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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Namen dieses Institutes habe nennen hören. Daß der Wucherer dennoch bestraft
wurde, versteht sich von selbst. Die Magyaren führten den Kampf der Natur¬
kraft und der Naivetät gegen die Bureaukratie und das Metternichsche System.
Welchem andern Volke Oestreichs wäre dieser Kampf so zur andern Natur ge¬
worden?

Die allerschlimmste Stellung in ganz Oestreich hatten vielleicht die Deutschen
in Ungarn. Ihre Stellung war keineswegs im ganzen Lande, wie die der herr¬
lichen Sachsen in Siebenbürgen, durch Herkommen und Sitten, Verfassung und
Recht gesichert. Sie waren im Lande nichts für sich selbst, sie mußten mit dem
östreichischen Polizeistaate stehn und fallen, ihre Stellung wurzelte in Wien, in
jener Hofkanzlei, welche man in Ungarn allenfalls ganz ignoriren konnte. Hät¬
ten die Deutschen in Ungarn wirklich Deutsche sein können, so hätte eS weit
besser um sie gestanden; aber es gab nnr Oestreicher in Ungarn. Die alten
Vorstellungen vom Reich ("draußen im Reich" sagt der Deutsch - Ungar) leben
zwar nnter ihnen noch fort; aber das ist es eben: das alte Kaiserthum hat in¬
zwischen aufgehört und ist östreichisch geworden, seit ihre Vorfahren aus Deutsch¬
land auswanderten. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß die
Deutschen in Ungarn zwar einige talentvolle Schriftsteller, aber keinen einzigen
öffentlichen politischen Charakter unter sich haben. Daß mir ein solcher nicht be¬
kannt ist, muß ich wenigstens unbedingt gestehen.

Leider ist es nur zu gewiß: die Deutschen in Ungarn haben dort noch immer
keine audere Stellung bekommen, als diejenige, welche ihnen die östreichische
Regierung geben konnte. Die Besten von ihnen wandten ihre Augen wohl auf
das gesammte Deutschland, sie hängen mit einer Liebe und einer Inbrunst am
Protestantismus, wie ich es selten oder nie anders gesehen habe. Auch ist, in
Preßburg wenigstens, viel deutsche Bildung. Dazu bleibi das Verhältniß der
Deutschen zu Deutschland immer frisch, denn zum Gluck hatten die Ungarn un-
bedingt das Recht, in Deutschland zu studiren. Wie sie dieses Recht benutzen,
lst bekannt. Noch in diesem Augenblicke gehört die protestantische Geistlichkeit
in Ungarn wesentlich dem Nationalismus an, welchen in Halle Wegscheider lehrt.
Wäre Deutschland ein starkes, einiges Land von jeher gewesen, so würden auch
unsre Landsleute in Ungarn stark und kräftig sein. Man kann ihr Verhältniß
zu Deutschland nicht schlagender ausdrücken, als derselbe Sohn Ungarns, welcher
mich einst so sehr ernst versicherte, daß er ein Deutscher sei, in einem Gedichte
gethan hat, welches ich daher mich nicht enthalten kann hier einzureihen:

In Ungarn, wo die vielen Wölker sind,
Da lebt auch mancher deutschen Mutter Kind.
In Bcrgesschacht, auf dürrem Haidesand,
Am Karpatus, am grünen Donaustrand,
Wirst überall, oasengleich im Sande,
Auf deutsche Heerde treffen in dem Lande.

Namen dieses Institutes habe nennen hören. Daß der Wucherer dennoch bestraft
wurde, versteht sich von selbst. Die Magyaren führten den Kampf der Natur¬
kraft und der Naivetät gegen die Bureaukratie und das Metternichsche System.
Welchem andern Volke Oestreichs wäre dieser Kampf so zur andern Natur ge¬
worden?

Die allerschlimmste Stellung in ganz Oestreich hatten vielleicht die Deutschen
in Ungarn. Ihre Stellung war keineswegs im ganzen Lande, wie die der herr¬
lichen Sachsen in Siebenbürgen, durch Herkommen und Sitten, Verfassung und
Recht gesichert. Sie waren im Lande nichts für sich selbst, sie mußten mit dem
östreichischen Polizeistaate stehn und fallen, ihre Stellung wurzelte in Wien, in
jener Hofkanzlei, welche man in Ungarn allenfalls ganz ignoriren konnte. Hät¬
ten die Deutschen in Ungarn wirklich Deutsche sein können, so hätte eS weit
besser um sie gestanden; aber es gab nnr Oestreicher in Ungarn. Die alten
Vorstellungen vom Reich („draußen im Reich" sagt der Deutsch - Ungar) leben
zwar nnter ihnen noch fort; aber das ist es eben: das alte Kaiserthum hat in¬
zwischen aufgehört und ist östreichisch geworden, seit ihre Vorfahren aus Deutsch¬
land auswanderten. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß die
Deutschen in Ungarn zwar einige talentvolle Schriftsteller, aber keinen einzigen
öffentlichen politischen Charakter unter sich haben. Daß mir ein solcher nicht be¬
kannt ist, muß ich wenigstens unbedingt gestehen.

