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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Das neue Wahlgesetz in Preußen.



Die Münster haben mit allen Maßregeln gezögert, bis zur Eröffnung des
Landtages, so sehr auch die dringendste Eile gefordert schien zur Beendigung
eines Zustandes, welcher der Anarchie ziemlich nahe steht. Man kann in dieser
Zögerung die weise Absicht erblicken, den Halt der Legalität keinen Augenblick
aufzugeben, weil sein Verlust zur unmittelbaren, d. h. willkürlichen Demokratie
führe. -- Die radikale Partei steht darin die Nichtanerkennung der Revolution.
Die Gefahr, die im Verzüge lag, ist jedenfalls vorüber. Prüfen wir die Ma߬
regeln selbst.

Der Landtag soll nicht über die Verfassung entscheiden. Er ist mir ein Pro¬
visorium -- zur Begründung eines Provisoriums. Er soll das Organ schaffen,
welches die Organisation beräth, die dauernde Form, ans welcher erst die neuen
Gesetze hervorgehen. Die Weitläufigkeit dieses Weges rechtfertigt sich aus dem
oben angegebenen Grunde. Der Landtag konnte die Verfassung nicht berathen,
nachdem die Assemblve constituante zum Stichwort und Ehrenpunkt der Revolution
geworden. So mußte man die Assemblee durch den Landtag berufen lassen, wenn
man die Ungesetzlichkeit nicht wollte. Das Wahlgesetz selbst ist möglichst freisinnig,
bis ans einen Hauptpunkt, den der indirecten Wahlen. Es ist eine große Unvor¬
sichtigkeit, aus doctrinären Gesichtspunkten einen Grundsatz aufrecht halten zu wol¬
len, der die öffentliche Meinung in einem solchen Grade gegen sich hat. Die in-
directe Wahl, selbst wenn die constituirende Versammlung sie beibehalten sollte,
wird einen fortwährenden Agitationspunkt abgeben, weil eine wahrhafte Bethei¬
ligung des Volks nur bei directen Wahlen möglich ist.

Welcker in seinem Entwurf eines Wahlgesetzes für das deutsche Parlament
hat ebenfalls indirecte Wahlen empfohlen und sich dabei auf das Beispiel Badens
berufen, wo die indirecten Wahlen bessere Resultate geliefert als die directen in
Würtemberg. Das liegt aber in ganz localen Verhältnissen. In Würtemberg
hängt ein großer Theil der Wahlen von der Landbevölkerung ab. Die Dorfbe¬
wohner richten sich dort meistens nach ihren Schulzen und diese sind in bestän¬
diger Furcht und Abhängigkeit von der Regierung, weil die Gemeindeverwaltung


Das neue Wahlgesetz in Preußen.



Die Münster haben mit allen Maßregeln gezögert, bis zur Eröffnung des
Landtages, so sehr auch die dringendste Eile gefordert schien zur Beendigung
eines Zustandes, welcher der Anarchie ziemlich nahe steht. Man kann in dieser
Zögerung die weise Absicht erblicken, den Halt der Legalität keinen Augenblick
aufzugeben, weil sein Verlust zur unmittelbaren, d. h. willkürlichen Demokratie
führe. — Die radikale Partei steht darin die Nichtanerkennung der Revolution.
Die Gefahr, die im Verzüge lag, ist jedenfalls vorüber. Prüfen wir die Ma߬
regeln selbst.

