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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die äußerste Linke in Frankfurt.



Die radikale Partei in der Nationalversammlung des heilige" römischen Reichs
deutscher Nation zeigt sich rühriger als ihre Gegner; die beiden Fractionen der¬
selben , die "Linke" und die "äußerste Linke," haben sich constituirt und ein Pro¬
gramm ihrer Ansichten entworfen. Wenn anch die letztere an Zahl sehr gering ist
-- ihr Manifest zählt nur 19 Unterschriften, und selbst ihre eifrigsten Parteiblätter
rechnen höchstens auf 50 Mitglieder, die sich nach und nach um ihre Fahne sam¬
meln sollen - - so hat sie doch den großen Vorzug, aufrichtig und consequent in
ihren Grundsätzen zu sein. Die sogenannte Linke will wohl ungefähr dasselbe, sie
hat nnr nicht -- soll ich sagen die Konsequenz oder den Muth -- sich vollständig
zu erklären. Ju jenem Manifest fordern folgende Punkte eine nähere Beleuchtung.

1) Die neue Verfassung Deutschlands soll einzig und allein von der Natio¬
nalversammlung ausgehen, die in ihrer revolutionären Machtvollkommenheit, ohne
irgend welche Vereinbarung mit den bisher bestehenden und anerkannten Gewalten
über die Geschicke Deutschlands verfügen soll. Denn jene Gewalten, die nur zum
Unglück Deutschlands bestanden, seien durch die Revolution gesetzlich und factisch
gebrochen und jeder Versuch, mit ihnen in Unterhandlung zu treten, sei eine
Reaction.

2) Die Regierung Deutschlands soll künftig -- allenfalls mit Ausnahme der
localen, Beziehungen -- einzig und allein von der deutschen Reichsversammlung
durch ihre frei gewählten Organe -- einen Präsidenten und einen executiven Aus¬
schuß -- geführt werden, nud deu einzelnen Staaten soll nur so viel Gewalt
bleibe", als ihnen von jener übertragen wird.

y Den einzelnen Staaten soll es freistehen, in der Bahn der Freisinnigkeit
so weit vorzuschreiten, als sie wollen -- z.B. zur Republik -- und kein anderer
Staat soll das Recht haben, sich in diese innern Angelegenheiten einzumischen;
doch wird von der Nationalversammlung ein Minimum der Freistnnigkeit festge¬
setzt und dieses nöthigenfalls mit Gewalt eingeführt.

4) Die vereinigten Staaten von Deutschland verbinden sich mit den Franzo¬
sen, Italienern und Slaven zur Erkämpfung allgemeiner, ans Nationalität be¬
gründeter Freiheit. Die Revolution soll ihren Lauf bis nach Moskau richten.


GrciiMc". II. liiiü. 54
Die äußerste Linke in Frankfurt.



Die radikale Partei in der Nationalversammlung des heilige» römischen Reichs
deutscher Nation zeigt sich rühriger als ihre Gegner; die beiden Fractionen der¬
selben , die „Linke" und die „äußerste Linke," haben sich constituirt und ein Pro¬
gramm ihrer Ansichten entworfen. Wenn anch die letztere an Zahl sehr gering ist
— ihr Manifest zählt nur 19 Unterschriften, und selbst ihre eifrigsten Parteiblätter
rechnen höchstens auf 50 Mitglieder, die sich nach und nach um ihre Fahne sam¬
meln sollen - - so hat sie doch den großen Vorzug, aufrichtig und consequent in
ihren Grundsätzen zu sein. Die sogenannte Linke will wohl ungefähr dasselbe, sie
hat nnr nicht — soll ich sagen die Konsequenz oder den Muth — sich vollständig
zu erklären. Ju jenem Manifest fordern folgende Punkte eine nähere Beleuchtung.

1) Die neue Verfassung Deutschlands soll einzig und allein von der Natio¬
nalversammlung ausgehen, die in ihrer revolutionären Machtvollkommenheit, ohne
irgend welche Vereinbarung mit den bisher bestehenden und anerkannten Gewalten
über die Geschicke Deutschlands verfügen soll. Denn jene Gewalten, die nur zum
Unglück Deutschlands bestanden, seien durch die Revolution gesetzlich und factisch
gebrochen und jeder Versuch, mit ihnen in Unterhandlung zu treten, sei eine
Reaction.

