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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die Nationalitäten in Ungarn.



II.

Kompert'S Reiher-fiere. -- Das deutsche Lächeln; An-cdoten. -- Magyarischer NuriSmuS. -- Schulwesen
und pädagogische Käuze. -- Das deutsche Seminar in Modern und Monde'S Fischer. -- Die lustigen Ma¬
gyaren in Berlin. -- Wemstipcndicn. -- Der Poet Pctöfi. -- Die slavischen Volkslieder. --
Bier deutsche Poeten.

Bekanntlich wohnen die Slovaken mehr im Gebirge, die Magyaren dagegen
auf den großen Haiden. Das Städtewesen, in dem alle Nationalitäten sich ver
mischen, ist wesentlich deutsch. Während wir dies schreiben, fallen uns "Reise-
reflcxe aus Nord-Ungarn von Leopold Kompert" in die Hände, welcher von dem
Leben und Treiben der verschiedenen Nationalitäten neben einander ein sehr an¬
schauliches, besonders den Deutschen zu tiefer Wehmuth stimmendes Bild entwirft.
Man fühlt sich wahrlich von jenem Schmerze ergriffen, welchen wir Heimweh
nennen, wenn man den Verfasser das Stillleben malen sieht, welches dort ein
deutscher Bauer unter den fremden Völkern, an deren Thun und Lassen er wenig
Antheil nimmt, sich bereitet hat. Eines Abends langt der Reisende in einem
Dorfe an, dessen Häuser reinlicher, wohlgeordneter, ja sogar eleganter scheinen,
als in den früheren Ortschaften. Hier wohnen Deutsche, deren Vorfahren vor
hundert Jahren eingewandert sind. Die meisten Hänser glänzen in weißer Kalk-
bekleidung. An vielen sind die Bauern mit Weißen beschäftigt, was jeden Sonntag
Abend regelmäßig geschieht. Einer der Männer zieht emsig um die vier Seiten
seines Hauses einen breiten grauen Strich herum und seine Kinder tragen ihm
einen gewaltigen Farbentopf nach. Der Vater setzt erst eine lauge Stange an
und bezeichnet mit geometrischer Genauigkeit die Stelle, bis wohin er den grauen
Strich auftragen will. Die Kinder achten auf jede Handbewegung des Vaters.
Ein Haufe Korkes zieht durchs Dorf in die nächste Comitatsstadt. Die Korkes
tragen buntgeschmückte Fahnen; voran geigendes Zigeunervolk mit schwarzem krausem
Haar. Die Edelleute jauchzen und jubeln, stoßen und drängen sich, singen und
schreien, so daß die Luft wiederhallt und die Pferde der Reisenden unruhig wer¬
den, gewiß eine höchst malerische und interessante Scene. Der deutsche Ungar
mit der Zirkelstange aber schenkt ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit; nur ein
einziges Mal kehrt er sich um und lächelt, dann fährt er ruhig in seiner Arbeit fort.
Grcn


zvoten. II. 1848. 5g
Die Nationalitäten in Ungarn.



II.

Kompert'S Reiher-fiere. — Das deutsche Lächeln; An-cdoten. — Magyarischer NuriSmuS. — Schulwesen
und pädagogische Käuze. — Das deutsche Seminar in Modern und Monde'S Fischer. — Die lustigen Ma¬
gyaren in Berlin. — Wemstipcndicn. — Der Poet Pctöfi. — Die slavischen Volkslieder. —
Bier deutsche Poeten.

