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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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neue (!!) an das Volk ultrarevolutionär, spöttelte über die Lichtensteinische und
Reußische Nation u. tgi., wie man im Vaterlands- und Redeübungsvereine spricht,
erzählte eine Schaudergeschichte von der fürchterlichen preußischen Verschwörung,
die Einheit Deutschlands durch Einberufung der Sonderstände zu Paralysiren,
und gab schließlich, als sich alle Haare sträubten, durch einen poetischen Impetus
der Sache den nöthigen Drücker. Selig die Völker, die durch Poesie regiert
werden! Nur einige 20 Mitglieder hatten den Muth, für Tagesordnung zu
stimmen, die ganze übrige Versammlung erließ unter dem endlosen Jubel der sou¬
veränen Tribunen ein energisches Decret gegen das Attentat der einzelnen Staaten,
sich allein zu constituiren. Um die Andeutung dieses Decrets gebührend zu wür¬
digen , müssen wir auf die verschiedenen Versionen desselben einen Blick werfen.

Die äußerste Linke, geführt von Schasfrath, schlug folgende Fassung vor.
"Die Beschlußnahme über die Verfassung Deutschlands ist einzig und allein
der deutscheu Nationalversammlung überlassen. Die Verfassungen und Gesetze
der einzelnen deutschen Staaten und die Verträge zwischen ihnen (Zollverein), so
wie die Beschlüsse gesetzgebender Volksvertretung in ihnen (Strafrecht, Civilrecht ze.),
sind nur in so weit gültig, als sie mit dieser Verfassung Deutschlands überein¬
stimmen."

Das rechte Centrum, geführt von Beckerath, schlug vor: "daß alle Be¬
stimmungen deutscher Verfassungen, welche nach Vollendung des allgemeinen Ver¬
fassungswerkes mit diesem nicht übereinstimmen, abzuändern sind."

Diese Version war zweideutig, den" es kommt darauf an, was man uuter
"Vollendung des allgemeinen Verfassungswerkes" versteht. Die rechte Seite ver¬
steht darunter die rechtliche Vollendung, d. h. die Einwilligung der verschiede¬
nen Staaten in den vom Parlament ausgehenden Entwurf. Nach einer solchen
Vollendung verstand sich freilich das Uebrige von selbst.

Das linke Centrum drückte seine Ansicht in dem Wernerschem Antrag aus:
"Die Nationalversammlung erklärt, daß alle Bestimmungen einzelner deutscher
Verfassungen, welche mit dem von ihr zu gründenden allgemeinen Verfassungswerke
nicht übereinstimmen, nur nach Maßgabe der letztern als gültig zu betrachten
sind, ihrer bis dahin bestandenen Wirksamkeit unbeschadet."

Wie höflich! Was mit der Verfassung nicht übereinstimmt, soll nur in so
fern gelten, als es mit ihr übereinstimmt!! Von dem letztern sinnlosen Zusatz
ja nicht zu reden! Aber es war ein Mittelweg, und so vereinigten sich, mit
Ausnahme der 20 Anhänger des Vincke'schen Antrags, unter denen sich Graf Ar-
nim auszeichnete, alle Parteien in demselben. Alles brach in Jubel aus, denn
man war müde.

Was ist nun eigentlich in diesem Beschluß enthalten? In wie weit sollen
die beiderseitigen Stände collidiren? In dem Entwurf der deutschen Verfassung
oder der preußischen? Meint man, daß die in Berlin versammelten Stände


neue (!!) an das Volk ultrarevolutionär, spöttelte über die Lichtensteinische und
Reußische Nation u. tgi., wie man im Vaterlands- und Redeübungsvereine spricht,
erzählte eine Schaudergeschichte von der fürchterlichen preußischen Verschwörung,
die Einheit Deutschlands durch Einberufung der Sonderstände zu Paralysiren,
und gab schließlich, als sich alle Haare sträubten, durch einen poetischen Impetus
der Sache den nöthigen Drücker. Selig die Völker, die durch Poesie regiert
werden! Nur einige 20 Mitglieder hatten den Muth, für Tagesordnung zu
stimmen, die ganze übrige Versammlung erließ unter dem endlosen Jubel der sou¬
veränen Tribunen ein energisches Decret gegen das Attentat der einzelnen Staaten,
sich allein zu constituiren. Um die Andeutung dieses Decrets gebührend zu wür¬
digen , müssen wir auf die verschiedenen Versionen desselben einen Blick werfen.

Die äußerste Linke, geführt von Schasfrath, schlug folgende Fassung vor.
„Die Beschlußnahme über die Verfassung Deutschlands ist einzig und allein
der deutscheu Nationalversammlung überlassen. Die Verfassungen und Gesetze
der einzelnen deutschen Staaten und die Verträge zwischen ihnen (Zollverein), so
wie die Beschlüsse gesetzgebender Volksvertretung in ihnen (Strafrecht, Civilrecht ze.),
sind nur in so weit gültig, als sie mit dieser Verfassung Deutschlands überein¬
stimmen."

Das rechte Centrum, geführt von Beckerath, schlug vor: „daß alle Be¬
stimmungen deutscher Verfassungen, welche nach Vollendung des allgemeinen Ver¬
fassungswerkes mit diesem nicht übereinstimmen, abzuändern sind."

Diese Version war zweideutig, den» es kommt darauf an, was man uuter
„Vollendung des allgemeinen Verfassungswerkes" versteht. Die rechte Seite ver¬
steht darunter die rechtliche Vollendung, d. h. die Einwilligung der verschiede¬
nen Staaten in den vom Parlament ausgehenden Entwurf. Nach einer solchen
Vollendung verstand sich freilich das Uebrige von selbst.

Das linke Centrum drückte seine Ansicht in dem Wernerschem Antrag aus:
„Die Nationalversammlung erklärt, daß alle Bestimmungen einzelner deutscher
Verfassungen, welche mit dem von ihr zu gründenden allgemeinen Verfassungswerke
nicht übereinstimmen, nur nach Maßgabe der letztern als gültig zu betrachten
sind, ihrer bis dahin bestandenen Wirksamkeit unbeschadet."

Wie höflich! Was mit der Verfassung nicht übereinstimmt, soll nur in so
fern gelten, als es mit ihr übereinstimmt!! Von dem letztern sinnlosen Zusatz
ja nicht zu reden! Aber es war ein Mittelweg, und so vereinigten sich, mit
Ausnahme der 20 Anhänger des Vincke'schen Antrags, unter denen sich Graf Ar-
nim auszeichnete, alle Parteien in demselben. Alles brach in Jubel aus, denn
man war müde.

Was ist nun eigentlich in diesem Beschluß enthalten? In wie weit sollen
die beiderseitigen Stände collidiren? In dem Entwurf der deutschen Verfassung
oder der preußischen? Meint man, daß die in Berlin versammelten Stände


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/404>, abgerufen am 26.06.2024.