Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine allgemeine deutsche Verfassung geben werden? oder will die Frankfurter
Versammlung die Kühnheit haben, auch nebenbei eine preußische Verfassung zu
entwerfen? Will sie z. B. die Civilliste des Königs von Preußen bestimmen?

Mit dieser rein politischen Frage will es nicht viel sagen. Gesetzt, die Ver-
sammlung beschließt eine allgemeine deutsche Republik, so wird Preußen sie desa-
vouiren. Gesetzt, sie beschließt einen Kaiserstuhl in Frankfurt zu errichten, so
wird dasselbe geschehn. Aber wenn sie einen vernünftigen Weg findet, durch
Beschränkung der einzelnen Souveränitäten die Einigung des Gesammtvaterlan-
des zu stärken, so wird Preußen eben so wenig dagegen etwas einzuwenden ha¬
ben, als andere Staaten.

Aber es handelt sich auch nicht blos um die politische Frage. Will etwa
das Parlament, in der löblichen Absicht, in commerzieller Hinsicht die totale Ein¬
heit Deutschlands herzustellen, vorläufig die bisherige theilweise Einheit -- den
Zollverein -- aufheben? Ihn aufheben, ehe es sich von Oestreich, von Hamburg,
von Hannover die Gewißheit verschafft hat, daß sie sich der Majorität in dieser
Hinsicht unterwerfen? Erst müßte es also doch die einzelnen Staaten fragen,
ehe es sich auch nur über die Form, über Handelsverhälrnisse ab¬
zustimmen, einigen könnte.

Ob jene Staaten einer Versammlung, aus der ^ Advokaten und Juristen,
Professoren sind, ihre commercielle Politik in die Hände geben werden, die
bisher dnrch Sachverständige ausgeübt worden, läßt sich wenigstens in Frage stellen.

Es ist also mit jenem Beschluß nicht erheblich viel gesagt. Faßt das Par¬
lament vernünftige Beschlüsse, so braucht es nicht erst durch ein Decrer ihnen
Gehorsam zu schaffen, dieser Gehorsam findet sich von selbst; gibt es unvernünf-
tige Gesetze, so werden sich die einzelnen Staaten nicht fügen, trotz aller Decrete.

Die ungeheure Majorität sür jenen Antrag ist nur ans einem plötzlichen,
fliegenden Enthusiasmus zu erklären. Ich denke, daß z. B. die östreichischen
Deputirten, die bei dieser Frage nur daran gedacht zu haben scheinen, daß sie
zunächst Preußen angeht, zeitig genug zur Besinnung kommen werden.

Daß übrigens die Mitglieder der Frankfurter Versammlung, so conservativ
sie ursprünglich gesinnt sein mochten, sich mehr und mehr der Ceutralisationsidee,
die Mitglieder des Berliner Reichstages trotz alles Radicalismus der föderalisti¬
schen zuneigen würden, stand zu erwarten. Die radicale Opposition, die in Ber¬
lin für Frankfurt schwärmt, ist eben so klein als die umgekehrte in Frankfurt.
DaS ist einerseits ein Uebel, aber es trägt zum Theil seine Heilung in sich selbst.
Wenn die Frankfurter zu sehr -l in Nationcilconveut centralisiren, so ist dort ein
bedeutendes Gegengewicht vorhanden und auf der andern Seite wird der Rückblick
auf Frankfurt das ganze exclusive Preußenthum in Berlin paralysiren.

Auf die Stellung der politischen Parteien in Berlin komme ich im nächsten
I. F. Heft zurück.




5! *

eine allgemeine deutsche Verfassung geben werden? oder will die Frankfurter
Versammlung die Kühnheit haben, auch nebenbei eine preußische Verfassung zu
entwerfen? Will sie z. B. die Civilliste des Königs von Preußen bestimmen?

