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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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reicht doch mindestens von den Karpathen hinab bis nach Preßburg und Pesth --
die Erhebung einer besondern slavischen Nationalität gesehen. Dürfen wir dies
zugleich als eine Lossagung von der Idee des Panslavisnins betrachten, welche
im Czechenthume offenbar die Hauptstütze hat? Dürfen wir den Streit zwischen
Seur und Kollar als eine Fehde mit dieser furchtbaren, aller europäischen Cul¬
tur Gefahr drohenden Abstraktion ansehen? Wir wissen es nicht; ja, wir er¬
fahren leider, daß die Deutschen in Ungarn auf's Neue eine Annäherung der
dortigen Slaven an Rußland fürchten.

In dem herrlichen Waagthale, welches sich vor Kurzem im Aufstande befand
oder noch befindet, ist Seur's Einfluß entscheidend. Hoffentlich hat ihm kein
angelegter Plan mit dunkeln Zwecken zu Grunde gelegen. Seur ist Protestant.
Er hat vor einem Decennium deutsche, philosophische Bildung in Halle empfan¬
gen. Er müßte ohnehin die Schöpfung einer jungen slvvakischen Literatur den
czechisch - panslavischen Bestrebungen mit zum Opfer bringen, wenn er sich ihnen
anschlösse.

Ungarn muß sich, frei von dem Einflüsse des Wiener Cabinets, selbstständig
organisiren. Unsere dortigen Landsleute müssen aufhören Oestreicher zu sein,
aber sie müssen Deutsche bleiben, -- zum Theil vielleicht anch erst werden.
Besitzen sie die Kraft nicht, die deutsche Fahne in Ungarn aufzupflanzen, so
geben wir sie verloren. Wollen sie mit Metternich's Geiste stehen und fallen?
Den Slovaken, glaube ich, steht in Ungarn selbst eine schöne Entwickelung bevor,
die durch den Anschluß an fremde slavische Nationalitäten nur gestört werden könnte.
Die Magyaren endlich mögen der Schönheit ihres edlen Nationalcharakters die-
Krone der Vollendung aufsetzen, indem sie die völlig gleiche Berechtigung an¬
derer Nationalitäten rede" der ihren anerkennen, -- und Ungarn kann noch
"ne schöne Zukunft haben!


"S. Pröhle.


Grenzboten. II.5.6

reicht doch mindestens von den Karpathen hinab bis nach Preßburg und Pesth —
die Erhebung einer besondern slavischen Nationalität gesehen. Dürfen wir dies
zugleich als eine Lossagung von der Idee des Panslavisnins betrachten, welche
im Czechenthume offenbar die Hauptstütze hat? Dürfen wir den Streit zwischen
Seur und Kollar als eine Fehde mit dieser furchtbaren, aller europäischen Cul¬
tur Gefahr drohenden Abstraktion ansehen? Wir wissen es nicht; ja, wir er¬
fahren leider, daß die Deutschen in Ungarn auf's Neue eine Annäherung der
dortigen Slaven an Rußland fürchten.

In dem herrlichen Waagthale, welches sich vor Kurzem im Aufstande befand
oder noch befindet, ist Seur's Einfluß entscheidend. Hoffentlich hat ihm kein
angelegter Plan mit dunkeln Zwecken zu Grunde gelegen. Seur ist Protestant.
Er hat vor einem Decennium deutsche, philosophische Bildung in Halle empfan¬
gen. Er müßte ohnehin die Schöpfung einer jungen slvvakischen Literatur den
czechisch - panslavischen Bestrebungen mit zum Opfer bringen, wenn er sich ihnen
anschlösse.

Ungarn muß sich, frei von dem Einflüsse des Wiener Cabinets, selbstständig
organisiren. Unsere dortigen Landsleute müssen aufhören Oestreicher zu sein,
aber sie müssen Deutsche bleiben, — zum Theil vielleicht anch erst werden.
Besitzen sie die Kraft nicht, die deutsche Fahne in Ungarn aufzupflanzen, so
geben wir sie verloren. Wollen sie mit Metternich's Geiste stehen und fallen?
Den Slovaken, glaube ich, steht in Ungarn selbst eine schöne Entwickelung bevor,
die durch den Anschluß an fremde slavische Nationalitäten nur gestört werden könnte.
Die Magyaren endlich mögen der Schönheit ihres edlen Nationalcharakters die-
Krone der Vollendung aufsetzen, indem sie die völlig gleiche Berechtigung an¬
derer Nationalitäten rede» der ihren anerkennen, — und Ungarn kann noch
«ne schöne Zukunft haben!


"S. Pröhle.


Grenzboten. II.5.6
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[0439] reicht doch mindestens von den Karpathen hinab bis nach Preßburg und Pesth — die Erhebung einer besondern slavischen Nationalität gesehen. Dürfen wir dies zugleich als eine Lossagung von der Idee des Panslavisnins betrachten, welche im Czechenthume offenbar die Hauptstütze hat? Dürfen wir den Streit zwischen Seur und Kollar als eine Fehde mit dieser furchtbaren, aller europäischen Cul¬ tur Gefahr drohenden Abstraktion ansehen? Wir wissen es nicht; ja, wir er¬ fahren leider, daß die Deutschen in Ungarn auf's Neue eine Annäherung der dortigen Slaven an Rußland fürchten. In dem herrlichen Waagthale, welches sich vor Kurzem im Aufstande befand oder noch befindet, ist Seur's Einfluß entscheidend. Hoffentlich hat ihm kein angelegter Plan mit dunkeln Zwecken zu Grunde gelegen. Seur ist Protestant. Er hat vor einem Decennium deutsche, philosophische Bildung in Halle empfan¬ gen. Er müßte ohnehin die Schöpfung einer jungen slvvakischen Literatur den czechisch - panslavischen Bestrebungen mit zum Opfer bringen, wenn er sich ihnen anschlösse. Ungarn muß sich, frei von dem Einflüsse des Wiener Cabinets, selbstständig organisiren. Unsere dortigen Landsleute müssen aufhören Oestreicher zu sein, aber sie müssen Deutsche bleiben, — zum Theil vielleicht anch erst werden. Besitzen sie die Kraft nicht, die deutsche Fahne in Ungarn aufzupflanzen, so geben wir sie verloren. Wollen sie mit Metternich's Geiste stehen und fallen? Den Slovaken, glaube ich, steht in Ungarn selbst eine schöne Entwickelung bevor, die durch den Anschluß an fremde slavische Nationalitäten nur gestört werden könnte. Die Magyaren endlich mögen der Schönheit ihres edlen Nationalcharakters die- Krone der Vollendung aufsetzen, indem sie die völlig gleiche Berechtigung an¬ derer Nationalitäten rede» der ihren anerkennen, — und Ungarn kann noch «ne schöne Zukunft haben! "S. Pröhle. Grenzboten. II.5.6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/439>, abgerufen am 26.06.2024.