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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Dialekt seiner Heimath zum Grunde. Die Czechen schrien über Verrath. Koll-ir
in Pesth, welcher ihm zur Erlangung seiner Concession behilflich gewesen war,
schrieb ganze Bände gegen das frevelhafte Unternehmen, das Czcchische, in dem
er selbst alle seine Schriften versaßt hatte, durch diese rauhe Gebirgssprache zu
verdrängen. Kolliir hat bekanntlich den Panslavismus erfunden, in den er sogar
das Rnssenthum zu verweben wußte, wenn gleich wir nicht glauben, daß gerade
er damit so schlimme Absichten verbunden hat, als damals ihm schuld gegeben
wurde. Schon Huß, sagte er, als einer meiner Bekannten in Pesth mich zu ihm
führte, habe eine czcchische Bibelübersetzung begonnen, und beklagte sich bitter, daß
das Volk ihm jetzt seine Kanzel (er ist Prediger) mit slovakischen Schimpfworten
beschmiere. Die Sprache der Slaven in Ungarn, welche, wie schon bemerkt, selbst
wieder in verschiedene Dialekte zerfällt, von denen Seur natürlich nur Einen zur
Schriftsprache erheben konnte, verhält sich seiner Meinung nach überhaupt nur
zu dem Böhmischen, wie etwa das Plattdeutsche zum Hochdeutschen. Abgesehen
nun aber davon, daß unser Plattdeutsch zuweilen eine Kraft und einen Wohlklang
enthält, von dem das Hochdeutsche keine Ahnung hat, weshalb es mir keineswegs
unbedingt verwerflich erscheinen würde, wenn man sich in Schriften für das Volk
zuweilen desselben bedienen wollte, hinkt dieser Vergleich ohne Zweifel deswegen,
weil das Böhmische und das Slovakische nicht in Einem Lande neben einander ge¬
sprochen werden. Denn die Gebildeten unter den Slaven Ungarns sprechen, von
den Stnriancrn abgesehen, mehr deutsch und lateinisch als czechisch. Ja man be¬
hauptet, daß dieses in Ungarn nirgends eigentlich rein gesprochen wird: Die ka¬
tholische Geistlichkeit predigt geradezu slovatisch, und die reformirten Prediger be¬
dienen sich meist eines Gemisches von Böhmischen und Slovakischem. Dazu kommt,
daß von den in czechischer Sprache erscheinenden Schriften selbst ungarischer Schrift¬
steller durchschnittlich nur zehn bis fünfzig Exemplare in Ungarn abgesetzt werden,
von den slovakischen aber, welche freilich meistens auch durch den billigen Preis
für das Volk berechnet sind, neun Hundert bis drei Tausend. Uebrigens erfuhr
ich, daß Koll.ir selbst sich in einer italienischen Reisebeschreibung früher dahin
ausgesprochen, daß das Slovakische dem Böhmischen vorzuziehen sei, und daß er
selbst eine slovakische Predigt habe drucken lassen, was aber damals keinen Anklang
fand, vermuthlich weil es nur ein sprachliches Experiment war und mit couse-
quentern Bestrebungen für die slovakische Nationalität, welche sich erst später gel¬
tend machten, nicht in Zusammenhange stand. - Im Uebrigen bin ich natürlich
nicht im Stande, ein Urtheil über die Erhebung dieses Karpathendialektes zur
Schriftsprache auszusprechen. Doch ist es bemerkenswerth, daß selbst Böhmen,
welche in Ungarn leben, sich nicht der Kolliir'schen, sondern der Seur'schen Rich¬
tung angeschlossen haben. So der Lehrer Kab-loi in Pesth, ein sehr populärer
Schriftsteller.

Wir haben also, mindestens so weit der Seur'sche Einfluß reicht -- und er


Dialekt seiner Heimath zum Grunde. Die Czechen schrien über Verrath. Koll-ir
in Pesth, welcher ihm zur Erlangung seiner Concession behilflich gewesen war,
schrieb ganze Bände gegen das frevelhafte Unternehmen, das Czcchische, in dem
er selbst alle seine Schriften versaßt hatte, durch diese rauhe Gebirgssprache zu
verdrängen. Kolliir hat bekanntlich den Panslavismus erfunden, in den er sogar
das Rnssenthum zu verweben wußte, wenn gleich wir nicht glauben, daß gerade
er damit so schlimme Absichten verbunden hat, als damals ihm schuld gegeben
wurde. Schon Huß, sagte er, als einer meiner Bekannten in Pesth mich zu ihm
führte, habe eine czcchische Bibelübersetzung begonnen, und beklagte sich bitter, daß
das Volk ihm jetzt seine Kanzel (er ist Prediger) mit slovakischen Schimpfworten
beschmiere. Die Sprache der Slaven in Ungarn, welche, wie schon bemerkt, selbst
wieder in verschiedene Dialekte zerfällt, von denen Seur natürlich nur Einen zur
Schriftsprache erheben konnte, verhält sich seiner Meinung nach überhaupt nur
zu dem Böhmischen, wie etwa das Plattdeutsche zum Hochdeutschen. Abgesehen
nun aber davon, daß unser Plattdeutsch zuweilen eine Kraft und einen Wohlklang
enthält, von dem das Hochdeutsche keine Ahnung hat, weshalb es mir keineswegs
unbedingt verwerflich erscheinen würde, wenn man sich in Schriften für das Volk
zuweilen desselben bedienen wollte, hinkt dieser Vergleich ohne Zweifel deswegen,
weil das Böhmische und das Slovakische nicht in Einem Lande neben einander ge¬
sprochen werden. Denn die Gebildeten unter den Slaven Ungarns sprechen, von
den Stnriancrn abgesehen, mehr deutsch und lateinisch als czechisch. Ja man be¬
hauptet, daß dieses in Ungarn nirgends eigentlich rein gesprochen wird: Die ka¬
tholische Geistlichkeit predigt geradezu slovatisch, und die reformirten Prediger be¬
dienen sich meist eines Gemisches von Böhmischen und Slovakischem. Dazu kommt,
daß von den in czechischer Sprache erscheinenden Schriften selbst ungarischer Schrift¬
steller durchschnittlich nur zehn bis fünfzig Exemplare in Ungarn abgesetzt werden,
von den slovakischen aber, welche freilich meistens auch durch den billigen Preis
für das Volk berechnet sind, neun Hundert bis drei Tausend. Uebrigens erfuhr
ich, daß Koll.ir selbst sich in einer italienischen Reisebeschreibung früher dahin
ausgesprochen, daß das Slovakische dem Böhmischen vorzuziehen sei, und daß er
selbst eine slovakische Predigt habe drucken lassen, was aber damals keinen Anklang
fand, vermuthlich weil es nur ein sprachliches Experiment war und mit couse-
quentern Bestrebungen für die slovakische Nationalität, welche sich erst später gel¬
tend machten, nicht in Zusammenhange stand. - Im Uebrigen bin ich natürlich
nicht im Stande, ein Urtheil über die Erhebung dieses Karpathendialektes zur
Schriftsprache auszusprechen. Doch ist es bemerkenswerth, daß selbst Böhmen,
welche in Ungarn leben, sich nicht der Kolliir'schen, sondern der Seur'schen Rich¬
tung angeschlossen haben. So der Lehrer Kab-loi in Pesth, ein sehr populärer
Schriftsteller.