Mit dieser rein politischen Frage will es nicht viel sagen. Gesetzt, die Ver-
sammlung beschließt eine allgemeine deutsche Republik, so wird Preußen sie desa-
vouiren. Gesetzt, sie beschließt einen Kaiserstuhl in Frankfurt zu errichten, so
wird dasselbe geschehn. Aber wenn sie einen vernünftigen Weg findet, durch
Beschränkung der einzelnen Souveränitäten die Einigung des Gesammtvaterlan-
des zu stärken, so wird Preußen eben so wenig dagegen etwas einzuwenden ha¬
ben, als andere Staaten.

Aber es handelt sich auch nicht blos um die politische Frage. Will etwa
das Parlament, in der löblichen Absicht, in commerzieller Hinsicht die totale Ein¬
heit Deutschlands herzustellen, vorläufig die bisherige theilweise Einheit — den
Zollverein — aufheben? Ihn aufheben, ehe es sich von Oestreich, von Hamburg,
von Hannover die Gewißheit verschafft hat, daß sie sich der Majorität in dieser
Hinsicht unterwerfen? Erst müßte es also doch die einzelnen Staaten fragen,
ehe es sich auch nur über die Form, über Handelsverhälrnisse ab¬
zustimmen, einigen könnte.

Ob jene Staaten einer Versammlung, aus der ^ Advokaten und Juristen,
Professoren sind, ihre commercielle Politik in die Hände geben werden, die
bisher dnrch Sachverständige ausgeübt worden, läßt sich wenigstens in Frage stellen.

Es ist also mit jenem Beschluß nicht erheblich viel gesagt. Faßt das Par¬
lament vernünftige Beschlüsse, so braucht es nicht erst durch ein Decrer ihnen
Gehorsam zu schaffen, dieser Gehorsam findet sich von selbst; gibt es unvernünf-
tige Gesetze, so werden sich die einzelnen Staaten nicht fügen, trotz aller Decrete.

Die ungeheure Majorität sür jenen Antrag ist nur ans einem plötzlichen,
fliegenden Enthusiasmus zu erklären. Ich denke, daß z. B. die östreichischen
Deputirten, die bei dieser Frage nur daran gedacht zu haben scheinen, daß sie
zunächst Preußen angeht, zeitig genug zur Besinnung kommen werden.

Daß übrigens die Mitglieder der Frankfurter Versammlung, so conservativ
sie ursprünglich gesinnt sein mochten, sich mehr und mehr der Ceutralisationsidee,
die Mitglieder des Berliner Reichstages trotz alles Radicalismus der föderalisti¬
schen zuneigen würden, stand zu erwarten. Die radicale Opposition, die in Ber¬
lin für Frankfurt schwärmt, ist eben so klein als die umgekehrte in Frankfurt.
DaS ist einerseits ein Uebel, aber es trägt zum Theil seine Heilung in sich selbst.
Wenn die Frankfurter zu sehr -l in Nationcilconveut centralisiren, so ist dort ein
bedeutendes Gegengewicht vorhanden und auf der andern Seite wird der Rückblick
auf Frankfurt das ganze exclusive Preußenthum in Berlin paralysiren.

Auf die Stellung der politischen Parteien in Berlin komme ich im nächsten
I. F. Heft zurück.




