Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

friedlichen Bücherwurms Kailina, dessen Manen sehr erstaunt gewesen sein mögen,
da sie in eine Reibe mit Duham und Czerny-Georg gestellt wurden..... Nun
begann eine Kommunion ans offenem Markte. Der serbische Presbyter brach das
heilige Brot den anwesenden Serben n"d Nüssen und der alte Sänger und Staats-
wann W"k comnnicirte der Erste. -- Beim Heimgange des Zuges wehten Tücher
aus vielen Fenstern und von beiden Seiten wurde manches Slava gerufen.

Mit Nachdruck sei es hier gesagt, der ganze Umzug machte auf die Bewohner
Prags nicht die Wirkung, die die czechiscken Ultras erwartet hatten. Er war
schön, er hatte seine Romantik, aber er war etwas Fremdes, Aufgedrungenes. In
der großen Masse des Volkes weckte er keinen Nachhall. Es war ein kalter Prnnk-
zug, ein Opernichanstück bei Hellem Tageslicht. Keine große nationale Begeisterung
begrüßte diese Eröffmmgvfeier des slavischen Parlaments, ans die man so viele
Hoffnungen gesetzt hatte.

Vom 5. an begannen nnn Sitzungen, wichtiger als die vorbereitenden, in
welchen man viel Zeit mit Formalitäten, patriotischen Improvisationen mehr poe¬
tischen, als politischen Inhalts verzettelt hatte. El" Manifest an die Völker
Europas wurde proclamirt, entworfen und mit Begeisterung aufgenommen. Es
spricht sich über die Stellung der Slaven zu den romanischen und germanischen
Völkern aus und schildert, wie sich die Slaven ihre Zukunft zu gestalten gedenken.
In diesem Manifest waltet ein Geist, der nickt in Böhmen daheim ist. Man
sieht die polnischen und südslavischen Verfasser heraus, die den französischen Neo-
christianismus in Paris studirt, bei Lamennais und Mickiewicz in die Schule ge¬
gangen sind. Mickiewicz war der erste, der es als die Misston der Slaven ver¬
kündete, die Religion des Humanismus in die Politik einzuführen; dieser Ansicht
begegnet man in diesem Manifest wieder. "Den Slaven ist es gegeben, heißt es
hier, die Idee der Gleichberechtigung des Individuums neben dem andern auszu¬
dehnen auf die Gleichberechtigung aller Nationalitäten neben einander ans der
Basis der Bruderliebe und des Christenthums! Sie wollen keinen Krieg, sie sind
Völker des Friedens, sie fordern nur Gleichberechtigung neben den übrigen Völ¬
kern der Erde."

Diese Sprache ist schön, denn es weht in ihr der Geist der Zukunft. Man
kann bezweifeln, daß es eben den Slaven gegeben ist, dies Reich der Gerechtigkeit
und des Humanismus zwischen den Völkern der Erde einzuführen; aber unbe-
zweifelbar scheint es mir, daß es einmal über alle Nationen heranbrcchen wird.
Sprach - und Territorialfragen werden gewiß einmal zurücksinken vor edlern,
vor großartigen Kämpfen. Aber, ich wiederhole es nochmals, der Geist dieses
Manifestes ist dem Geiste der czechischen Partei völlig fremd. Die Politik dieses
Manifestes geht ans die sonnigen Felder des Humanismus hinaus, die czcchische
Politik in die Vorzeit zurück. Die Politik dieses Manifestes will die Vereinigung
aller freigewordenen Völker von gleicher Sprache und gleicher Geschichte um einen


friedlichen Bücherwurms Kailina, dessen Manen sehr erstaunt gewesen sein mögen,
da sie in eine Reibe mit Duham und Czerny-Georg gestellt wurden..... Nun
begann eine Kommunion ans offenem Markte. Der serbische Presbyter brach das
heilige Brot den anwesenden Serben n»d Nüssen und der alte Sänger und Staats-
wann W»k comnnicirte der Erste. — Beim Heimgange des Zuges wehten Tücher
aus vielen Fenstern und von beiden Seiten wurde manches Slava gerufen.

Mit Nachdruck sei es hier gesagt, der ganze Umzug machte auf die Bewohner
Prags nicht die Wirkung, die die czechiscken Ultras erwartet hatten. Er war
schön, er hatte seine Romantik, aber er war etwas Fremdes, Aufgedrungenes. In
der großen Masse des Volkes weckte er keinen Nachhall. Es war ein kalter Prnnk-
zug, ein Opernichanstück bei Hellem Tageslicht. Keine große nationale Begeisterung
begrüßte diese Eröffmmgvfeier des slavischen Parlaments, ans die man so viele
Hoffnungen gesetzt hatte.

