Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Prag und der neue Panslavismus.



II.

Der slavische Kongreß in Prag, der von Tag zu Tag verschoben worden
war, ist endlich am vierten dieses Monats in bester Form eröffnet worden. Ein
serbischer Pope, der ehrwürdige Bamatovisch Protopresbyter aus Neusatz hat ihn
auf offenem Markte eingesegnet.

ES ist nun einmal Losung der dominirenden Partei geworden, bei Gründung
ihres neue" Volksthums immer in die Vorzeit zurückzugehen. Sie schreitet vor¬
wärts -- in die Vergangenheit. Aeußerlich zieht sie das Costüm des 15. und
16. Jahrhunderts an, bewaffnet sich mit Dreschflegeln und Morgensternen, in
Sachen deö Geistes rührt sie alte Traditionen, halbverschvllcne Gebräuche wieder
auf und verschmäht auch deu Aberglauben nicht, wenn er ihr in die Hände
arbeitet. "Der Slave beginnt Alles mit Gott," sagt ein altslavisches Sprichwort;
das Parlament der Slaven mühte demnach mit einer slavischen Messe eröffnet
werden. Um diese abzuhalten, hatte man die Auge" auf die Kyrill- und
MethodiuSkapclle in der hussitischen Teyninche geworfen, denn Cyrill und
Methodins haben das Verdienst, die Slaven zum Lichte des Christenthums
bekehrt zu haben; außerdem ward beschlossen, den Eougreß nnter den Schutz
des heiligen Waclaw zu stellen. Der heilige König Waclaw - den der bar¬
barische Ausländer ja nicht mit dem faulen König gleiches Namens verwech¬
seln darf -- genießt eines großen Rcuommv's als Deutschenfeind. Ein frommer
Volksglaube läßt ihn nicht gestorben sein, läßt ihn vielmehr mit 40 Rittern, vor¬
trefflichen Wajwodeu im Berge Blanyk sitzen, von wannen er einst kommen wird,
die Deutschen zu richten und ans dem Lande zu verjagen. Ein altes Kirchenlied,
von frommen Wallsahrtslenten viel gesungen, ohne daß die geistlichen Behörden
je etwas dawider gehabt hätten, ruft ihn in ähnlichem Sinne an. swaty Wa-
elawe, heiliger Wenzel! heißt es, komme zurück und vernichte den Fremdländer!

Rum, dieser gute Heilige hatte in der letzten Zeit wieder unendlich viel an
der Popularität gewonnen, die in dieser ungläubigen Zeit gar sehr ans dem Spiel
zu stehen schien. Die Führer der ezcchischen Partei verfehlten nie, an ihn zu
erinnern. Die ersten Refvrmversammlnngen fanden im Saale des Se. Wenzel-


Prag und der neue Panslavismus.



II.

Der slavische Kongreß in Prag, der von Tag zu Tag verschoben worden
war, ist endlich am vierten dieses Monats in bester Form eröffnet worden. Ein
serbischer Pope, der ehrwürdige Bamatovisch Protopresbyter aus Neusatz hat ihn
auf offenem Markte eingesegnet.

ES ist nun einmal Losung der dominirenden Partei geworden, bei Gründung
ihres neue» Volksthums immer in die Vorzeit zurückzugehen. Sie schreitet vor¬
wärts — in die Vergangenheit. Aeußerlich zieht sie das Costüm des 15. und
16. Jahrhunderts an, bewaffnet sich mit Dreschflegeln und Morgensternen, in
Sachen deö Geistes rührt sie alte Traditionen, halbverschvllcne Gebräuche wieder
auf und verschmäht auch deu Aberglauben nicht, wenn er ihr in die Hände
arbeitet. „Der Slave beginnt Alles mit Gott," sagt ein altslavisches Sprichwort;
das Parlament der Slaven mühte demnach mit einer slavischen Messe eröffnet
werden. Um diese abzuhalten, hatte man die Auge» auf die Kyrill- und
MethodiuSkapclle in der hussitischen Teyninche geworfen, denn Cyrill und
Methodins haben das Verdienst, die Slaven zum Lichte des Christenthums
bekehrt zu haben; außerdem ward beschlossen, den Eougreß nnter den Schutz
des heiligen Waclaw zu stellen. Der heilige König Waclaw - den der bar¬
barische Ausländer ja nicht mit dem faulen König gleiches Namens verwech¬
seln darf — genießt eines großen Rcuommv's als Deutschenfeind. Ein frommer
Volksglaube läßt ihn nicht gestorben sein, läßt ihn vielmehr mit 40 Rittern, vor¬
trefflichen Wajwodeu im Berge Blanyk sitzen, von wannen er einst kommen wird,
die Deutschen zu richten und ans dem Lande zu verjagen. Ein altes Kirchenlied,
von frommen Wallsahrtslenten viel gesungen, ohne daß die geistlichen Behörden
je etwas dawider gehabt hätten, ruft ihn in ähnlichem Sinne an. swaty Wa-
elawe, heiliger Wenzel! heißt es, komme zurück und vernichte den Fremdländer!

