Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aus dem Deutschen in's Magyarische übersetzt hat! -- Seit einigen Jahren hat
Herr Teichengräber, ein junger Deutscher, der wegen seiner Hingabe an den Ma-
gyarismns sehr früh der Director einer einflußreichen Lehranstalt in Pesth gewor¬
den ist, nach deutscher Sitte, aber in magyarischer Sprache, die ersten Programme
in Ungarn eingeführt, was auf andern Gymnasteu bereits mehrfache Nachahmungen
gefunden hat. -- Ob das ein großer Fortschritt ist?

Erst in neuerer Zeit concentrirte sich das eigentliche akademische Studium
in Ungarn auf wenige Punkte. So kounte man z. B. noch vor Kurzem von
Modern aus sogleich in's Pfarramt eintreten. Fast den gesammten Lehrcursns,
wie er oben geschildert ist, mußte aber ein einziger Lehrer durchmachen. Der Vor¬
gänger des jetzigen Rectors von Modern nun begnügte sich aus Mattgel an Zeit,
seinen Cursus uur bis zu Philosophie vorzutragen, so daß zur Vollendung der
Studien noch der Besuch einer höheren Büdnugsanstalt nöthig ist. Auf die Zöglinge
der Schule zu Modern aber ist noch etwas von studentischen Geiste übergegangen,
man bemerkt unter ihnen etwas von jenem akademischen Hinschlendern, welches
wohl überall die Universitäten charakterifirt. Sie gleichen gena" jenen früheren
Gymnasiasten, welche man in Deutschland als Chvrschüler und fahrende Schüler
kannte. Sie sind zum Theil für ihre Kenntnisse schon ziemlich alt und großer
als ihr Lehrer, der geistvolle Kallmes-ig. Sie leben für ein Weniges in der Stadt,
wohin sie, meist vom Lande, in Kost gegeben werden und behelfen sich oft sehr
kümmerlich (sogar in Preßburg sind oft noch die ärmeren Schüler die Stiefelwich¬
ser, Versetzer und Bedienten der reicheren), doch wissen sie sich zuweilen envio
in^al-mu dnrch tolle Späße zu entschädigen. So war es unter dem früheren Rec-
tor einmal schwer, ihnen die rechten Hände zu erhalten, denn das Gesetz verlangte,
daß sie ihnen abgehackt würden, weil sie in protestantisch burschikosen Eifer an
einem gewaltigen Heiligenbilde, welches am Eingange von Modern steht, gefrevelt
hatten. -- Modern ist eine vorzugsweise slavische Stadt; dennoch war es nicht
leicht, die dortige Rectvrstelle einem Slovccken zu verschaffen.

Wichtig für die deutsche Sache in Ungarn ist das deutsche Seminar, welches
von deutschen Studenten des evangelischen Lyceums unter Leitung deö Professors
Schröer besteht. So viel als die Deutschen auf pädagogischen Wege für ihre
Sache und für die des Protestantismus thun können, geschieht hier gewiß. Der
Mangel eines eigentlichen politischen Lebens unter ihnen läßt sich freilich, so lange
er einmal besteht, durch nichts wieder ausgleichen. -- Mit uuennüdlickcr Aus¬
dauer wird in diesem Vereine die conseqneuteste Humanität gepredigt, welche hier
als mit dem Dentschthnme identisch gefaßt wird. Zur Zeit meines Aufenthaltes
in Ungarn hielt der Vorsteher der Anstalt unter anderen eine hochbegeisterte Rede
gegen das Vorurtheil wider die Juden, welches sich anch in den deutschen Verein
einschleichen wollte. -- Das deutsche Seminar scheint sich vorzugsweise mit deut¬
scher Literaturgeschichte und mit dem Studium deutscher Classiker zu beschäftigen.