Vom 5. an begannen nnn Sitzungen, wichtiger als die vorbereitenden, in
welchen man viel Zeit mit Formalitäten, patriotischen Improvisationen mehr poe¬
tischen, als politischen Inhalts verzettelt hatte. El» Manifest an die Völker
Europas wurde proclamirt, entworfen und mit Begeisterung aufgenommen. Es
spricht sich über die Stellung der Slaven zu den romanischen und germanischen
Völkern aus und schildert, wie sich die Slaven ihre Zukunft zu gestalten gedenken.
In diesem Manifest waltet ein Geist, der nickt in Böhmen daheim ist. Man
sieht die polnischen und südslavischen Verfasser heraus, die den französischen Neo-
christianismus in Paris studirt, bei Lamennais und Mickiewicz in die Schule ge¬
gangen sind. Mickiewicz war der erste, der es als die Misston der Slaven ver¬
kündete, die Religion des Humanismus in die Politik einzuführen; dieser Ansicht
begegnet man in diesem Manifest wieder. „Den Slaven ist es gegeben, heißt es
hier, die Idee der Gleichberechtigung des Individuums neben dem andern auszu¬
dehnen auf die Gleichberechtigung aller Nationalitäten neben einander ans der
Basis der Bruderliebe und des Christenthums! Sie wollen keinen Krieg, sie sind
Völker des Friedens, sie fordern nur Gleichberechtigung neben den übrigen Völ¬
kern der Erde."

