Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unter Controle der Staatsbeamten steht und die des bureaukratischen Mechanis¬
mus ungewohntn Landleute fortwährend Verstöße machen swenn auch nur formelles
also der Nachsicht bedürfen. So konnten die Wahlen auf dem Lande meist im
Sinne der Regierung gelenkt werden. Diese Schwierigkeit fällt hinweg, sobald
die Gemeinden selbstständiger und die Verwaltungen volksthümlicher sind. Über¬
dies gewähren die indirecten Wahlen keine Abhülfe.

Um aus Preußen zurückzukommen, so ist die Einführung indirecter Wahlen
für die constituirende Versammlung ein großer Schritt zur Uupopularität der neuen
Minister, wenn die Landtagsverhandlungen ihnen diese Bürde nicht abnehmen.

Zu den Urwähler läßt das vorgeschlagene Gesetz jeden heimathsberechtigten
mündigen Preußen zu, sofern er nicht ans öffentlichen Mitteln Armenunterstützung
oder ohne eigenen Hausstand in einem dienenden Verhältniß Lohn und Kost be¬
zieht. Dies schließt zunächst deutlich den Almosenempfänger und den Dienstboten
aus. Die radicale Partei erklärte in ihrem ersten Manifeste, sich auch diese nicht
entreißen lassen zu wollen. Thatsächlich kommt darauf wenig an. Wer geistig
unselbstständig, urtheilslos ist, wählt nickt mit. Er gehorcht fremden Einflüssen,
wenn er nicht ausgeschlossen ist. Das Princip muß anerkannt werden, daß
Alle auf die Stufe der Wahlfähigkeit gehoben werden sollen. Die Dienstboten
müssen selbstständige und gebildete, d. h. urtheilsfähige Menschen sein, deren
Verhältniß als Haushaltungsgehülsen auf Contract, also auf Gleichheit beruht.

Der Begriff der Armenunterstützung ist zu unbestimmt. Der Invalid der
Arbeit darf so wenig ausgeschlossen werden wie der Staatspensionär, und wer
nie arbeiten konnte, ist nicht mündig, also diese Ausnahme überflüssig.

Wie ist dies aber weiter zu verstehen, "sofern er nicht in einem dienenden
Verhältnisse Lohn und Kost bezieht?" Sind damit blos die Dienstboten gemeint,
bezieht sich also das "dienende Verhältniß" blos auf Dienstleistungen zu Privat¬
zwecken? Es scheint nicht. Dann sind also die Kaufmannsdiener, die Gesellen
ausgeschlossen. Wohl auch die Staatsdiener? Denn der Geselle, der Kauf-
mannsgehnlfe dient ebenfalls öffentlichen Zwecken. Das Hanptkriterion wird also
wohl der eigene Hausstand sein. Aber wer hat einen Hausstand? Wer verhei-
rathet ist oder wer Kinder hat oder wer Dienstboten hält? Kann ein Wittwer
nicht seine Kinder auswärts erziehen lassen und ohne eigene Dienstboten zur
Miethe wohnen? Oder ist stimmberechtigt nur, wer mit Fran oder Kindern zu¬
sammenwohnt und der Kinderlose wie der von Kindern getrennt lebende Wittwer
ausgeschlossen?

Die Verhandlungen werden in diese Unklarheit Licht bringen. Es ist zu
wünschen, daß die unbestimmte Grenze des "dienenden Verhältnisses" möglichst
enge gezogen wird. Ob es nicht politisch gewesen wäre, gar keine solche Grenze
zu ziehen, bleibe dahingestellt. Die Minister hätten damit ein großes Freiheits¬
princip anerkannt und dem Volke ein Vertrauensvotum gegeben, das vom wohl-


unter Controle der Staatsbeamten steht und die des bureaukratischen Mechanis¬
mus ungewohntn Landleute fortwährend Verstöße machen swenn auch nur formelles
also der Nachsicht bedürfen. So konnten die Wahlen auf dem Lande meist im
Sinne der Regierung gelenkt werden. Diese Schwierigkeit fällt hinweg, sobald
die Gemeinden selbstständiger und die Verwaltungen volksthümlicher sind. Über¬
dies gewähren die indirecten Wahlen keine Abhülfe.

Um aus Preußen zurückzukommen, so ist die Einführung indirecter Wahlen
für die constituirende Versammlung ein großer Schritt zur Uupopularität der neuen
Minister, wenn die Landtagsverhandlungen ihnen diese Bürde nicht abnehmen.

Zu den Urwähler läßt das vorgeschlagene Gesetz jeden heimathsberechtigten
mündigen Preußen zu, sofern er nicht ans öffentlichen Mitteln Armenunterstützung
oder ohne eigenen Hausstand in einem dienenden Verhältniß Lohn und Kost be¬
zieht. Dies schließt zunächst deutlich den Almosenempfänger und den Dienstboten
aus. Die radicale Partei erklärte in ihrem ersten Manifeste, sich auch diese nicht
entreißen lassen zu wollen. Thatsächlich kommt darauf wenig an. Wer geistig
unselbstständig, urtheilslos ist, wählt nickt mit. Er gehorcht fremden Einflüssen,
wenn er nicht ausgeschlossen ist. Das Princip muß anerkannt werden, daß
Alle auf die Stufe der Wahlfähigkeit gehoben werden sollen. Die Dienstboten
müssen selbstständige und gebildete, d. h. urtheilsfähige Menschen sein, deren
Verhältniß als Haushaltungsgehülsen auf Contract, also auf Gleichheit beruht.