aus dem Deutschen in's Magyarische übersetzt hat! — Seit einigen Jahren hat
Herr Teichengräber, ein junger Deutscher, der wegen seiner Hingabe an den Ma-
gyarismns sehr früh der Director einer einflußreichen Lehranstalt in Pesth gewor¬
den ist, nach deutscher Sitte, aber in magyarischer Sprache, die ersten Programme
in Ungarn eingeführt, was auf andern Gymnasteu bereits mehrfache Nachahmungen
gefunden hat. — Ob das ein großer Fortschritt ist?

Erst in neuerer Zeit concentrirte sich das eigentliche akademische Studium
in Ungarn auf wenige Punkte. So kounte man z. B. noch vor Kurzem von
Modern aus sogleich in's Pfarramt eintreten. Fast den gesammten Lehrcursns,
wie er oben geschildert ist, mußte aber ein einziger Lehrer durchmachen. Der Vor¬
gänger des jetzigen Rectors von Modern nun begnügte sich aus Mattgel an Zeit,
seinen Cursus uur bis zu Philosophie vorzutragen, so daß zur Vollendung der
Studien noch der Besuch einer höheren Büdnugsanstalt nöthig ist. Auf die Zöglinge
der Schule zu Modern aber ist noch etwas von studentischen Geiste übergegangen,
man bemerkt unter ihnen etwas von jenem akademischen Hinschlendern, welches
wohl überall die Universitäten charakterifirt. Sie gleichen gena» jenen früheren
Gymnasiasten, welche man in Deutschland als Chvrschüler und fahrende Schüler
kannte. Sie sind zum Theil für ihre Kenntnisse schon ziemlich alt und großer
als ihr Lehrer, der geistvolle Kallmes-ig. Sie leben für ein Weniges in der Stadt,
wohin sie, meist vom Lande, in Kost gegeben werden und behelfen sich oft sehr
kümmerlich (sogar in Preßburg sind oft noch die ärmeren Schüler die Stiefelwich¬
ser, Versetzer und Bedienten der reicheren), doch wissen sie sich zuweilen envio
in^al-mu dnrch tolle Späße zu entschädigen. So war es unter dem früheren Rec-
tor einmal schwer, ihnen die rechten Hände zu erhalten, denn das Gesetz verlangte,
daß sie ihnen abgehackt würden, weil sie in protestantisch burschikosen Eifer an
einem gewaltigen Heiligenbilde, welches am Eingange von Modern steht, gefrevelt
hatten. — Modern ist eine vorzugsweise slavische Stadt; dennoch war es nicht
leicht, die dortige Rectvrstelle einem Slovccken zu verschaffen.

Wichtig für die deutsche Sache in Ungarn ist das deutsche Seminar, welches
von deutschen Studenten des evangelischen Lyceums unter Leitung deö Professors
Schröer besteht. So viel als die Deutschen auf pädagogischen Wege für ihre
Sache und für die des Protestantismus thun können, geschieht hier gewiß. Der
Mangel eines eigentlichen politischen Lebens unter ihnen läßt sich freilich, so lange
er einmal besteht, durch nichts wieder ausgleichen. — Mit uuennüdlickcr Aus¬
dauer wird in diesem Vereine die conseqneuteste Humanität gepredigt, welche hier
als mit dem Dentschthnme identisch gefaßt wird. Zur Zeit meines Aufenthaltes
in Ungarn hielt der Vorsteher der Anstalt unter anderen eine hochbegeisterte Rede
gegen das Vorurtheil wider die Juden, welches sich anch in den deutschen Verein
einschleichen wollte. — Das deutsche Seminar scheint sich vorzugsweise mit deut¬
scher Literaturgeschichte und mit dem Studium deutscher Classiker zu beschäftigen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0466" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276704"/>
            <p xml:id="ID_1614" prev="#ID_1613"> aus dem Deutschen in's Magyarische übersetzt hat! &#x2014; Seit einigen Jahren hat<lb/>
