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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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den höhern Bildungsanstalten in einzelnen Disciplinen bereits von Magyaren
unterrichtet wurden, erzählen wenigstens Wunderdinge von ihren Lehrern. Hier
hat sich ein Lehrer der alten Sprachen in den Kopf gesetzt, ein Epicuräer sein zu
wollen, er badet täglich in einer Grotte, welche er in seinem Garten hat anbrin¬
gen lassen und läßt sich dann, einen Klassiker lesend, von einem seiner Schüler
sanft in einer Schaukel hin und her bewegen. Ein anderer belauscht während
der Schulstunden einen lebhaften und interessanten Knaben, welcher entschiedene
Ungezogenheiten begeht, und bricht endlich in die Worte aus: "Ich könnte Dir
zwei bis drei Ohrfeigen geben, aber ich bewundere Dich." Ein Dritter erklärt,
daß aus seiner Klasse noch Niemand hinweggekommen sei, der nicht sein Drama
zu machen gelernt habe n. s. w.

Ueber den Lehrgang ans den ungarischen Gymnasien oder Universitäten (nor¬
mal- oder Bürgerschulen gibt es in Ungarn noch nicht) ist es vielleicht nicht un¬
interessant, folgendes zu erfahren. Die erste Klasse bilden die Donatisten, so ge¬
nannt von dem alten Schulbnche libvr ^on-idus; dann folgt in einem zweijährigen
Cursus die Grammatik. Abermals in einem zweijährigen Cursus dann die Syntax.
Hier und in der Grammatik werden einige Realwissenschaften, aber sehr schwach,
vorgetragen. Es folgen zwei Jahre für Rhetorik und Poetik; neben der Interpretation
einiger lateinischer Autoren wird hier alte Geschichte, Alterthümer, etwas Griechisch
pro im-iun und vaterländische Geschichte getrieben. Die Autoren sind Cicero und
Horaz, von jenem kommt gewöhnlich nur die catilinarische Rede, von diesem kom¬
men c. 5--6 Oden an die Reihe. Hierauf ein dreijähriger philosophischer Cur¬
sus für Logik, Physik und Ins, woher die Namen Logiker, Physiker und Juristen.
In der Logik wird außer Logik und Psychologie besonders Mathematik getrieben,
wobei unter anderen das Einmaleins abgefragt wird.

Von Naturwissenschaften bekommt der Schüler fast keinen Begriff. Alles dieses,
selbst das Ins, gehört noch mehr zu dem, was wir Gymnasialunterricht nennen
würden. Denn anch die Theologen müssen das Ins hören, bevor sie den zwei¬
jährigen theologischen Kursus beginnen. Die Nichtthcologen aber wenden sich,
wenn sie den juristischen Cursus hinter sich haben, z, B. von Preßburg aus nach
Pales, um dort ihre juristischen Studien zu vollenden. -- Die Mängel dieses
Studienplaneö liegen sehr ans der Hand; doch ist hier nicht der Ort näher auf
dieselben einzugehen.

Denke man sich null hierzu noch die in der letzten Zeit dnrch den Spracbcn-
kampf namentlich in den Schulen eingetretene babylonische Verwirrung, so liegt
es auf der Hand, daß die höhere Schulbildung gegenwärtig in Ungarn eben nicht
sehr hoch stehen kann. Man stelle sich vor, einem in ein Lehramt eingetretenen
jungen Manne wird für deu philosophischen Cursus als Inventarium seiner Stelle
ein Lehrbuch übergeben, ans dem er durchaus nichts zu machen weiß. Endlich
entdeckt er, daß es ein philosophisches Handbuch von Rosenkranz ist, das man
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den höhern Bildungsanstalten in einzelnen Disciplinen bereits von Magyaren
unterrichtet wurden, erzählen wenigstens Wunderdinge von ihren Lehrern. Hier
hat sich ein Lehrer der alten Sprachen in den Kopf gesetzt, ein Epicuräer sein zu
wollen, er badet täglich in einer Grotte, welche er in seinem Garten hat anbrin¬
gen lassen und läßt sich dann, einen Klassiker lesend, von einem seiner Schüler
sanft in einer Schaukel hin und her bewegen. Ein anderer belauscht während
der Schulstunden einen lebhaften und interessanten Knaben, welcher entschiedene
Ungezogenheiten begeht, und bricht endlich in die Worte aus: „Ich könnte Dir
zwei bis drei Ohrfeigen geben, aber ich bewundere Dich." Ein Dritter erklärt,
daß aus seiner Klasse noch Niemand hinweggekommen sei, der nicht sein Drama
zu machen gelernt habe n. s. w.

Ueber den Lehrgang ans den ungarischen Gymnasien oder Universitäten (nor¬
mal- oder Bürgerschulen gibt es in Ungarn noch nicht) ist es vielleicht nicht un¬
interessant, folgendes zu erfahren. Die erste Klasse bilden die Donatisten, so ge¬
nannt von dem alten Schulbnche libvr ^on-idus; dann folgt in einem zweijährigen
Cursus die Grammatik. Abermals in einem zweijährigen Cursus dann die Syntax.
Hier und in der Grammatik werden einige Realwissenschaften, aber sehr schwach,
vorgetragen. Es folgen zwei Jahre für Rhetorik und Poetik; neben der Interpretation
einiger lateinischer Autoren wird hier alte Geschichte, Alterthümer, etwas Griechisch
pro im-iun und vaterländische Geschichte getrieben. Die Autoren sind Cicero und
Horaz, von jenem kommt gewöhnlich nur die catilinarische Rede, von diesem kom¬
men c. 5—6 Oden an die Reihe. Hierauf ein dreijähriger philosophischer Cur¬
sus für Logik, Physik und Ins, woher die Namen Logiker, Physiker und Juristen.
In der Logik wird außer Logik und Psychologie besonders Mathematik getrieben,
wobei unter anderen das Einmaleins abgefragt wird.