Der Landtag soll nicht über die Verfassung entscheiden. Er ist mir ein Pro¬
visorium — zur Begründung eines Provisoriums. Er soll das Organ schaffen,
welches die Organisation beräth, die dauernde Form, ans welcher erst die neuen
Gesetze hervorgehen. Die Weitläufigkeit dieses Weges rechtfertigt sich aus dem
oben angegebenen Grunde. Der Landtag konnte die Verfassung nicht berathen,
nachdem die Assemblve constituante zum Stichwort und Ehrenpunkt der Revolution
geworden. So mußte man die Assemblee durch den Landtag berufen lassen, wenn
man die Ungesetzlichkeit nicht wollte. Das Wahlgesetz selbst ist möglichst freisinnig,
bis ans einen Hauptpunkt, den der indirecten Wahlen. Es ist eine große Unvor¬
sichtigkeit, aus doctrinären Gesichtspunkten einen Grundsatz aufrecht halten zu wol¬
len, der die öffentliche Meinung in einem solchen Grade gegen sich hat. Die in-
directe Wahl, selbst wenn die constituirende Versammlung sie beibehalten sollte,
wird einen fortwährenden Agitationspunkt abgeben, weil eine wahrhafte Bethei¬
ligung des Volks nur bei directen Wahlen möglich ist.

Welcker in seinem Entwurf eines Wahlgesetzes für das deutsche Parlament
hat ebenfalls indirecte Wahlen empfohlen und sich dabei auf das Beispiel Badens
berufen, wo die indirecten Wahlen bessere Resultate geliefert als die directen in
Würtemberg. Das liegt aber in ganz localen Verhältnissen. In Würtemberg
hängt ein großer Theil der Wahlen von der Landbevölkerung ab. Die Dorfbe¬
wohner richten sich dort meistens nach ihren Schulzen und diese sind in bestän¬
diger Furcht und Abhängigkeit von der Regierung, weil die Gemeindeverwaltung


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[0044] Das neue Wahlgesetz in Preußen. Die Münster haben mit allen Maßregeln gezögert, bis zur Eröffnung des Landtages, so sehr auch die dringendste Eile gefordert schien zur Beendigung eines Zustandes, welcher der Anarchie ziemlich nahe steht. Man kann in dieser Zögerung die weise Absicht erblicken, den Halt der Legalität keinen Augenblick aufzugeben, weil sein Verlust zur unmittelbaren, d. h. willkürlichen Demokratie führe. — Die radikale Partei steht darin die Nichtanerkennung der Revolution. Die Gefahr, die im Verzüge lag, ist jedenfalls vorüber. Prüfen wir die Ma߬ regeln selbst. Der Landtag soll nicht über die Verfassung entscheiden. Er ist mir ein Pro¬ visorium — zur Begründung eines Provisoriums. Er soll das Organ schaffen, welches die Organisation beräth, die dauernde Form, ans welcher erst die neuen Gesetze hervorgehen. Die Weitläufigkeit dieses Weges rechtfertigt sich aus dem oben angegebenen Grunde. Der Landtag konnte die Verfassung nicht berathen, nachdem die Assemblve constituante zum Stichwort und Ehrenpunkt der Revolution geworden. So mußte man die Assemblee durch den Landtag berufen lassen, wenn man die Ungesetzlichkeit nicht wollte. Das Wahlgesetz selbst ist möglichst freisinnig, bis ans einen Hauptpunkt, den der indirecten Wahlen. Es ist eine große Unvor¬ sichtigkeit, aus doctrinären Gesichtspunkten einen Grundsatz aufrecht halten zu wol¬ len, der die öffentliche Meinung in einem solchen Grade gegen sich hat. Die in- directe Wahl, selbst wenn die constituirende Versammlung sie beibehalten sollte, wird einen fortwährenden Agitationspunkt abgeben, weil eine wahrhafte Bethei¬ ligung des Volks nur bei directen Wahlen möglich ist. Welcker in seinem Entwurf eines Wahlgesetzes für das deutsche Parlament hat ebenfalls indirecte Wahlen empfohlen und sich dabei auf das Beispiel Badens berufen, wo die indirecten Wahlen bessere Resultate geliefert als die directen in Würtemberg. Das liegt aber in ganz localen Verhältnissen. In Würtemberg hängt ein großer Theil der Wahlen von der Landbevölkerung ab. Die Dorfbe¬ wohner richten sich dort meistens nach ihren Schulzen und diese sind in bestän¬ diger Furcht und Abhängigkeit von der Regierung, weil die Gemeindeverwaltung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/44>, abgerufen am 26.06.2024.