Herr Teichengräber, ein junger Deutscher, der wegen seiner Hingabe an den Ma-<lb/>
gyarismns sehr früh der Director einer einflußreichen Lehranstalt in Pesth gewor¬<lb/>
den ist, nach deutscher Sitte, aber in magyarischer Sprache, die ersten Programme<lb/>
in Ungarn eingeführt, was auf andern Gymnasteu bereits mehrfache Nachahmungen<lb/>
gefunden hat. &#x2014; Ob das ein großer Fortschritt ist?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1615"> Erst in neuerer Zeit concentrirte sich das eigentliche akademische Studium<lb/>
in Ungarn auf wenige Punkte. So kounte man z. B. noch vor Kurzem von<lb/>
Modern aus sogleich in's Pfarramt eintreten. Fast den gesammten Lehrcursns,<lb/>
wie er oben geschildert ist, mußte aber ein einziger Lehrer durchmachen. Der Vor¬<lb/>
gänger des jetzigen Rectors von Modern nun begnügte sich aus Mattgel an Zeit,<lb/>
seinen Cursus uur bis zu Philosophie vorzutragen, so daß zur Vollendung der<lb/>
Studien noch der Besuch einer höheren Büdnugsanstalt nöthig ist. Auf die Zöglinge<lb/>
der Schule zu Modern aber ist noch etwas von studentischen Geiste übergegangen,<lb/>
man bemerkt unter ihnen etwas von jenem akademischen Hinschlendern, welches<lb/>
wohl überall die Universitäten charakterifirt. Sie gleichen gena» jenen früheren<lb/>
Gymnasiasten, welche man in Deutschland als Chvrschüler und fahrende Schüler<lb/>
kannte. Sie sind zum Theil für ihre Kenntnisse schon ziemlich alt und großer<lb/>
als ihr Lehrer, der geistvolle Kallmes-ig. Sie leben für ein Weniges in der Stadt,<lb/>
wohin sie, meist vom Lande, in Kost gegeben werden und behelfen sich oft sehr<lb/>
kümmerlich (sogar in Preßburg sind oft noch die ärmeren Schüler die Stiefelwich¬<lb/>
ser, Versetzer und Bedienten der reicheren), doch wissen sie sich zuweilen envio<lb/>
in^al-mu dnrch tolle Späße zu entschädigen. So war es unter dem früheren Rec-<lb/>
tor einmal schwer, ihnen die rechten Hände zu erhalten, denn das Gesetz verlangte,<lb/>
daß sie ihnen abgehackt würden, weil sie in protestantisch burschikosen Eifer an<lb/>
einem gewaltigen Heiligenbilde, welches am Eingange von Modern steht, gefrevelt<lb/>
hatten. &#x2014; Modern ist eine vorzugsweise slavische Stadt; dennoch war es nicht<lb/>
leicht, die dortige Rectvrstelle einem Slovccken zu verschaffen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1616" next="#ID_1617"> Wichtig für die deutsche Sache in Ungarn ist das deutsche Seminar, welches<lb/>
von deutschen Studenten des evangelischen Lyceums unter Leitung deö Professors<lb/>
Schröer besteht. So viel als die Deutschen auf pädagogischen Wege für ihre<lb/>
Sache und für die des Protestantismus thun können, geschieht hier gewiß. Der<lb/>
Mangel eines eigentlichen politischen Lebens unter ihnen läßt sich freilich, so lange<lb/>
er einmal besteht, durch nichts wieder ausgleichen. &#x2014; Mit uuennüdlickcr Aus¬<lb/>
dauer wird in diesem Vereine die conseqneuteste Humanität gepredigt, welche hier<lb/>
als mit dem Dentschthnme identisch gefaßt wird. Zur Zeit meines Aufenthaltes<lb/>
in Ungarn hielt der Vorsteher der Anstalt unter anderen eine hochbegeisterte Rede<lb/>
gegen das Vorurtheil wider die Juden, welches sich anch in den deutschen Verein<lb/>
einschleichen wollte. &#x2014; Das deutsche Seminar scheint sich vorzugsweise mit deut¬<lb/>
