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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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die Denkenden unter dem hiesigen Publikum nicht enthalten, to looK itttlior 8t>oe-
pisn, d. h. ein -- langes Gesicht zu machen. Der triumphirende Leitartikel in
der Times erscheint allen Unbefangenen sehr formt. Erstens hat sich gezeigt,
daß die katholische' Majorität ans der Schwestcrinsel Herrn Mitchell wirklich als
ein Opfer der Tyrannei und Willkür betrachtet, in jeder Beziehung mit ihm sym-
pathisirt, seine Ansichten theilt, seine Sache für eine reine und gerechte hält. Im
Gerichtshofe selbst und ans allen Straßen von Dublin äußerte sich die Theilnahme
des ganzen Volkes, des Pöbels (mob) wie der Gentry, ans die unzweideutigste
und drohendste Weise; um die Vollstreckung des Urtheilsspruches zu sichern, mußte
eine bedeutende Militärmasse aufgeboten werden. Für die Familie des "Opfers"
wurden im Nu sechshundert Pfund Sterling durch eine Subscription zusammen¬
gebracht. Die öffentliche Meinung Irlands behauptet, die Jury, welche Herrn
Mitchell schuldig fand, sei puclcoä (gefälscht, unehrlich zusammengesetzt) gewesen und
die öffentliche Meinung Englands weiß nichts schlagendes darauf zu antworten.
Unter den hundertundfunfzig durch das Loos gezogenen Jurors zur Bildung der
aus 12 Personen bestehenden Jury solle" nur 28 Katholiken gewesen sein, während
es nach den statistischen Verhältnissen Irlands höchstens so viel Protestanten hätten
sein müssen. Allerdings entgegnet man, der Angeklagte habe seinen ernsten Willen,
die Jusel von der Herrschaft Großbritanniens loszureißen und einen blutigen Krieg
gegen die Gutsbesitzer vor der nächsten Ernte anzufachen, vor Gericht selbst ein¬
gestanden, sich also selbst schuldig bekannt, nur daß er das englische Gesetz nicht
anerkannte und sich deshalb "moralisch" unschuldig erklärte; da die meisten Ka¬
tholiken eben so denken, oder von den Drohungen der Jungirländer sich ein-,
schüchtern lassen, so befänden sie sich in einer Art von moralischer Mitschuld und
seien unbefähigt (^isquillilikd), unparteiisch zu urtheilen; die meisten Katholiken
hätten sich vielleicht die Augen zugehalten und trotz des Mitchell'schen Bekennt¬
nisses, daß er rebellireu wolle, ihn dessen nicht schuldig gefunden; der Negierung
sei daher keine Wahl geblieben, als eine- protestantische Jury auszusuchen, weil
sonst die Rebellion factisch sanctionirt und am Ende das Institut des Geschwor¬
nengerichts selbst discreditirt worden wäre. Allein die Engländer sind zu gewissen¬
haft und legen das Gesetz mit zu buchstäblicher Treue aus, um nicht trotzdem
die Politik des Lordlieutenants mit Kopfschütteln zu betrachten und den Proceß
einen Staatsstreich zu nennen. Wie sehr man diese Bedenklichkeit des englischen
Gewissens fürchtet, geht schon daraus hervor, daß die Behörden Dublins eine
Vertheidigungsschrift veröffentlichen wollen, worin man nachweisen wird, daß die
Jury nicht gefälscht und daß, statt 28, gegen fünfzig Römischkatholische gezogen
worden seien.

Zweitens scheint die Strafe, welche den Verurtheilten getroffen, in keinem
Verhältniß zu dem Anklagegrunde zu stehen. Mitchell war bereits einmal freige¬
sprochen, weil die Geschwornen sich nicht zu einem Spruch (Verdict) einigen tour-


die Denkenden unter dem hiesigen Publikum nicht enthalten, to looK itttlior 8t>oe-
pisn, d. h. ein — langes Gesicht zu machen. Der triumphirende Leitartikel in
der Times erscheint allen Unbefangenen sehr formt. Erstens hat sich gezeigt,
daß die katholische' Majorität ans der Schwestcrinsel Herrn Mitchell wirklich als
ein Opfer der Tyrannei und Willkür betrachtet, in jeder Beziehung mit ihm sym-
pathisirt, seine Ansichten theilt, seine Sache für eine reine und gerechte hält. Im
Gerichtshofe selbst und ans allen Straßen von Dublin äußerte sich die Theilnahme
des ganzen Volkes, des Pöbels (mob) wie der Gentry, ans die unzweideutigste
und drohendste Weise; um die Vollstreckung des Urtheilsspruches zu sichern, mußte
eine bedeutende Militärmasse aufgeboten werden. Für die Familie des „Opfers"
wurden im Nu sechshundert Pfund Sterling durch eine Subscription zusammen¬
gebracht. Die öffentliche Meinung Irlands behauptet, die Jury, welche Herrn
Mitchell schuldig fand, sei puclcoä (gefälscht, unehrlich zusammengesetzt) gewesen und
die öffentliche Meinung Englands weiß nichts schlagendes darauf zu antworten.
Unter den hundertundfunfzig durch das Loos gezogenen Jurors zur Bildung der
aus 12 Personen bestehenden Jury solle» nur 28 Katholiken gewesen sein, während
es nach den statistischen Verhältnissen Irlands höchstens so viel Protestanten hätten
sein müssen. Allerdings entgegnet man, der Angeklagte habe seinen ernsten Willen,
die Jusel von der Herrschaft Großbritanniens loszureißen und einen blutigen Krieg
gegen die Gutsbesitzer vor der nächsten Ernte anzufachen, vor Gericht selbst ein¬
gestanden, sich also selbst schuldig bekannt, nur daß er das englische Gesetz nicht
anerkannte und sich deshalb „moralisch" unschuldig erklärte; da die meisten Ka¬
tholiken eben so denken, oder von den Drohungen der Jungirländer sich ein-,
schüchtern lassen, so befänden sie sich in einer Art von moralischer Mitschuld und
seien unbefähigt (^isquillilikd), unparteiisch zu urtheilen; die meisten Katholiken
hätten sich vielleicht die Augen zugehalten und trotz des Mitchell'schen Bekennt¬
nisses, daß er rebellireu wolle, ihn dessen nicht schuldig gefunden; der Negierung
sei daher keine Wahl geblieben, als eine- protestantische Jury auszusuchen, weil
sonst die Rebellion factisch sanctionirt und am Ende das Institut des Geschwor¬
nengerichts selbst discreditirt worden wäre. Allein die Engländer sind zu gewissen¬
haft und legen das Gesetz mit zu buchstäblicher Treue aus, um nicht trotzdem
die Politik des Lordlieutenants mit Kopfschütteln zu betrachten und den Proceß
einen Staatsstreich zu nennen. Wie sehr man diese Bedenklichkeit des englischen
Gewissens fürchtet, geht schon daraus hervor, daß die Behörden Dublins eine
Vertheidigungsschrift veröffentlichen wollen, worin man nachweisen wird, daß die
Jury nicht gefälscht und daß, statt 28, gegen fünfzig Römischkatholische gezogen
worden seien.