Der Begriff der Armenunterstützung ist zu unbestimmt. Der Invalid der
Arbeit darf so wenig ausgeschlossen werden wie der Staatspensionär, und wer
nie arbeiten konnte, ist nicht mündig, also diese Ausnahme überflüssig.

Wie ist dies aber weiter zu verstehen, „sofern er nicht in einem dienenden
Verhältnisse Lohn und Kost bezieht?" Sind damit blos die Dienstboten gemeint,
bezieht sich also das „dienende Verhältniß" blos auf Dienstleistungen zu Privat¬
zwecken? Es scheint nicht. Dann sind also die Kaufmannsdiener, die Gesellen
ausgeschlossen. Wohl auch die Staatsdiener? Denn der Geselle, der Kauf-
mannsgehnlfe dient ebenfalls öffentlichen Zwecken. Das Hanptkriterion wird also
wohl der eigene Hausstand sein. Aber wer hat einen Hausstand? Wer verhei-
rathet ist oder wer Kinder hat oder wer Dienstboten hält? Kann ein Wittwer
nicht seine Kinder auswärts erziehen lassen und ohne eigene Dienstboten zur
Miethe wohnen? Oder ist stimmberechtigt nur, wer mit Fran oder Kindern zu¬
sammenwohnt und der Kinderlose wie der von Kindern getrennt lebende Wittwer
ausgeschlossen?