Bekanntlich wohnen die Slovaken mehr im Gebirge, die Magyaren dagegen
auf den großen Haiden. Das Städtewesen, in dem alle Nationalitäten sich ver
mischen, ist wesentlich deutsch. Während wir dies schreiben, fallen uns „Reise-
reflcxe aus Nord-Ungarn von Leopold Kompert" in die Hände, welcher von dem
Leben und Treiben der verschiedenen Nationalitäten neben einander ein sehr an¬
schauliches, besonders den Deutschen zu tiefer Wehmuth stimmendes Bild entwirft.
Man fühlt sich wahrlich von jenem Schmerze ergriffen, welchen wir Heimweh
nennen, wenn man den Verfasser das Stillleben malen sieht, welches dort ein
deutscher Bauer unter den fremden Völkern, an deren Thun und Lassen er wenig
Antheil nimmt, sich bereitet hat. Eines Abends langt der Reisende in einem
Dorfe an, dessen Häuser reinlicher, wohlgeordneter, ja sogar eleganter scheinen,
als in den früheren Ortschaften. Hier wohnen Deutsche, deren Vorfahren vor
hundert Jahren eingewandert sind. Die meisten Hänser glänzen in weißer Kalk-
bekleidung. An vielen sind die Bauern mit Weißen beschäftigt, was jeden Sonntag
Abend regelmäßig geschieht. Einer der Männer zieht emsig um die vier Seiten
seines Hauses einen breiten grauen Strich herum und seine Kinder tragen ihm
einen gewaltigen Farbentopf nach. Der Vater setzt erst eine lauge Stange an
und bezeichnet mit geometrischer Genauigkeit die Stelle, bis wohin er den grauen
Strich auftragen will. Die Kinder achten auf jede Handbewegung des Vaters.
Ein Haufe Korkes zieht durchs Dorf in die nächste Comitatsstadt. Die Korkes
tragen buntgeschmückte Fahnen; voran geigendes Zigeunervolk mit schwarzem krausem
Haar. Die Edelleute jauchzen und jubeln, stoßen und drängen sich, singen und
schreien, so daß die Luft wiederhallt und die Pferde der Reisenden unruhig wer¬
den, gewiß eine höchst malerische und interessante Scene. Der deutsche Ungar
mit der Zirkelstange aber schenkt ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit; nur ein
einziges Mal kehrt er sich um und lächelt, dann fährt er ruhig in seiner Arbeit fort.
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zvoten. II. 1848. 5g
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[0463] Die Nationalitäten in Ungarn. II. Kompert'S Reiher-fiere. — Das deutsche Lächeln; An-cdoten. — Magyarischer NuriSmuS. — Schulwesen und pädagogische Käuze. — Das deutsche Seminar in Modern und Monde'S Fischer. — Die lustigen Ma¬ gyaren in Berlin. — Wemstipcndicn. — Der Poet Pctöfi. — Die slavischen Volkslieder. — Bier deutsche Poeten. Bekanntlich wohnen die Slovaken mehr im Gebirge, die Magyaren dagegen auf den großen Haiden. Das Städtewesen, in dem alle Nationalitäten sich ver mischen, ist wesentlich deutsch. Während wir dies schreiben, fallen uns „Reise- reflcxe aus Nord-Ungarn von Leopold Kompert" in die Hände, welcher von dem Leben und Treiben der verschiedenen Nationalitäten neben einander ein sehr an¬ schauliches, besonders den Deutschen zu tiefer Wehmuth stimmendes Bild entwirft. Man fühlt sich wahrlich von jenem Schmerze ergriffen, welchen wir Heimweh nennen, wenn man den Verfasser das Stillleben malen sieht, welches dort ein deutscher Bauer unter den fremden Völkern, an deren Thun und Lassen er wenig Antheil nimmt, sich bereitet hat. Eines Abends langt der Reisende in einem Dorfe an, dessen Häuser reinlicher, wohlgeordneter, ja sogar eleganter scheinen, als in den früheren Ortschaften. Hier wohnen Deutsche, deren Vorfahren vor hundert Jahren eingewandert sind. Die meisten Hänser glänzen in weißer Kalk- bekleidung. An vielen sind die Bauern mit Weißen beschäftigt, was jeden Sonntag Abend regelmäßig geschieht. Einer der Männer zieht emsig um die vier Seiten seines Hauses einen breiten grauen Strich herum und seine Kinder tragen ihm einen gewaltigen Farbentopf nach. Der Vater setzt erst eine lauge Stange an und bezeichnet mit geometrischer Genauigkeit die Stelle, bis wohin er den grauen Strich auftragen will. Die Kinder achten auf jede Handbewegung des Vaters. Ein Haufe Korkes zieht durchs Dorf in die nächste Comitatsstadt. Die Korkes tragen buntgeschmückte Fahnen; voran geigendes Zigeunervolk mit schwarzem krausem Haar. Die Edelleute jauchzen und jubeln, stoßen und drängen sich, singen und schreien, so daß die Luft wiederhallt und die Pferde der Reisenden unruhig wer¬ den, gewiß eine höchst malerische und interessante Scene. Der deutsche Ungar mit der Zirkelstange aber schenkt ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit; nur ein einziges Mal kehrt er sich um und lächelt, dann fährt er ruhig in seiner Arbeit fort. Grcn zvoten. II. 1848. 5g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/463>, abgerufen am 26.06.2024.