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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Auch die Slovaken hatten allmälig meine Aufmerksamkeit erregt, und als
ich im vorigen Jahre Ungarn selbst bereiste, wollte es der Zufall, daß ich nächst
den Deutschen mit diesen am meisten zusammen kam. Am Abende vor meiner
Abreise aus Ungarn wurde lebhast über die verschiedenen Nationalitäten debattirt,
und meine deutschen Freunde bemühten sich sichtlich, die Slovaken über die Magya¬
ren zu erheben. Da stand endlich die deutsche Hausfrau von ihrem Sessel auf,
um durch eine begeisterte Lobrede den Fremdling für die Magyaren zu gewinnen.
Noch hör' ich die aus Holtei's "40 Jahren" dem Publikum durch zahlreiche Briefe
bekannte Frau die slavische und magyarische Magd schildern, an deren Unter
schiebe sie die ganze Stammesverschiedenheit entwickelte. In der That, wenn sie
beschrieb, wie die biedere und treuherzige magyarische Magd ihre Freistunden am
Sonntag Nachmittag benutzt, um auf ihr Kämmerlein zu gehen und träge und
träumerisch das von der heißen Sonne beschienene Lager aufzusuchen, während die
leichtsinnige Slowenka ihrem Schatze nachgeht, so sah man jenes ganze sonnenver-
brannte Haidenvolk vor sich. Aber man erwarte nicht von mir, daß ich ihre tief
poetische Schilderung hier wieder zu geben vermag. Zudem muß ich gesteh", daß
doch noch ein lebhaftes Interesse sür die slovakische Nationalität in mir zurück¬
geblieben ist. Auch setzte sie sich ja zum Schlüsse selbst hin und sang ein slavisches
Liebeslied. -- Die Eindrücke, welche ich in Ungarn empfing, habe ich seitdem in
einer Reisebeschreibung ("Aus dem Kaiserstaat" im Morgenblatte) niedergelegt, die
großen Ereignisse, welche in den letzten Wochen geschehen und die namentlich den
Slovaken eine ganz andere Stellung gegeben haben, veranlassen mich jetzt, hier
einige politische Betrachtungen über die Lage Ungarns anzustellen.

Um sogleich hier es zu sagen, so kam es mir stets wie im Traume vor, wenn
ich den einen oder den andern der zahlreichen Berichte über den ungarischen Reichs¬
tag las, aus dem mau wahrlich kaum hätte ersehen können, daß Ungarn auch eine
slavische Bevölkerung hat, wenn man es nicht vorher schou gewußt hätte. Manche
Zeitung hat vielleicht vor 14 Tagen zum erfreu Mal den Namen der Slovaken
genannt, und dennoch war es mir schon um Michaelis so erschienen, als müßten
sie eher heute als morgen den politische" Schauplatz betreten.

Es ist keine Frage, daß bis vor Kurzem die magyarische Nationalität die
einzige war, die in Ungarn eine eines Volkes nicht unwürdige Stellung hatte.
Welche Stellung nahm sie der Negierung gegenüber ein! Offenbar die schönste
von allen Völkern Oestreichs. Wer von Wien aus dem Polizeistaate gründlich
entfliehen wollte, der brauchte nur mit dem Dampfschiffe auf der Donau die kurze
Strecke bis Theben oder Preßburg hinab zu schwimmen. Die ungarische Hof¬
kanzlei in Wien war in Ungarn selbst von jeher zum Gespött, ja ich hörte im
vollen Ernste einen Gebildeten erzählen: in Pesth sei Jemand als Wucherer ver¬
urtheilt und durch die ungarische Hofkanzlei von der Vollziehung seiner Strafe
entbunden, bei welcher Gelegenheit er selbst (der Erzähler) zum ersten Mle den


Auch die Slovaken hatten allmälig meine Aufmerksamkeit erregt, und als
ich im vorigen Jahre Ungarn selbst bereiste, wollte es der Zufall, daß ich nächst
den Deutschen mit diesen am meisten zusammen kam. Am Abende vor meiner
Abreise aus Ungarn wurde lebhast über die verschiedenen Nationalitäten debattirt,
und meine deutschen Freunde bemühten sich sichtlich, die Slovaken über die Magya¬
ren zu erheben. Da stand endlich die deutsche Hausfrau von ihrem Sessel auf,
um durch eine begeisterte Lobrede den Fremdling für die Magyaren zu gewinnen.
Noch hör' ich die aus Holtei's „40 Jahren" dem Publikum durch zahlreiche Briefe
bekannte Frau die slavische und magyarische Magd schildern, an deren Unter
schiebe sie die ganze Stammesverschiedenheit entwickelte. In der That, wenn sie
beschrieb, wie die biedere und treuherzige magyarische Magd ihre Freistunden am
Sonntag Nachmittag benutzt, um auf ihr Kämmerlein zu gehen und träge und
träumerisch das von der heißen Sonne beschienene Lager aufzusuchen, während die
leichtsinnige Slowenka ihrem Schatze nachgeht, so sah man jenes ganze sonnenver-
brannte Haidenvolk vor sich. Aber man erwarte nicht von mir, daß ich ihre tief
poetische Schilderung hier wieder zu geben vermag. Zudem muß ich gesteh», daß
doch noch ein lebhaftes Interesse sür die slovakische Nationalität in mir zurück¬
geblieben ist. Auch setzte sie sich ja zum Schlüsse selbst hin und sang ein slavisches
Liebeslied. — Die Eindrücke, welche ich in Ungarn empfing, habe ich seitdem in
einer Reisebeschreibung („Aus dem Kaiserstaat" im Morgenblatte) niedergelegt, die
großen Ereignisse, welche in den letzten Wochen geschehen und die namentlich den
Slovaken eine ganz andere Stellung gegeben haben, veranlassen mich jetzt, hier
einige politische Betrachtungen über die Lage Ungarns anzustellen.

Um sogleich hier es zu sagen, so kam es mir stets wie im Traume vor, wenn
ich den einen oder den andern der zahlreichen Berichte über den ungarischen Reichs¬
tag las, aus dem mau wahrlich kaum hätte ersehen können, daß Ungarn auch eine
slavische Bevölkerung hat, wenn man es nicht vorher schou gewußt hätte. Manche
Zeitung hat vielleicht vor 14 Tagen zum erfreu Mal den Namen der Slovaken
genannt, und dennoch war es mir schon um Michaelis so erschienen, als müßten
sie eher heute als morgen den politische» Schauplatz betreten.

Es ist keine Frage, daß bis vor Kurzem die magyarische Nationalität die
einzige war, die in Ungarn eine eines Volkes nicht unwürdige Stellung hatte.
Welche Stellung nahm sie der Negierung gegenüber ein! Offenbar die schönste
von allen Völkern Oestreichs. Wer von Wien aus dem Polizeistaate gründlich
entfliehen wollte, der brauchte nur mit dem Dampfschiffe auf der Donau die kurze
Strecke bis Theben oder Preßburg hinab zu schwimmen. Die ungarische Hof¬
kanzlei in Wien war in Ungarn selbst von jeher zum Gespött, ja ich hörte im
vollen Ernste einen Gebildeten erzählen: in Pesth sei Jemand als Wucherer ver¬
urtheilt und durch die ungarische Hofkanzlei von der Vollziehung seiner Strafe
entbunden, bei welcher Gelegenheit er selbst (der Erzähler) zum ersten Mle den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/434>, abgerufen am 26.06.2024.