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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Dieses deutsche Lächeln mag in Ungarn wohl oftmals auf den Lippen unserer
Landsleute zu bemerken sein. Das beweisen die Anecdoten, welche sie sich über
die Bestrebungen zur Kräftigung der magyarischen Nationalität erzählen. Der
Schutzzoll und das ungarische Fabrikwesen mit seinen Honiprodncten besonders
gibt viel zu lachen, denn hier soll es den Honischweselhölzchen an Schwefel fehlen,
dort ein ganzer Klumpen daran hängen, so daß man ganz Sodom und Gomorrah
damit in Brand stecken könnte. Hübsch, wenn auch nur erfunden, ist die Anecdote
von jenem Ungarn, welcher, weil ihn ein heftiger Regen auf der Straße über¬
fiel, in einen Laden sprang, um für die Fortsetzung seines Weges einen Honi-
regenschinn zu kaufen. Weil aber die Honiprodnction sich noch nicht bis ans die
Regenschirme erstreckt, so bot man ihm einen deutschen Regenschirm an, den er
aber mit Verachtung von sich wies, indem er hinaufsprang und davonrannte. --
Uebrigens hat man schon vielfach die Meinung aufgestellt, daß überhaupt eine
künstliche Industrie, welche auf Kosten des Ackerbaues emporgetrieben werde, sich
nicht halten könne. Ich naße mir darüber kein Urtheil an; daß aber Ungarn zu¬
nächst auf den Ackerbau angewiesen wäre, liegt wohl auf der Hand. Wer könnte
die Wahrheit der Behauptung bestreiten, daß kein wahrer Wohlstand in Ungarn
herrschen kann, so lange große Grundbesitzer es für vortheilhafter halten, un¬
geheure Flächen durch große Herden Mit verhältnißmäßig wenigen Hirten abzu¬
weiden, als sie einer Anzahl fleißiger und betriebsamer Hände zum Ackerbau zu
überlassen?

Wenn die ungarische Akademie dahin gestrebt hat, alle fremden Wörter aus¬
zumerzen und anstatt derselben die magyarische Sprache mit neuen Wörtern zu
bereichern, so versteht es sich wohl vou selbst, daß Wissenschaft, Schule und Cultur
dabei am schlimmsten fahren müssen. Wer wird in dem magyarischen Koorckiv-
lotlells"^, d. h. Holprig keitslvsigkeit, den Begriff Harmonie wieder
erkennen? Was soll der Lehrer einer höheren Bildungsanstalt, welcher ohnehin
vielleicht das Magyarische erst seit einigen Jahren treibt, mit einer Sprache an¬
fangen, welche ihn bei allen abstracten Begriffen im steche läßt, mit einer Sprache,
welche von vorn herein einen solchen Purismus übt und selbst die Ausdrücke nicht
anerkennen will, welche Cultur und Bildung gleichsam für alle Völker gemeinsam
hingestellt haben? In den höheren Bildungsanstalten kämpft noch immer die latei¬
nische Sprache mit der magyarischen. Jene, deren Beibehaltung, als einer todten
Sprache, natürlich niemand empfehlen kann, wurde durchschnittlich von den Schü¬
lern verstanden; bei der ungarischen ist dies nicht der Fall, und die Lehrer klagen,
daß sie slovakische Schüler haben, welche ganz theilnahmslos während des Unter¬
richts dasitzen müssen.

Den wesentlichsten Einfluß auf die Erziehung der Söhne gebildeter Stände
scheinen bis jetzt Deutsche gehabt zu haben. Irre ich nicht, so fehlt es den Ma¬
gyaren im Allgemeinen an pädagogischen Talente. Die Deutschen, welche auf


Dieses deutsche Lächeln mag in Ungarn wohl oftmals auf den Lippen unserer
Landsleute zu bemerken sein. Das beweisen die Anecdoten, welche sie sich über
die Bestrebungen zur Kräftigung der magyarischen Nationalität erzählen. Der
Schutzzoll und das ungarische Fabrikwesen mit seinen Honiprodncten besonders
gibt viel zu lachen, denn hier soll es den Honischweselhölzchen an Schwefel fehlen,
dort ein ganzer Klumpen daran hängen, so daß man ganz Sodom und Gomorrah
damit in Brand stecken könnte. Hübsch, wenn auch nur erfunden, ist die Anecdote
von jenem Ungarn, welcher, weil ihn ein heftiger Regen auf der Straße über¬
fiel, in einen Laden sprang, um für die Fortsetzung seines Weges einen Honi-
regenschinn zu kaufen. Weil aber die Honiprodnction sich noch nicht bis ans die
Regenschirme erstreckt, so bot man ihm einen deutschen Regenschirm an, den er
aber mit Verachtung von sich wies, indem er hinaufsprang und davonrannte. —
Uebrigens hat man schon vielfach die Meinung aufgestellt, daß überhaupt eine
künstliche Industrie, welche auf Kosten des Ackerbaues emporgetrieben werde, sich
nicht halten könne. Ich naße mir darüber kein Urtheil an; daß aber Ungarn zu¬
nächst auf den Ackerbau angewiesen wäre, liegt wohl auf der Hand. Wer könnte
die Wahrheit der Behauptung bestreiten, daß kein wahrer Wohlstand in Ungarn
herrschen kann, so lange große Grundbesitzer es für vortheilhafter halten, un¬
geheure Flächen durch große Herden Mit verhältnißmäßig wenigen Hirten abzu¬
weiden, als sie einer Anzahl fleißiger und betriebsamer Hände zum Ackerbau zu
überlassen?

