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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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mittage auf den Bällen, welche der Reihe nach ans den engen Stuben der Söhne
Ungarns stattfanden.

Der Geistliche SMks in Pesth hatte die Absicht, die deutschen Universi¬
täten zu bereisen, um seinen dort studirenden Landsleuten eine Reihe angeblich
in Vergessenheit gerathener Stipendien wieder zu gewinnen, auf welche er in
Folge einiger in seinen geistlichen Archiven aufgefundenen Docmueute Anspruch
macht. Die ungarischen Studenten sollen in früheren Jahrhunderten auf deutschen
Universitäten eine sehr bedeutende Rolle gespielt haben und einer von ihnen, ein
Maguat, war Prorector in Wittenberg. Weil nur die Söhne der reichsten nud
vornehmsten Ungarn nach Deutschland gehen konnten, so brauchte man sie hier
keineswegs durch Beneftcieu vor Noth und Elend zu bewahren, wohl aber setzte
man ihnen Stipendien aus, damit sie mit noch größerer Pracht und mit erhöhtem
Aufwande unter ihren deutschen Kommilitonen leben konnten. So werden noch
jetzt in Halle Stipendien an sie ausgezahlt, welche den Namen Weinstipendieu
führen.

Wir werfen jetzt noch einen Blick auf die Literatur in Ungarn. Mit der
Erhebung, mit dem Siege der magyarischen Nationalität Hand in Hand geht
das Auftreten eines Dichters, auf deu die Ungarn wahrlich stolz sein können.
Ich meine Petöfi. Petöfi war lauge Zeit Soldat bei den ungarischen Regimen¬
tern in Italien, kehrte endlich in sein Vaterland zurück, nicht ohne durch deu
Aufenthalt in der Fremde die tieferen Anregungen erfahren zu haben, welche ihn
die Originalität deö Magyarenthums mit Bewußtsein erfassen ließ. Mag er uns
den Ritt des Schafhirten beschreiben, welcher von der Haide auf seinem Esel
an das Sterbebette seines Weibes eilt und da er doch zu spät kommt, seinen
Schmerz nur dadurch beweist, daß er dem Esel mit seiner laugen Hirtenstange
einen Schlag über deu Kopf gibt; oder mag er uns den Gutsherrn schildern,
welcher von seinem Lager aus einem Diener zuruft: Du Schlingel, öffne mir
einmal die Thüre meines Hauses, damit ich sehen kann, ob draußen meine Leute,
die Faulpelze, arbeiten! -- überall sehen wir das ungarische Leben mit seinen
wilden unverschleierten Reizen vor uns. --

Die slovatischen Dichter, deren bereits einige vorhanden sind, werden Mühe
haben, wenn sie mit ihren Poesien den Werth ihrer Volkslieder auch mir annä¬
herungsweise erreichen wollen. Es liegt in diesen etwas ungemein Zartes, Ein¬
schmeichelndes und Liebliches neben einer tiefen Melancholie. Welch ein prächtiges
Bild, wenn der Jüngling klagt: wie der Stein, deu ich in die Donau werfe,
schwindet meine Jugend! Aber gleich ist er wieder fröhlich und bereit, die Ge¬
legenheit beim Schöpfe zu nehmen: denn ein Mädchen steht am Brunnen und
tränkt einen Schwan. Mädchen, gefall ich Dir? fragt er, hinzutretend. Der
Werth der slavischen Volkslieder überhaupt ist hinlänglich bekannt und wär eS
anch nur ans Kappcr's slavischen Melodien. Ein neuerdings von Fränkl übersetztes


mittage auf den Bällen, welche der Reihe nach ans den engen Stuben der Söhne
Ungarns stattfanden.

Der Geistliche SMks in Pesth hatte die Absicht, die deutschen Universi¬
täten zu bereisen, um seinen dort studirenden Landsleuten eine Reihe angeblich
in Vergessenheit gerathener Stipendien wieder zu gewinnen, auf welche er in
Folge einiger in seinen geistlichen Archiven aufgefundenen Docmueute Anspruch
macht. Die ungarischen Studenten sollen in früheren Jahrhunderten auf deutschen
Universitäten eine sehr bedeutende Rolle gespielt haben und einer von ihnen, ein
Maguat, war Prorector in Wittenberg. Weil nur die Söhne der reichsten nud
vornehmsten Ungarn nach Deutschland gehen konnten, so brauchte man sie hier
keineswegs durch Beneftcieu vor Noth und Elend zu bewahren, wohl aber setzte
man ihnen Stipendien aus, damit sie mit noch größerer Pracht und mit erhöhtem
Aufwande unter ihren deutschen Kommilitonen leben konnten. So werden noch
jetzt in Halle Stipendien an sie ausgezahlt, welche den Namen Weinstipendieu
führen.

Wir werfen jetzt noch einen Blick auf die Literatur in Ungarn. Mit der
Erhebung, mit dem Siege der magyarischen Nationalität Hand in Hand geht
das Auftreten eines Dichters, auf deu die Ungarn wahrlich stolz sein können.
Ich meine Petöfi. Petöfi war lauge Zeit Soldat bei den ungarischen Regimen¬
tern in Italien, kehrte endlich in sein Vaterland zurück, nicht ohne durch deu
Aufenthalt in der Fremde die tieferen Anregungen erfahren zu haben, welche ihn
die Originalität deö Magyarenthums mit Bewußtsein erfassen ließ. Mag er uns
den Ritt des Schafhirten beschreiben, welcher von der Haide auf seinem Esel
an das Sterbebette seines Weibes eilt und da er doch zu spät kommt, seinen
Schmerz nur dadurch beweist, daß er dem Esel mit seiner laugen Hirtenstange
einen Schlag über deu Kopf gibt; oder mag er uns den Gutsherrn schildern,
welcher von seinem Lager aus einem Diener zuruft: Du Schlingel, öffne mir
einmal die Thüre meines Hauses, damit ich sehen kann, ob draußen meine Leute,
die Faulpelze, arbeiten! — überall sehen wir das ungarische Leben mit seinen
wilden unverschleierten Reizen vor uns. —

Die slovatischen Dichter, deren bereits einige vorhanden sind, werden Mühe
haben, wenn sie mit ihren Poesien den Werth ihrer Volkslieder auch mir annä¬
herungsweise erreichen wollen. Es liegt in diesen etwas ungemein Zartes, Ein¬
schmeichelndes und Liebliches neben einer tiefen Melancholie. Welch ein prächtiges
Bild, wenn der Jüngling klagt: wie der Stein, deu ich in die Donau werfe,
schwindet meine Jugend! Aber gleich ist er wieder fröhlich und bereit, die Ge¬
legenheit beim Schöpfe zu nehmen: denn ein Mädchen steht am Brunnen und
tränkt einen Schwan. Mädchen, gefall ich Dir? fragt er, hinzutretend. Der
Werth der slavischen Volkslieder überhaupt ist hinlänglich bekannt und wär eS
anch nur ans Kappcr's slavischen Melodien. Ein neuerdings von Fränkl übersetztes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/468>, abgerufen am 23.07.2024.