2) Die Regierung Deutschlands soll künftig — allenfalls mit Ausnahme der
localen, Beziehungen — einzig und allein von der deutschen Reichsversammlung
durch ihre frei gewählten Organe — einen Präsidenten und einen executiven Aus¬
schuß — geführt werden, nud deu einzelnen Staaten soll nur so viel Gewalt
bleibe», als ihnen von jener übertragen wird.

y Den einzelnen Staaten soll es freistehen, in der Bahn der Freisinnigkeit
so weit vorzuschreiten, als sie wollen — z.B. zur Republik — und kein anderer
Staat soll das Recht haben, sich in diese innern Angelegenheiten einzumischen;
doch wird von der Nationalversammlung ein Minimum der Freistnnigkeit festge¬
setzt und dieses nöthigenfalls mit Gewalt eingeführt.

4) Die vereinigten Staaten von Deutschland verbinden sich mit den Franzo¬
sen, Italienern und Slaven zur Erkämpfung allgemeiner, ans Nationalität be¬
gründeter Freiheit. Die Revolution soll ihren Lauf bis nach Moskau richten.


GrciiMc». II. liiiü. 54
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[0423] Die äußerste Linke in Frankfurt. Die radikale Partei in der Nationalversammlung des heilige» römischen Reichs deutscher Nation zeigt sich rühriger als ihre Gegner; die beiden Fractionen der¬ selben , die „Linke" und die „äußerste Linke," haben sich constituirt und ein Pro¬ gramm ihrer Ansichten entworfen. Wenn anch die letztere an Zahl sehr gering ist — ihr Manifest zählt nur 19 Unterschriften, und selbst ihre eifrigsten Parteiblätter rechnen höchstens auf 50 Mitglieder, die sich nach und nach um ihre Fahne sam¬ meln sollen - - so hat sie doch den großen Vorzug, aufrichtig und consequent in ihren Grundsätzen zu sein. Die sogenannte Linke will wohl ungefähr dasselbe, sie hat nnr nicht — soll ich sagen die Konsequenz oder den Muth — sich vollständig zu erklären. Ju jenem Manifest fordern folgende Punkte eine nähere Beleuchtung. 1) Die neue Verfassung Deutschlands soll einzig und allein von der Natio¬ nalversammlung ausgehen, die in ihrer revolutionären Machtvollkommenheit, ohne irgend welche Vereinbarung mit den bisher bestehenden und anerkannten Gewalten über die Geschicke Deutschlands verfügen soll. Denn jene Gewalten, die nur zum Unglück Deutschlands bestanden, seien durch die Revolution gesetzlich und factisch gebrochen und jeder Versuch, mit ihnen in Unterhandlung zu treten, sei eine Reaction. 2) Die Regierung Deutschlands soll künftig — allenfalls mit Ausnahme der localen, Beziehungen — einzig und allein von der deutschen Reichsversammlung durch ihre frei gewählten Organe — einen Präsidenten und einen executiven Aus¬ schuß — geführt werden, nud deu einzelnen Staaten soll nur so viel Gewalt bleibe», als ihnen von jener übertragen wird. y Den einzelnen Staaten soll es freistehen, in der Bahn der Freisinnigkeit so weit vorzuschreiten, als sie wollen — z.B. zur Republik — und kein anderer Staat soll das Recht haben, sich in diese innern Angelegenheiten einzumischen; doch wird von der Nationalversammlung ein Minimum der Freistnnigkeit festge¬ setzt und dieses nöthigenfalls mit Gewalt eingeführt. 4) Die vereinigten Staaten von Deutschland verbinden sich mit den Franzo¬ sen, Italienern und Slaven zur Erkämpfung allgemeiner, ans Nationalität be¬ gründeter Freiheit. Die Revolution soll ihren Lauf bis nach Moskau richten. GrciiMc». II. liiiü. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/423>, abgerufen am 26.06.2024.