Diese Sprache ist schön, denn es weht in ihr der Geist der Zukunft. Man
kann bezweifeln, daß es eben den Slaven gegeben ist, dies Reich der Gerechtigkeit
und des Humanismus zwischen den Völkern der Erde einzuführen; aber unbe-
zweifelbar scheint es mir, daß es einmal über alle Nationen heranbrcchen wird.
Sprach - und Territorialfragen werden gewiß einmal zurücksinken vor edlern,
vor großartigen Kämpfen. Aber, ich wiederhole es nochmals, der Geist dieses
Manifestes ist dem Geiste der czechischen Partei völlig fremd. Die Politik dieses
Manifestes geht ans die sonnigen Felder des Humanismus hinaus, die czcchische
Politik in die Vorzeit zurück. Die Politik dieses Manifestes will die Vereinigung
aller freigewordenen Völker von gleicher Sprache und gleicher Geschichte um einen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276654"/>
            <p xml:id="ID_1547" prev="#ID_1546"> friedlichen Bücherwurms Kailina, dessen Manen sehr erstaunt gewesen sein mögen,<lb/>
da sie in eine Reibe mit Duham und Czerny-Georg gestellt wurden..... Nun<lb/>
begann eine Kommunion ans offenem Markte. Der serbische Presbyter brach das<lb/>
heilige Brot den anwesenden Serben n»d Nüssen und der alte Sänger und Staats-<lb/>
wann W»k comnnicirte der Erste. &#x2014; Beim Heimgange des Zuges wehten Tücher<lb/>
aus vielen Fenstern und von beiden Seiten wurde manches Slava gerufen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1548"> Mit Nachdruck sei es hier gesagt, der ganze Umzug machte auf die Bewohner<lb/>
Prags nicht die Wirkung, die die czechiscken Ultras erwartet hatten. Er war<lb/>
schön, er hatte seine Romantik, aber er war etwas Fremdes, Aufgedrungenes. In<lb/>
der großen Masse des Volkes weckte er keinen Nachhall. Es war ein kalter Prnnk-<lb/>
zug, ein Opernichanstück bei Hellem Tageslicht. Keine große nationale Begeisterung<lb/>
begrüßte diese Eröffmmgvfeier des slavischen Parlaments, ans die man so viele<lb/>
Hoffnungen gesetzt hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1549"> Vom 5. an begannen nnn Sitzungen, wichtiger als die vorbereitenden, in<lb/>
welchen man viel Zeit mit Formalitäten, patriotischen Improvisationen mehr poe¬<lb/>
tischen, als politischen Inhalts verzettelt hatte. El» Manifest an die Völker<lb/>
Europas wurde proclamirt, entworfen und mit Begeisterung aufgenommen. Es<lb/>
spricht sich über die Stellung der Slaven zu den romanischen und germanischen<lb/>
Völkern aus und schildert, wie sich die Slaven ihre Zukunft zu gestalten gedenken.<lb/>
In diesem Manifest waltet ein Geist, der nickt in Böhmen daheim ist. Man<lb/>
sieht die polnischen und südslavischen Verfasser heraus, die den französischen Neo-<lb/>
christianismus in Paris studirt, bei Lamennais und Mickiewicz in die Schule ge¬<lb/>
gangen sind. Mickiewicz war der erste, der es als die Misston der Slaven ver¬<lb/>
kündete, die Religion des Humanismus in die Politik einzuführen; dieser Ansicht<lb/>
begegnet man in diesem Manifest wieder. &#x201E;Den Slaven ist es gegeben, heißt es<lb/>
hier, die Idee der Gleichberechtigung des Individuums neben dem andern auszu¬<lb/>
dehnen auf die Gleichberechtigung aller Nationalitäten neben einander ans der<lb/>
Basis der Bruderliebe und des Christenthums! Sie wollen keinen Krieg, sie sind<lb/>
Völker des Friedens, sie fordern nur Gleichberechtigung neben den übrigen Völ¬<lb/>
kern der Erde."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1550" next="#ID_1551"> Diese Sprache ist schön, denn es weht in ihr der Geist der Zukunft. Man<lb/>
kann bezweifeln, daß es eben den Slaven gegeben ist, dies Reich der Gerechtigkeit<lb/>
und des Humanismus zwischen den Völkern der Erde einzuführen; aber unbe-<lb/>
zweifelbar scheint es mir, daß es einmal über alle Nationen heranbrcchen wird.<lb/>
Sprach - und Territorialfragen werden gewiß einmal zurücksinken vor edlern,<lb/>
vor großartigen Kämpfen. Aber, ich wiederhole es nochmals, der Geist dieses<lb/>
Manifestes ist dem Geiste der czechischen Partei völlig fremd. Die Politik dieses<lb/>
Manifestes geht ans die sonnigen Felder des Humanismus hinaus, die czcchische<lb/>
Politik in die Vorzeit zurück. Die Politik dieses Manifestes will die Vereinigung<lb/>
aller freigewordenen Völker von gleicher Sprache und gleicher Geschichte um einen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] friedlichen Bücherwurms Kailina, dessen Manen sehr erstaunt gewesen sein mögen, da sie in eine Reibe mit Duham und Czerny-Georg gestellt wurden..... Nun begann eine Kommunion ans offenem Markte. Der serbische Presbyter brach das heilige Brot den anwesenden Serben n»d Nüssen und der alte Sänger und Staats- wann W»k comnnicirte der Erste. — Beim Heimgange des Zuges wehten Tücher aus vielen Fenstern und von beiden Seiten wurde manches Slava gerufen. Mit Nachdruck sei es hier gesagt, der ganze Umzug machte auf die Bewohner Prags nicht die Wirkung, die die czechiscken Ultras erwartet hatten. Er war schön, er hatte seine Romantik, aber er war etwas Fremdes, Aufgedrungenes. In der großen Masse des Volkes weckte er keinen Nachhall. Es war ein kalter Prnnk- zug, ein Opernichanstück bei Hellem Tageslicht. Keine große nationale Begeisterung begrüßte diese Eröffmmgvfeier des slavischen Parlaments, ans die man so viele Hoffnungen gesetzt hatte. Vom 5. an begannen nnn Sitzungen, wichtiger als die vorbereitenden, in welchen man viel Zeit mit Formalitäten, patriotischen Improvisationen mehr poe¬ tischen, als politischen Inhalts verzettelt hatte. El» Manifest an die Völker Europas wurde proclamirt, entworfen und mit Begeisterung aufgenommen. Es spricht sich über die Stellung der Slaven zu den romanischen und germanischen Völkern aus und schildert, wie sich die Slaven ihre Zukunft zu gestalten gedenken. In diesem Manifest waltet ein Geist, der nickt in Böhmen daheim ist. Man sieht die polnischen und südslavischen Verfasser heraus, die den französischen Neo- christianismus in Paris studirt, bei Lamennais und Mickiewicz in die Schule ge¬ gangen sind. Mickiewicz war der erste, der es als die Misston der Slaven ver¬ kündete, die Religion des Humanismus in die Politik einzuführen; dieser Ansicht begegnet man in diesem Manifest wieder. „Den Slaven ist es gegeben, heißt es hier, die Idee der Gleichberechtigung des Individuums neben dem andern auszu¬ dehnen auf die Gleichberechtigung aller Nationalitäten neben einander ans der Basis der Bruderliebe und des Christenthums! Sie wollen keinen Krieg, sie sind Völker des Friedens, sie fordern nur Gleichberechtigung neben den übrigen Völ¬ kern der Erde." Diese Sprache ist schön, denn es weht in ihr der Geist der Zukunft. Man kann bezweifeln, daß es eben den Slaven gegeben ist, dies Reich der Gerechtigkeit und des Humanismus zwischen den Völkern der Erde einzuführen; aber unbe- zweifelbar scheint es mir, daß es einmal über alle Nationen heranbrcchen wird. Sprach - und Territorialfragen werden gewiß einmal zurücksinken vor edlern, vor großartigen Kämpfen. Aber, ich wiederhole es nochmals, der Geist dieses Manifestes ist dem Geiste der czechischen Partei völlig fremd. Die Politik dieses Manifestes geht ans die sonnigen Felder des Humanismus hinaus, die czcchische Politik in die Vorzeit zurück. Die Politik dieses Manifestes will die Vereinigung aller freigewordenen Völker von gleicher Sprache und gleicher Geschichte um einen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/448>, abgerufen am 26.06.2024.