Die Verhandlungen werden in diese Unklarheit Licht bringen. Es ist zu
wünschen, daß die unbestimmte Grenze des „dienenden Verhältnisses" möglichst
enge gezogen wird. Ob es nicht politisch gewesen wäre, gar keine solche Grenze
zu ziehen, bleibe dahingestellt. Die Minister hätten damit ein großes Freiheits¬
princip anerkannt und dem Volke ein Vertrauensvotum gegeben, das vom wohl-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276251"/>
          <p xml:id="ID_134" prev="#ID_133"> unter Controle der Staatsbeamten steht und die des bureaukratischen Mechanis¬<lb/>
mus ungewohntn Landleute fortwährend Verstöße machen swenn auch nur formelles<lb/>
also der Nachsicht bedürfen. So konnten die Wahlen auf dem Lande meist im<lb/>
Sinne der Regierung gelenkt werden. Diese Schwierigkeit fällt hinweg, sobald<lb/>
die Gemeinden selbstständiger und die Verwaltungen volksthümlicher sind. Über¬<lb/>
dies gewähren die indirecten Wahlen keine Abhülfe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_135"> Um aus Preußen zurückzukommen, so ist die Einführung indirecter Wahlen<lb/>
für die constituirende Versammlung ein großer Schritt zur Uupopularität der neuen<lb/>
Minister, wenn die Landtagsverhandlungen ihnen diese Bürde nicht abnehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_136"> Zu den Urwähler läßt das vorgeschlagene Gesetz jeden heimathsberechtigten<lb/>
mündigen Preußen zu, sofern er nicht ans öffentlichen Mitteln Armenunterstützung<lb/>
oder ohne eigenen Hausstand in einem dienenden Verhältniß Lohn und Kost be¬<lb/>
zieht. Dies schließt zunächst deutlich den Almosenempfänger und den Dienstboten<lb/>
aus. Die radicale Partei erklärte in ihrem ersten Manifeste, sich auch diese nicht<lb/>
entreißen lassen zu wollen. Thatsächlich kommt darauf wenig an. Wer geistig<lb/>
unselbstständig, urtheilslos ist, wählt nickt mit. Er gehorcht fremden Einflüssen,<lb/>
wenn er nicht ausgeschlossen ist. Das Princip muß anerkannt werden, daß<lb/>
Alle auf die Stufe der Wahlfähigkeit gehoben werden sollen. Die Dienstboten<lb/>
müssen selbstständige und gebildete, d. h. urtheilsfähige Menschen sein, deren<lb/>
Verhältniß als Haushaltungsgehülsen auf Contract, also auf Gleichheit beruht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_137"> Der Begriff der Armenunterstützung ist zu unbestimmt. Der Invalid der<lb/>
Arbeit darf so wenig ausgeschlossen werden wie der Staatspensionär, und wer<lb/>
nie arbeiten konnte, ist nicht mündig, also diese Ausnahme überflüssig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_138"> Wie ist dies aber weiter zu verstehen, &#x201E;sofern er nicht in einem dienenden<lb/>
Verhältnisse Lohn und Kost bezieht?" Sind damit blos die Dienstboten gemeint,<lb/>
bezieht sich also das &#x201E;dienende Verhältniß" blos auf Dienstleistungen zu Privat¬<lb/>
zwecken? Es scheint nicht. Dann sind also die Kaufmannsdiener, die Gesellen<lb/>
ausgeschlossen. Wohl auch die Staatsdiener? Denn der Geselle, der Kauf-<lb/>
mannsgehnlfe dient ebenfalls öffentlichen Zwecken. Das Hanptkriterion wird also<lb/>
wohl der eigene Hausstand sein. Aber wer hat einen Hausstand? Wer verhei-<lb/>
rathet ist oder wer Kinder hat oder wer Dienstboten hält? Kann ein Wittwer<lb/>
nicht seine Kinder auswärts erziehen lassen und ohne eigene Dienstboten zur<lb/>
Miethe wohnen? Oder ist stimmberechtigt nur, wer mit Fran oder Kindern zu¬<lb/>
sammenwohnt und der Kinderlose wie der von Kindern getrennt lebende Wittwer<lb/>
ausgeschlossen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_139" next="#ID_140"> Die Verhandlungen werden in diese Unklarheit Licht bringen. Es ist zu<lb/>
wünschen, daß die unbestimmte Grenze des &#x201E;dienenden Verhältnisses" möglichst<lb/>
enge gezogen wird. Ob es nicht politisch gewesen wäre, gar keine solche Grenze<lb/>
zu ziehen, bleibe dahingestellt. Die Minister hätten damit ein großes Freiheits¬<lb/>
princip anerkannt und dem Volke ein Vertrauensvotum gegeben, das vom wohl-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] unter Controle der Staatsbeamten steht und die des bureaukratischen Mechanis¬ mus ungewohntn Landleute fortwährend Verstöße machen swenn auch nur formelles also der Nachsicht bedürfen. So konnten die Wahlen auf dem Lande meist im Sinne der Regierung gelenkt werden. Diese Schwierigkeit fällt hinweg, sobald die Gemeinden selbstständiger und die Verwaltungen volksthümlicher sind. Über¬ dies gewähren die indirecten Wahlen keine Abhülfe. Um aus Preußen zurückzukommen, so ist die Einführung indirecter Wahlen für die constituirende Versammlung ein großer Schritt zur Uupopularität der neuen Minister, wenn die Landtagsverhandlungen ihnen diese Bürde nicht abnehmen. Zu den Urwähler läßt das vorgeschlagene Gesetz jeden heimathsberechtigten mündigen Preußen zu, sofern er nicht ans öffentlichen Mitteln Armenunterstützung oder ohne eigenen Hausstand in einem dienenden Verhältniß Lohn und Kost be¬ zieht. Dies schließt zunächst deutlich den Almosenempfänger und den Dienstboten aus. Die radicale Partei erklärte in ihrem ersten Manifeste, sich auch diese nicht entreißen lassen zu wollen. Thatsächlich kommt darauf wenig an. Wer geistig unselbstständig, urtheilslos ist, wählt nickt mit. Er gehorcht fremden Einflüssen, wenn er nicht ausgeschlossen ist. Das Princip muß anerkannt werden, daß Alle auf die Stufe der Wahlfähigkeit gehoben werden sollen. Die Dienstboten müssen selbstständige und gebildete, d. h. urtheilsfähige Menschen sein, deren Verhältniß als Haushaltungsgehülsen auf Contract, also auf Gleichheit beruht. Der Begriff der Armenunterstützung ist zu unbestimmt. Der Invalid der Arbeit darf so wenig ausgeschlossen werden wie der Staatspensionär, und wer nie arbeiten konnte, ist nicht mündig, also diese Ausnahme überflüssig. Wie ist dies aber weiter zu verstehen, „sofern er nicht in einem dienenden Verhältnisse Lohn und Kost bezieht?" Sind damit blos die Dienstboten gemeint, bezieht sich also das „dienende Verhältniß" blos auf Dienstleistungen zu Privat¬ zwecken? Es scheint nicht. Dann sind also die Kaufmannsdiener, die Gesellen ausgeschlossen. Wohl auch die Staatsdiener? Denn der Geselle, der Kauf- mannsgehnlfe dient ebenfalls öffentlichen Zwecken. Das Hanptkriterion wird also wohl der eigene Hausstand sein. Aber wer hat einen Hausstand? Wer verhei- rathet ist oder wer Kinder hat oder wer Dienstboten hält? Kann ein Wittwer nicht seine Kinder auswärts erziehen lassen und ohne eigene Dienstboten zur Miethe wohnen? Oder ist stimmberechtigt nur, wer mit Fran oder Kindern zu¬ sammenwohnt und der Kinderlose wie der von Kindern getrennt lebende Wittwer ausgeschlossen? Die Verhandlungen werden in diese Unklarheit Licht bringen. Es ist zu wünschen, daß die unbestimmte Grenze des „dienenden Verhältnisses" möglichst enge gezogen wird. Ob es nicht politisch gewesen wäre, gar keine solche Grenze zu ziehen, bleibe dahingestellt. Die Minister hätten damit ein großes Freiheits¬ princip anerkannt und dem Volke ein Vertrauensvotum gegeben, das vom wohl-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/45>, abgerufen am 22.07.2024.