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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Ein gewisser innerer Zusammenhang ist diesem Manifest nicht abzusprechen,
und wenn sich trotzdem zahlreiche Widersprüche darin vorfinden, so liegt das le¬
diglich darin, daß es doch noch nicht aufrichtig genug ist.

Die Nationalversammlung wird nämlich von dieser Partei augesehen als der
permanente Revolutionsausschuß sämmtlicher deutschen Demokraten, als der Cen-
tralpunkt aller demokratischen Vereine. Geht man von diesem Gesichtspunkt aus,
so schwinden die Widersprüche. Wir wollen die einzelnen Punkte näher in's Auge
fassen.

^6 1) Es ist auffallend, daß dieselbe Partei, welche der Nationalversammlung
die volle Souveränität zuspreche" will, nicht müde wird, über jene Nationalver¬
sammlung als ein Mischmasch reactionärer Gelüste und politischer Impotenz den
Stab zu brechen, nicht müde, über die Tyrannei der Majorität zu klagen. Wenn
die Versammlung wirklich souverän ist, wer soll denn ihren Willen anders aus¬
drücken, als ihre Majorität? Und je tyrannischer diese zu Werke geht, desto mehr
muß sie ja den Wünschen jener Sonveränitätsmänuer entspreche". Gesetzt nun,
jene allein souveräne Versammlung erklärt: wir wollen hören, was die Fürsten
für eine Ansicht über die Verfassung haben und dann mit Rücksichtnahme ans diese
Ansicht unsern souveränen Willen formuliren -- wer sollte über die rechtliche Geltung
eines solchen Entschlusses in Zweifel sei? Das Parlament leitet seine Souveränität
von der Souveränität des Volkes her, Volk heißt nach der modernen Staatstheorie
die Masse der 2l>jährigen, in dem letzten Semester in ihrem Geburtslande wohnhaften
männlichen Personen innerhalb der Grenzen der in der Bundesacte von 1815 zum
deutschen Bunde gerechneten Länder, die nicht gesetzlich des Blödsinns oder des
Diebstahls überführt sind. Die Souveränität dieses Volks besteht theils in der
Freiheit der Emeute, theils in dem Recht, auf je 5V,000 Köpfe nach der alten
R^ichsmatrikel einen Deputaten nach Frankfurt zu wählen, der nach bester Ein¬
sicht seine Stumme über die neue Verfassung abzugeben hat. Nach dieser Theorie
ist also die rechte Seite der Versammlung vollständig in ihrem Recht und die An¬
klage ihrer Gegner hat keinen Sinn.

Anders stellt sich freilich die Sache heraus, wenn wir mehr auf die Meinung,
als auf den Ausdruck eingehen. Die Nationalversammlung, als revolutionärer
Ausschuß angesehen, verfehlt freilich ihren Zweck, wenn sie auf die Revolution
verzichtet. In diesem Sinn waren das Vorparlament und der Fünfziger-Aus¬
schuß besser gestellt, sie waren nichts anders, als was sie vorstellten: eine Ver¬
sammlung, die sich aus der Mitte einer Partei nach eignem Willen zusammen¬
gefügt hatte und die keine andern Grenzen ihres Rechts kannte, als die Grenzen
ihrer Macht und ihres Willens. Daß auch diese beiden Versammlungen sich we¬
nigstens theilweise innerhalb der rechtlichen Formen hielten, ist ein schlimmes
Präjudiz für die demokratische Partei.

Allein das gegenwärtige Parlament steht nicht direct auf revolutionärem Boden.


Ein gewisser innerer Zusammenhang ist diesem Manifest nicht abzusprechen,
und wenn sich trotzdem zahlreiche Widersprüche darin vorfinden, so liegt das le¬
diglich darin, daß es doch noch nicht aufrichtig genug ist.

Die Nationalversammlung wird nämlich von dieser Partei augesehen als der
permanente Revolutionsausschuß sämmtlicher deutschen Demokraten, als der Cen-
tralpunkt aller demokratischen Vereine. Geht man von diesem Gesichtspunkt aus,
so schwinden die Widersprüche. Wir wollen die einzelnen Punkte näher in's Auge
fassen.

^6 1) Es ist auffallend, daß dieselbe Partei, welche der Nationalversammlung
die volle Souveränität zuspreche» will, nicht müde wird, über jene Nationalver¬
sammlung als ein Mischmasch reactionärer Gelüste und politischer Impotenz den
Stab zu brechen, nicht müde, über die Tyrannei der Majorität zu klagen. Wenn
die Versammlung wirklich souverän ist, wer soll denn ihren Willen anders aus¬
drücken, als ihre Majorität? Und je tyrannischer diese zu Werke geht, desto mehr
muß sie ja den Wünschen jener Sonveränitätsmänuer entspreche». Gesetzt nun,
jene allein souveräne Versammlung erklärt: wir wollen hören, was die Fürsten
für eine Ansicht über die Verfassung haben und dann mit Rücksichtnahme ans diese
Ansicht unsern souveränen Willen formuliren — wer sollte über die rechtliche Geltung
eines solchen Entschlusses in Zweifel sei? Das Parlament leitet seine Souveränität
von der Souveränität des Volkes her, Volk heißt nach der modernen Staatstheorie
die Masse der 2l>jährigen, in dem letzten Semester in ihrem Geburtslande wohnhaften
männlichen Personen innerhalb der Grenzen der in der Bundesacte von 1815 zum
deutschen Bunde gerechneten Länder, die nicht gesetzlich des Blödsinns oder des
Diebstahls überführt sind. Die Souveränität dieses Volks besteht theils in der
Freiheit der Emeute, theils in dem Recht, auf je 5V,000 Köpfe nach der alten
R^ichsmatrikel einen Deputaten nach Frankfurt zu wählen, der nach bester Ein¬
sicht seine Stumme über die neue Verfassung abzugeben hat. Nach dieser Theorie
ist also die rechte Seite der Versammlung vollständig in ihrem Recht und die An¬
klage ihrer Gegner hat keinen Sinn.