Von Naturwissenschaften bekommt der Schüler fast keinen Begriff. Alles dieses,
selbst das Ins, gehört noch mehr zu dem, was wir Gymnasialunterricht nennen
würden. Denn anch die Theologen müssen das Ins hören, bevor sie den zwei¬
jährigen theologischen Kursus beginnen. Die Nichtthcologen aber wenden sich,
wenn sie den juristischen Cursus hinter sich haben, z, B. von Preßburg aus nach
Pales, um dort ihre juristischen Studien zu vollenden. — Die Mängel dieses
Studienplaneö liegen sehr ans der Hand; doch ist hier nicht der Ort näher auf
dieselben einzugehen.

Denke man sich null hierzu noch die in der letzten Zeit dnrch den Spracbcn-
kampf namentlich in den Schulen eingetretene babylonische Verwirrung, so liegt
es auf der Hand, daß die höhere Schulbildung gegenwärtig in Ungarn eben nicht
sehr hoch stehen kann. Man stelle sich vor, einem in ein Lehramt eingetretenen
jungen Manne wird für deu philosophischen Cursus als Inventarium seiner Stelle
ein Lehrbuch übergeben, ans dem er durchaus nichts zu machen weiß. Endlich
entdeckt er, daß es ein philosophisches Handbuch von Rosenkranz ist, das man
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[0465] den höhern Bildungsanstalten in einzelnen Disciplinen bereits von Magyaren unterrichtet wurden, erzählen wenigstens Wunderdinge von ihren Lehrern. Hier hat sich ein Lehrer der alten Sprachen in den Kopf gesetzt, ein Epicuräer sein zu wollen, er badet täglich in einer Grotte, welche er in seinem Garten hat anbrin¬ gen lassen und läßt sich dann, einen Klassiker lesend, von einem seiner Schüler sanft in einer Schaukel hin und her bewegen. Ein anderer belauscht während der Schulstunden einen lebhaften und interessanten Knaben, welcher entschiedene Ungezogenheiten begeht, und bricht endlich in die Worte aus: „Ich könnte Dir zwei bis drei Ohrfeigen geben, aber ich bewundere Dich." Ein Dritter erklärt, daß aus seiner Klasse noch Niemand hinweggekommen sei, der nicht sein Drama zu machen gelernt habe n. s. w. Ueber den Lehrgang ans den ungarischen Gymnasien oder Universitäten (nor¬ mal- oder Bürgerschulen gibt es in Ungarn noch nicht) ist es vielleicht nicht un¬ interessant, folgendes zu erfahren. Die erste Klasse bilden die Donatisten, so ge¬ nannt von dem alten Schulbnche libvr ^on-idus; dann folgt in einem zweijährigen Cursus die Grammatik. Abermals in einem zweijährigen Cursus dann die Syntax. Hier und in der Grammatik werden einige Realwissenschaften, aber sehr schwach, vorgetragen. Es folgen zwei Jahre für Rhetorik und Poetik; neben der Interpretation einiger lateinischer Autoren wird hier alte Geschichte, Alterthümer, etwas Griechisch pro im-iun und vaterländische Geschichte getrieben. Die Autoren sind Cicero und Horaz, von jenem kommt gewöhnlich nur die catilinarische Rede, von diesem kom¬ men c. 5—6 Oden an die Reihe. Hierauf ein dreijähriger philosophischer Cur¬ sus für Logik, Physik und Ins, woher die Namen Logiker, Physiker und Juristen. In der Logik wird außer Logik und Psychologie besonders Mathematik getrieben, wobei unter anderen das Einmaleins abgefragt wird. Von Naturwissenschaften bekommt der Schüler fast keinen Begriff. Alles dieses, selbst das Ins, gehört noch mehr zu dem, was wir Gymnasialunterricht nennen würden. Denn anch die Theologen müssen das Ins hören, bevor sie den zwei¬ jährigen theologischen Kursus beginnen. Die Nichtthcologen aber wenden sich, wenn sie den juristischen Cursus hinter sich haben, z, B. von Preßburg aus nach Pales, um dort ihre juristischen Studien zu vollenden. — Die Mängel dieses Studienplaneö liegen sehr ans der Hand; doch ist hier nicht der Ort näher auf dieselben einzugehen. Denke man sich null hierzu noch die in der letzten Zeit dnrch den Spracbcn- kampf namentlich in den Schulen eingetretene babylonische Verwirrung, so liegt es auf der Hand, daß die höhere Schulbildung gegenwärtig in Ungarn eben nicht sehr hoch stehen kann. Man stelle sich vor, einem in ein Lehramt eingetretenen jungen Manne wird für deu philosophischen Cursus als Inventarium seiner Stelle ein Lehrbuch übergeben, ans dem er durchaus nichts zu machen weiß. Endlich entdeckt er, daß es ein philosophisches Handbuch von Rosenkranz ist, das man *' 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/465>, abgerufen am 26.06.2024.