Wenn die ungarische Akademie dahin gestrebt hat, alle fremden Wörter aus¬
zumerzen und anstatt derselben die magyarische Sprache mit neuen Wörtern zu
bereichern, so versteht es sich wohl vou selbst, daß Wissenschaft, Schule und Cultur
dabei am schlimmsten fahren müssen. Wer wird in dem magyarischen Koorckiv-
lotlells«^, d. h. Holprig keitslvsigkeit, den Begriff Harmonie wieder
erkennen? Was soll der Lehrer einer höheren Bildungsanstalt, welcher ohnehin
vielleicht das Magyarische erst seit einigen Jahren treibt, mit einer Sprache an¬
fangen, welche ihn bei allen abstracten Begriffen im steche läßt, mit einer Sprache,
welche von vorn herein einen solchen Purismus übt und selbst die Ausdrücke nicht
anerkennen will, welche Cultur und Bildung gleichsam für alle Völker gemeinsam
hingestellt haben? In den höheren Bildungsanstalten kämpft noch immer die latei¬
nische Sprache mit der magyarischen. Jene, deren Beibehaltung, als einer todten
Sprache, natürlich niemand empfehlen kann, wurde durchschnittlich von den Schü¬
lern verstanden; bei der ungarischen ist dies nicht der Fall, und die Lehrer klagen,
daß sie slovakische Schüler haben, welche ganz theilnahmslos während des Unter¬
richts dasitzen müssen.

Den wesentlichsten Einfluß auf die Erziehung der Söhne gebildeter Stände
scheinen bis jetzt Deutsche gehabt zu haben. Irre ich nicht, so fehlt es den Ma¬
gyaren im Allgemeinen an pädagogischen Talente. Die Deutschen, welche auf


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[0464] Dieses deutsche Lächeln mag in Ungarn wohl oftmals auf den Lippen unserer Landsleute zu bemerken sein. Das beweisen die Anecdoten, welche sie sich über die Bestrebungen zur Kräftigung der magyarischen Nationalität erzählen. Der Schutzzoll und das ungarische Fabrikwesen mit seinen Honiprodncten besonders gibt viel zu lachen, denn hier soll es den Honischweselhölzchen an Schwefel fehlen, dort ein ganzer Klumpen daran hängen, so daß man ganz Sodom und Gomorrah damit in Brand stecken könnte. Hübsch, wenn auch nur erfunden, ist die Anecdote von jenem Ungarn, welcher, weil ihn ein heftiger Regen auf der Straße über¬ fiel, in einen Laden sprang, um für die Fortsetzung seines Weges einen Honi- regenschinn zu kaufen. Weil aber die Honiprodnction sich noch nicht bis ans die Regenschirme erstreckt, so bot man ihm einen deutschen Regenschirm an, den er aber mit Verachtung von sich wies, indem er hinaufsprang und davonrannte. — Uebrigens hat man schon vielfach die Meinung aufgestellt, daß überhaupt eine künstliche Industrie, welche auf Kosten des Ackerbaues emporgetrieben werde, sich nicht halten könne. Ich naße mir darüber kein Urtheil an; daß aber Ungarn zu¬ nächst auf den Ackerbau angewiesen wäre, liegt wohl auf der Hand. Wer könnte die Wahrheit der Behauptung bestreiten, daß kein wahrer Wohlstand in Ungarn herrschen kann, so lange große Grundbesitzer es für vortheilhafter halten, un¬ geheure Flächen durch große Herden Mit verhältnißmäßig wenigen Hirten abzu¬ weiden, als sie einer Anzahl fleißiger und betriebsamer Hände zum Ackerbau zu überlassen? Wenn die ungarische Akademie dahin gestrebt hat, alle fremden Wörter aus¬ zumerzen und anstatt derselben die magyarische Sprache mit neuen Wörtern zu bereichern, so versteht es sich wohl vou selbst, daß Wissenschaft, Schule und Cultur dabei am schlimmsten fahren müssen. Wer wird in dem magyarischen Koorckiv- lotlells«^, d. h. Holprig keitslvsigkeit, den Begriff Harmonie wieder erkennen? Was soll der Lehrer einer höheren Bildungsanstalt, welcher ohnehin vielleicht das Magyarische erst seit einigen Jahren treibt, mit einer Sprache an¬ fangen, welche ihn bei allen abstracten Begriffen im steche läßt, mit einer Sprache, welche von vorn herein einen solchen Purismus übt und selbst die Ausdrücke nicht anerkennen will, welche Cultur und Bildung gleichsam für alle Völker gemeinsam hingestellt haben? In den höheren Bildungsanstalten kämpft noch immer die latei¬ nische Sprache mit der magyarischen. Jene, deren Beibehaltung, als einer todten Sprache, natürlich niemand empfehlen kann, wurde durchschnittlich von den Schü¬ lern verstanden; bei der ungarischen ist dies nicht der Fall, und die Lehrer klagen, daß sie slovakische Schüler haben, welche ganz theilnahmslos während des Unter¬ richts dasitzen müssen. Den wesentlichsten Einfluß auf die Erziehung der Söhne gebildeter Stände scheinen bis jetzt Deutsche gehabt zu haben. Irre ich nicht, so fehlt es den Ma¬ gyaren im Allgemeinen an pädagogischen Talente. Die Deutschen, welche auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/464>, abgerufen am 26.06.2024.