Zweitens scheint die Strafe, welche den Verurtheilten getroffen, in keinem
Verhältniß zu dem Anklagegrunde zu stehen. Mitchell war bereits einmal freige¬
sprochen, weil die Geschwornen sich nicht zu einem Spruch (Verdict) einigen tour-


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[0409] die Denkenden unter dem hiesigen Publikum nicht enthalten, to looK itttlior 8t>oe- pisn, d. h. ein — langes Gesicht zu machen. Der triumphirende Leitartikel in der Times erscheint allen Unbefangenen sehr formt. Erstens hat sich gezeigt, daß die katholische' Majorität ans der Schwestcrinsel Herrn Mitchell wirklich als ein Opfer der Tyrannei und Willkür betrachtet, in jeder Beziehung mit ihm sym- pathisirt, seine Ansichten theilt, seine Sache für eine reine und gerechte hält. Im Gerichtshofe selbst und ans allen Straßen von Dublin äußerte sich die Theilnahme des ganzen Volkes, des Pöbels (mob) wie der Gentry, ans die unzweideutigste und drohendste Weise; um die Vollstreckung des Urtheilsspruches zu sichern, mußte eine bedeutende Militärmasse aufgeboten werden. Für die Familie des „Opfers" wurden im Nu sechshundert Pfund Sterling durch eine Subscription zusammen¬ gebracht. Die öffentliche Meinung Irlands behauptet, die Jury, welche Herrn Mitchell schuldig fand, sei puclcoä (gefälscht, unehrlich zusammengesetzt) gewesen und die öffentliche Meinung Englands weiß nichts schlagendes darauf zu antworten. Unter den hundertundfunfzig durch das Loos gezogenen Jurors zur Bildung der aus 12 Personen bestehenden Jury solle» nur 28 Katholiken gewesen sein, während es nach den statistischen Verhältnissen Irlands höchstens so viel Protestanten hätten sein müssen. Allerdings entgegnet man, der Angeklagte habe seinen ernsten Willen, die Jusel von der Herrschaft Großbritanniens loszureißen und einen blutigen Krieg gegen die Gutsbesitzer vor der nächsten Ernte anzufachen, vor Gericht selbst ein¬ gestanden, sich also selbst schuldig bekannt, nur daß er das englische Gesetz nicht anerkannte und sich deshalb „moralisch" unschuldig erklärte; da die meisten Ka¬ tholiken eben so denken, oder von den Drohungen der Jungirländer sich ein-, schüchtern lassen, so befänden sie sich in einer Art von moralischer Mitschuld und seien unbefähigt (^isquillilikd), unparteiisch zu urtheilen; die meisten Katholiken hätten sich vielleicht die Augen zugehalten und trotz des Mitchell'schen Bekennt¬ nisses, daß er rebellireu wolle, ihn dessen nicht schuldig gefunden; der Negierung sei daher keine Wahl geblieben, als eine- protestantische Jury auszusuchen, weil sonst die Rebellion factisch sanctionirt und am Ende das Institut des Geschwor¬ nengerichts selbst discreditirt worden wäre. Allein die Engländer sind zu gewissen¬ haft und legen das Gesetz mit zu buchstäblicher Treue aus, um nicht trotzdem die Politik des Lordlieutenants mit Kopfschütteln zu betrachten und den Proceß einen Staatsstreich zu nennen. Wie sehr man diese Bedenklichkeit des englischen Gewissens fürchtet, geht schon daraus hervor, daß die Behörden Dublins eine Vertheidigungsschrift veröffentlichen wollen, worin man nachweisen wird, daß die Jury nicht gefälscht und daß, statt 28, gegen fünfzig Römischkatholische gezogen worden seien. Zweitens scheint die Strafe, welche den Verurtheilten getroffen, in keinem Verhältniß zu dem Anklagegrunde zu stehen. Mitchell war bereits einmal freige¬ sprochen, weil die Geschwornen sich nicht zu einem Spruch (Verdict) einigen tour-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/409>, abgerufen am 26.06.2024.