im Staate. Am wenigsten schließen sich natürlich die Deutsch-Ungarn ab, welche mehr durch den Umgang mit ihren Stammverwandten, als in den Hörsälen lernen. Am fleißigsten möchten die Slaven sein, welche sich in letzter Zeit mit einer wahren Vehemenz auf die Hegel'sehe Philosophie geworfen hatten, die freilich Mancher von ihnen »ur benutzte, um — den Panslavismus und die welthistorische Bedeutung des Czarcuthumö zu construiren! Am lustigsten lebten im Winter 1845 — 4ti die Magyaren in Berlin. Ein Vicegcspa», der Schulden halber seine Pnszte in Ungarn hatte verlassen müssen und selbst längst über die Jahre des akademischen Studiums hinaus war, war ihr Häuptling, ein dankbarer Berliner Schneider, welchen einst ans der Wanderschaft in Ungarn ein Magyar durch eiuen Gulden vom Untergange errettet hatte, ihr Haushofmeister und un¬ ermüdlich thätig, alle ihre gcminsameu Wünsche zu befriedigen. Eine Anzahl Schnciderjungsern bildeten den Hofstaat und erschienen an jedem Sonntag Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/467>, abgerufen am 26.06.2024.