Rum, dieser gute Heilige hatte in der letzten Zeit wieder unendlich viel an
der Popularität gewonnen, die in dieser ungläubigen Zeit gar sehr ans dem Spiel
zu stehen schien. Die Führer der ezcchischen Partei verfehlten nie, an ihn zu
erinnern. Die ersten Refvrmversammlnngen fanden im Saale des Se. Wenzel-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276652"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Prag und der neue Panslavismus.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> II.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1539"> Der slavische Kongreß in Prag, der von Tag zu Tag verschoben worden<lb/>
war, ist endlich am vierten dieses Monats in bester Form eröffnet worden. Ein<lb/>
serbischer Pope, der ehrwürdige Bamatovisch Protopresbyter aus Neusatz hat ihn<lb/>
auf offenem Markte eingesegnet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1540"> ES ist nun einmal Losung der dominirenden Partei geworden, bei Gründung<lb/>
ihres neue» Volksthums immer in die Vorzeit zurückzugehen. Sie schreitet vor¬<lb/>
wärts &#x2014; in die Vergangenheit. Aeußerlich zieht sie das Costüm des 15. und<lb/>
16. Jahrhunderts an, bewaffnet sich mit Dreschflegeln und Morgensternen, in<lb/>
Sachen deö Geistes rührt sie alte Traditionen, halbverschvllcne Gebräuche wieder<lb/>
auf und verschmäht auch deu Aberglauben nicht, wenn er ihr in die Hände<lb/>
arbeitet. &#x201E;Der Slave beginnt Alles mit Gott," sagt ein altslavisches Sprichwort;<lb/>
das Parlament der Slaven mühte demnach mit einer slavischen Messe eröffnet<lb/>
werden. Um diese abzuhalten, hatte man die Auge» auf die Kyrill- und<lb/>
MethodiuSkapclle in der hussitischen Teyninche geworfen, denn Cyrill und<lb/>
Methodins haben das Verdienst, die Slaven zum Lichte des Christenthums<lb/>
bekehrt zu haben; außerdem ward beschlossen, den Eougreß nnter den Schutz<lb/>
des heiligen Waclaw zu stellen. Der heilige König Waclaw - den der bar¬<lb/>
barische Ausländer ja nicht mit dem faulen König gleiches Namens verwech¬<lb/>
seln darf &#x2014; genießt eines großen Rcuommv's als Deutschenfeind. Ein frommer<lb/>
Volksglaube läßt ihn nicht gestorben sein, läßt ihn vielmehr mit 40 Rittern, vor¬<lb/>
trefflichen Wajwodeu im Berge Blanyk sitzen, von wannen er einst kommen wird,<lb/>
die Deutschen zu richten und ans dem Lande zu verjagen. Ein altes Kirchenlied,<lb/>
von frommen Wallsahrtslenten viel gesungen, ohne daß die geistlichen Behörden<lb/>
je etwas dawider gehabt hätten, ruft ihn in ähnlichem Sinne an. swaty Wa-<lb/>
elawe, heiliger Wenzel! heißt es, komme zurück und vernichte den Fremdländer!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1541" next="#ID_1542"> Rum, dieser gute Heilige hatte in der letzten Zeit wieder unendlich viel an<lb/>
der Popularität gewonnen, die in dieser ungläubigen Zeit gar sehr ans dem Spiel<lb/>
zu stehen schien. Die Führer der ezcchischen Partei verfehlten nie, an ihn zu<lb/>
erinnern. Die ersten Refvrmversammlnngen fanden im Saale des Se. Wenzel-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0446] Prag und der neue Panslavismus. II. Der slavische Kongreß in Prag, der von Tag zu Tag verschoben worden war, ist endlich am vierten dieses Monats in bester Form eröffnet worden. Ein serbischer Pope, der ehrwürdige Bamatovisch Protopresbyter aus Neusatz hat ihn auf offenem Markte eingesegnet. ES ist nun einmal Losung der dominirenden Partei geworden, bei Gründung ihres neue» Volksthums immer in die Vorzeit zurückzugehen. Sie schreitet vor¬ wärts — in die Vergangenheit. Aeußerlich zieht sie das Costüm des 15. und 16. Jahrhunderts an, bewaffnet sich mit Dreschflegeln und Morgensternen, in Sachen deö Geistes rührt sie alte Traditionen, halbverschvllcne Gebräuche wieder auf und verschmäht auch deu Aberglauben nicht, wenn er ihr in die Hände arbeitet. „Der Slave beginnt Alles mit Gott," sagt ein altslavisches Sprichwort; das Parlament der Slaven mühte demnach mit einer slavischen Messe eröffnet werden. Um diese abzuhalten, hatte man die Auge» auf die Kyrill- und MethodiuSkapclle in der hussitischen Teyninche geworfen, denn Cyrill und Methodins haben das Verdienst, die Slaven zum Lichte des Christenthums bekehrt zu haben; außerdem ward beschlossen, den Eougreß nnter den Schutz des heiligen Waclaw zu stellen. Der heilige König Waclaw - den der bar¬ barische Ausländer ja nicht mit dem faulen König gleiches Namens verwech¬ seln darf — genießt eines großen Rcuommv's als Deutschenfeind. Ein frommer Volksglaube läßt ihn nicht gestorben sein, läßt ihn vielmehr mit 40 Rittern, vor¬ trefflichen Wajwodeu im Berge Blanyk sitzen, von wannen er einst kommen wird, die Deutschen zu richten und ans dem Lande zu verjagen. Ein altes Kirchenlied, von frommen Wallsahrtslenten viel gesungen, ohne daß die geistlichen Behörden je etwas dawider gehabt hätten, ruft ihn in ähnlichem Sinne an. swaty Wa- elawe, heiliger Wenzel! heißt es, komme zurück und vernichte den Fremdländer! Rum, dieser gute Heilige hatte in der letzten Zeit wieder unendlich viel an der Popularität gewonnen, die in dieser ungläubigen Zeit gar sehr ans dem Spiel zu stehen schien. Die Führer der ezcchischen Partei verfehlten nie, an ihn zu erinnern. Die ersten Refvrmversammlnngen fanden im Saale des Se. Wenzel-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/446
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/446>, abgerufen am 26.06.2024.