Wir haben also, mindestens so weit der Seur'sche Einfluß reicht — und er


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[0438] Dialekt seiner Heimath zum Grunde. Die Czechen schrien über Verrath. Koll-ir in Pesth, welcher ihm zur Erlangung seiner Concession behilflich gewesen war, schrieb ganze Bände gegen das frevelhafte Unternehmen, das Czcchische, in dem er selbst alle seine Schriften versaßt hatte, durch diese rauhe Gebirgssprache zu verdrängen. Kolliir hat bekanntlich den Panslavismus erfunden, in den er sogar das Rnssenthum zu verweben wußte, wenn gleich wir nicht glauben, daß gerade er damit so schlimme Absichten verbunden hat, als damals ihm schuld gegeben wurde. Schon Huß, sagte er, als einer meiner Bekannten in Pesth mich zu ihm führte, habe eine czcchische Bibelübersetzung begonnen, und beklagte sich bitter, daß das Volk ihm jetzt seine Kanzel (er ist Prediger) mit slovakischen Schimpfworten beschmiere. Die Sprache der Slaven in Ungarn, welche, wie schon bemerkt, selbst wieder in verschiedene Dialekte zerfällt, von denen Seur natürlich nur Einen zur Schriftsprache erheben konnte, verhält sich seiner Meinung nach überhaupt nur zu dem Böhmischen, wie etwa das Plattdeutsche zum Hochdeutschen. Abgesehen nun aber davon, daß unser Plattdeutsch zuweilen eine Kraft und einen Wohlklang enthält, von dem das Hochdeutsche keine Ahnung hat, weshalb es mir keineswegs unbedingt verwerflich erscheinen würde, wenn man sich in Schriften für das Volk zuweilen desselben bedienen wollte, hinkt dieser Vergleich ohne Zweifel deswegen, weil das Böhmische und das Slovakische nicht in Einem Lande neben einander ge¬ sprochen werden. Denn die Gebildeten unter den Slaven Ungarns sprechen, von den Stnriancrn abgesehen, mehr deutsch und lateinisch als czechisch. Ja man be¬ hauptet, daß dieses in Ungarn nirgends eigentlich rein gesprochen wird: Die ka¬ tholische Geistlichkeit predigt geradezu slovatisch, und die reformirten Prediger be¬ dienen sich meist eines Gemisches von Böhmischen und Slovakischem. Dazu kommt, daß von den in czechischer Sprache erscheinenden Schriften selbst ungarischer Schrift¬ steller durchschnittlich nur zehn bis fünfzig Exemplare in Ungarn abgesetzt werden, von den slovakischen aber, welche freilich meistens auch durch den billigen Preis für das Volk berechnet sind, neun Hundert bis drei Tausend. Uebrigens erfuhr ich, daß Koll.ir selbst sich in einer italienischen Reisebeschreibung früher dahin ausgesprochen, daß das Slovakische dem Böhmischen vorzuziehen sei, und daß er selbst eine slovakische Predigt habe drucken lassen, was aber damals keinen Anklang fand, vermuthlich weil es nur ein sprachliches Experiment war und mit couse- quentern Bestrebungen für die slovakische Nationalität, welche sich erst später gel¬ tend machten, nicht in Zusammenhange stand. - Im Uebrigen bin ich natürlich nicht im Stande, ein Urtheil über die Erhebung dieses Karpathendialektes zur Schriftsprache auszusprechen. Doch ist es bemerkenswerth, daß selbst Böhmen, welche in Ungarn leben, sich nicht der Kolliir'schen, sondern der Seur'schen Rich¬ tung angeschlossen haben. So der Lehrer Kab-loi in Pesth, ein sehr populärer Schriftsteller. Wir haben also, mindestens so weit der Seur'sche Einfluß reicht — und er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/438>, abgerufen am 26.06.2024.