Leider ist es nur zu gewiß: die Deutschen in Ungarn haben dort noch immer
keine audere Stellung bekommen, als diejenige, welche ihnen die östreichische
Regierung geben konnte. Die Besten von ihnen wandten ihre Augen wohl auf
das gesammte Deutschland, sie hängen mit einer Liebe und einer Inbrunst am
Protestantismus, wie ich es selten oder nie anders gesehen habe. Auch ist, in
Preßburg wenigstens, viel deutsche Bildung. Dazu bleibi das Verhältniß der
Deutschen zu Deutschland immer frisch, denn zum Gluck hatten die Ungarn un-
bedingt das Recht, in Deutschland zu studiren. Wie sie dieses Recht benutzen,
lst bekannt. Noch in diesem Augenblicke gehört die protestantische Geistlichkeit
in Ungarn wesentlich dem Nationalismus an, welchen in Halle Wegscheider lehrt.
Wäre Deutschland ein starkes, einiges Land von jeher gewesen, so würden auch
unsre Landsleute in Ungarn stark und kräftig sein. Man kann ihr Verhältniß
zu Deutschland nicht schlagender ausdrücken, als derselbe Sohn Ungarns, welcher
mich einst so sehr ernst versicherte, daß er ein Deutscher sei, in einem Gedichte
gethan hat, welches ich daher mich nicht enthalten kann hier einzureihen:

In Ungarn, wo die vielen Wölker sind,
Da lebt auch mancher deutschen Mutter Kind.
In Bcrgesschacht, auf dürrem Haidesand,
Am Karpatus, am grünen Donaustrand,
Wirst überall, oasengleich im Sande,
Auf deutsche Heerde treffen in dem Lande.

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[0435] Namen dieses Institutes habe nennen hören. Daß der Wucherer dennoch bestraft wurde, versteht sich von selbst. Die Magyaren führten den Kampf der Natur¬ kraft und der Naivetät gegen die Bureaukratie und das Metternichsche System. Welchem andern Volke Oestreichs wäre dieser Kampf so zur andern Natur ge¬ worden? Die allerschlimmste Stellung in ganz Oestreich hatten vielleicht die Deutschen in Ungarn. Ihre Stellung war keineswegs im ganzen Lande, wie die der herr¬ lichen Sachsen in Siebenbürgen, durch Herkommen und Sitten, Verfassung und Recht gesichert. Sie waren im Lande nichts für sich selbst, sie mußten mit dem östreichischen Polizeistaate stehn und fallen, ihre Stellung wurzelte in Wien, in jener Hofkanzlei, welche man in Ungarn allenfalls ganz ignoriren konnte. Hät¬ ten die Deutschen in Ungarn wirklich Deutsche sein können, so hätte eS weit besser um sie gestanden; aber es gab nnr Oestreicher in Ungarn. Die alten Vorstellungen vom Reich („draußen im Reich" sagt der Deutsch - Ungar) leben zwar nnter ihnen noch fort; aber das ist es eben: das alte Kaiserthum hat in¬ zwischen aufgehört und ist östreichisch geworden, seit ihre Vorfahren aus Deutsch¬ land auswanderten. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß die Deutschen in Ungarn zwar einige talentvolle Schriftsteller, aber keinen einzigen öffentlichen politischen Charakter unter sich haben. Daß mir ein solcher nicht be¬ kannt ist, muß ich wenigstens unbedingt gestehen. Leider ist es nur zu gewiß: die Deutschen in Ungarn haben dort noch immer keine audere Stellung bekommen, als diejenige, welche ihnen die östreichische Regierung geben konnte. Die Besten von ihnen wandten ihre Augen wohl auf das gesammte Deutschland, sie hängen mit einer Liebe und einer Inbrunst am Protestantismus, wie ich es selten oder nie anders gesehen habe. Auch ist, in Preßburg wenigstens, viel deutsche Bildung. Dazu bleibi das Verhältniß der Deutschen zu Deutschland immer frisch, denn zum Gluck hatten die Ungarn un- bedingt das Recht, in Deutschland zu studiren. Wie sie dieses Recht benutzen, lst bekannt. Noch in diesem Augenblicke gehört die protestantische Geistlichkeit in Ungarn wesentlich dem Nationalismus an, welchen in Halle Wegscheider lehrt. Wäre Deutschland ein starkes, einiges Land von jeher gewesen, so würden auch unsre Landsleute in Ungarn stark und kräftig sein. Man kann ihr Verhältniß zu Deutschland nicht schlagender ausdrücken, als derselbe Sohn Ungarns, welcher mich einst so sehr ernst versicherte, daß er ein Deutscher sei, in einem Gedichte gethan hat, welches ich daher mich nicht enthalten kann hier einzureihen: In Ungarn, wo die vielen Wölker sind, Da lebt auch mancher deutschen Mutter Kind. In Bcrgesschacht, auf dürrem Haidesand, Am Karpatus, am grünen Donaustrand, Wirst überall, oasengleich im Sande, Auf deutsche Heerde treffen in dem Lande.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/435>, abgerufen am 26.06.2024.