scher Literaturgeschichte und mit dem Studium deutscher Classiker zu beschäftigen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0466] aus dem Deutschen in's Magyarische übersetzt hat! — Seit einigen Jahren hat Herr Teichengräber, ein junger Deutscher, der wegen seiner Hingabe an den Ma- gyarismns sehr früh der Director einer einflußreichen Lehranstalt in Pesth gewor¬ den ist, nach deutscher Sitte, aber in magyarischer Sprache, die ersten Programme in Ungarn eingeführt, was auf andern Gymnasteu bereits mehrfache Nachahmungen gefunden hat. — Ob das ein großer Fortschritt ist? Erst in neuerer Zeit concentrirte sich das eigentliche akademische Studium in Ungarn auf wenige Punkte. So kounte man z. B. noch vor Kurzem von Modern aus sogleich in's Pfarramt eintreten. Fast den gesammten Lehrcursns, wie er oben geschildert ist, mußte aber ein einziger Lehrer durchmachen. Der Vor¬ gänger des jetzigen Rectors von Modern nun begnügte sich aus Mattgel an Zeit, seinen Cursus uur bis zu Philosophie vorzutragen, so daß zur Vollendung der Studien noch der Besuch einer höheren Büdnugsanstalt nöthig ist. Auf die Zöglinge der Schule zu Modern aber ist noch etwas von studentischen Geiste übergegangen, man bemerkt unter ihnen etwas von jenem akademischen Hinschlendern, welches wohl überall die Universitäten charakterifirt. Sie gleichen gena» jenen früheren Gymnasiasten, welche man in Deutschland als Chvrschüler und fahrende Schüler kannte. Sie sind zum Theil für ihre Kenntnisse schon ziemlich alt und großer als ihr Lehrer, der geistvolle Kallmes-ig. Sie leben für ein Weniges in der Stadt, wohin sie, meist vom Lande, in Kost gegeben werden und behelfen sich oft sehr kümmerlich (sogar in Preßburg sind oft noch die ärmeren Schüler die Stiefelwich¬ ser, Versetzer und Bedienten der reicheren), doch wissen sie sich zuweilen envio in^al-mu dnrch tolle Späße zu entschädigen. So war es unter dem früheren Rec- tor einmal schwer, ihnen die rechten Hände zu erhalten, denn das Gesetz verlangte, daß sie ihnen abgehackt würden, weil sie in protestantisch burschikosen Eifer an einem gewaltigen Heiligenbilde, welches am Eingange von Modern steht, gefrevelt hatten. — Modern ist eine vorzugsweise slavische Stadt; dennoch war es nicht leicht, die dortige Rectvrstelle einem Slovccken zu verschaffen. Wichtig für die deutsche Sache in Ungarn ist das deutsche Seminar, welches von deutschen Studenten des evangelischen Lyceums unter Leitung deö Professors Schröer besteht. So viel als die Deutschen auf pädagogischen Wege für ihre Sache und für die des Protestantismus thun können, geschieht hier gewiß. Der Mangel eines eigentlichen politischen Lebens unter ihnen läßt sich freilich, so lange er einmal besteht, durch nichts wieder ausgleichen. — Mit uuennüdlickcr Aus¬ dauer wird in diesem Vereine die conseqneuteste Humanität gepredigt, welche hier als mit dem Dentschthnme identisch gefaßt wird. Zur Zeit meines Aufenthaltes in Ungarn hielt der Vorsteher der Anstalt unter anderen eine hochbegeisterte Rede gegen das Vorurtheil wider die Juden, welches sich anch in den deutschen Verein einschleichen wollte. — Das deutsche Seminar scheint sich vorzugsweise mit deut¬ scher Literaturgeschichte und mit dem Studium deutscher Classiker zu beschäftigen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/466
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/466>, abgerufen am 26.06.2024.