Anders stellt sich freilich die Sache heraus, wenn wir mehr auf die Meinung,
als auf den Ausdruck eingehen. Die Nationalversammlung, als revolutionärer
Ausschuß angesehen, verfehlt freilich ihren Zweck, wenn sie auf die Revolution
verzichtet. In diesem Sinn waren das Vorparlament und der Fünfziger-Aus¬
schuß besser gestellt, sie waren nichts anders, als was sie vorstellten: eine Ver¬
sammlung, die sich aus der Mitte einer Partei nach eignem Willen zusammen¬
gefügt hatte und die keine andern Grenzen ihres Rechts kannte, als die Grenzen
ihrer Macht und ihres Willens. Daß auch diese beiden Versammlungen sich we¬
nigstens theilweise innerhalb der rechtlichen Formen hielten, ist ein schlimmes
Präjudiz für die demokratische Partei.

Allein das gegenwärtige Parlament steht nicht direct auf revolutionärem Boden.


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[0424] Ein gewisser innerer Zusammenhang ist diesem Manifest nicht abzusprechen, und wenn sich trotzdem zahlreiche Widersprüche darin vorfinden, so liegt das le¬ diglich darin, daß es doch noch nicht aufrichtig genug ist. Die Nationalversammlung wird nämlich von dieser Partei augesehen als der permanente Revolutionsausschuß sämmtlicher deutschen Demokraten, als der Cen- tralpunkt aller demokratischen Vereine. Geht man von diesem Gesichtspunkt aus, so schwinden die Widersprüche. Wir wollen die einzelnen Punkte näher in's Auge fassen. ^6 1) Es ist auffallend, daß dieselbe Partei, welche der Nationalversammlung die volle Souveränität zuspreche» will, nicht müde wird, über jene Nationalver¬ sammlung als ein Mischmasch reactionärer Gelüste und politischer Impotenz den Stab zu brechen, nicht müde, über die Tyrannei der Majorität zu klagen. Wenn die Versammlung wirklich souverän ist, wer soll denn ihren Willen anders aus¬ drücken, als ihre Majorität? Und je tyrannischer diese zu Werke geht, desto mehr muß sie ja den Wünschen jener Sonveränitätsmänuer entspreche». Gesetzt nun, jene allein souveräne Versammlung erklärt: wir wollen hören, was die Fürsten für eine Ansicht über die Verfassung haben und dann mit Rücksichtnahme ans diese Ansicht unsern souveränen Willen formuliren — wer sollte über die rechtliche Geltung eines solchen Entschlusses in Zweifel sei? Das Parlament leitet seine Souveränität von der Souveränität des Volkes her, Volk heißt nach der modernen Staatstheorie die Masse der 2l>jährigen, in dem letzten Semester in ihrem Geburtslande wohnhaften männlichen Personen innerhalb der Grenzen der in der Bundesacte von 1815 zum deutschen Bunde gerechneten Länder, die nicht gesetzlich des Blödsinns oder des Diebstahls überführt sind. Die Souveränität dieses Volks besteht theils in der Freiheit der Emeute, theils in dem Recht, auf je 5V,000 Köpfe nach der alten R^ichsmatrikel einen Deputaten nach Frankfurt zu wählen, der nach bester Ein¬ sicht seine Stumme über die neue Verfassung abzugeben hat. Nach dieser Theorie ist also die rechte Seite der Versammlung vollständig in ihrem Recht und die An¬ klage ihrer Gegner hat keinen Sinn. Anders stellt sich freilich die Sache heraus, wenn wir mehr auf die Meinung, als auf den Ausdruck eingehen. Die Nationalversammlung, als revolutionärer Ausschuß angesehen, verfehlt freilich ihren Zweck, wenn sie auf die Revolution verzichtet. In diesem Sinn waren das Vorparlament und der Fünfziger-Aus¬ schuß besser gestellt, sie waren nichts anders, als was sie vorstellten: eine Ver¬ sammlung, die sich aus der Mitte einer Partei nach eignem Willen zusammen¬ gefügt hatte und die keine andern Grenzen ihres Rechts kannte, als die Grenzen ihrer Macht und ihres Willens. Daß auch diese beiden Versammlungen sich we¬ nigstens theilweise innerhalb der rechtlichen Formen hielten, ist ein schlimmes Präjudiz für die demokratische Partei. Allein das gegenwärtige Parlament steht nicht direct auf revolutionärem Boden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/424>, abgerufen am 26.06.2024.