5! *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276611"/>
          <p xml:id="ID_1405" prev="#ID_1404"> eine allgemeine deutsche Verfassung geben werden? oder will die Frankfurter<lb/>
Versammlung die Kühnheit haben, auch nebenbei eine preußische Verfassung zu<lb/>
entwerfen? Will sie z. B. die Civilliste des Königs von Preußen bestimmen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1406"> Mit dieser rein politischen Frage will es nicht viel sagen. Gesetzt, die Ver-<lb/>
sammlung beschließt eine allgemeine deutsche Republik, so wird Preußen sie desa-<lb/>
vouiren. Gesetzt, sie beschließt einen Kaiserstuhl in Frankfurt zu errichten, so<lb/>
wird dasselbe geschehn. Aber wenn sie einen vernünftigen Weg findet, durch<lb/>
Beschränkung der einzelnen Souveränitäten die Einigung des Gesammtvaterlan-<lb/>
des zu stärken, so wird Preußen eben so wenig dagegen etwas einzuwenden ha¬<lb/>
ben, als andere Staaten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1407"> Aber es handelt sich auch nicht blos um die politische Frage. Will etwa<lb/>
das Parlament, in der löblichen Absicht, in commerzieller Hinsicht die totale Ein¬<lb/>
heit Deutschlands herzustellen, vorläufig die bisherige theilweise Einheit &#x2014; den<lb/>
Zollverein &#x2014; aufheben? Ihn aufheben, ehe es sich von Oestreich, von Hamburg,<lb/>
von Hannover die Gewißheit verschafft hat, daß sie sich der Majorität in dieser<lb/>
Hinsicht unterwerfen? Erst müßte es also doch die einzelnen Staaten fragen,<lb/>
ehe es sich auch nur über die Form, über Handelsverhälrnisse ab¬<lb/>
zustimmen, einigen könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1408"> Ob jene Staaten einer Versammlung, aus der ^ Advokaten und Juristen,<lb/>
Professoren sind, ihre commercielle Politik in die Hände geben werden, die<lb/>
bisher dnrch Sachverständige ausgeübt worden, läßt sich wenigstens in Frage stellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1409"> Es ist also mit jenem Beschluß nicht erheblich viel gesagt. Faßt das Par¬<lb/>
lament vernünftige Beschlüsse, so braucht es nicht erst durch ein Decrer ihnen<lb/>
Gehorsam zu schaffen, dieser Gehorsam findet sich von selbst; gibt es unvernünf-<lb/>
tige Gesetze, so werden sich die einzelnen Staaten nicht fügen, trotz aller Decrete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1410"> Die ungeheure Majorität sür jenen Antrag ist nur ans einem plötzlichen,<lb/>
fliegenden Enthusiasmus zu erklären. Ich denke, daß z. B. die östreichischen<lb/>
Deputirten, die bei dieser Frage nur daran gedacht zu haben scheinen, daß sie<lb/>
zunächst Preußen angeht, zeitig genug zur Besinnung kommen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1411"> Daß übrigens die Mitglieder der Frankfurter Versammlung, so conservativ<lb/>
sie ursprünglich gesinnt sein mochten, sich mehr und mehr der Ceutralisationsidee,<lb/>
die Mitglieder des Berliner Reichstages trotz alles Radicalismus der föderalisti¬<lb/>
schen zuneigen würden, stand zu erwarten. Die radicale Opposition, die in Ber¬<lb/>
lin für Frankfurt schwärmt, ist eben so klein als die umgekehrte in Frankfurt.<lb/>
DaS ist einerseits ein Uebel, aber es trägt zum Theil seine Heilung in sich selbst.<lb/>
Wenn die Frankfurter zu sehr -l in Nationcilconveut centralisiren, so ist dort ein<lb/>
bedeutendes Gegengewicht vorhanden und auf der andern Seite wird der Rückblick<lb/>
auf Frankfurt das ganze exclusive Preußenthum in Berlin paralysiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1412"> Auf die Stellung der politischen Parteien in Berlin komme ich im nächsten<lb/><note type="byline"> I. F.</note> Heft zurück. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 5! *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0405] eine allgemeine deutsche Verfassung geben werden? oder will die Frankfurter Versammlung die Kühnheit haben, auch nebenbei eine preußische Verfassung zu entwerfen? Will sie z. B. die Civilliste des Königs von Preußen bestimmen? Mit dieser rein politischen Frage will es nicht viel sagen. Gesetzt, die Ver- sammlung beschließt eine allgemeine deutsche Republik, so wird Preußen sie desa- vouiren. Gesetzt, sie beschließt einen Kaiserstuhl in Frankfurt zu errichten, so wird dasselbe geschehn. Aber wenn sie einen vernünftigen Weg findet, durch Beschränkung der einzelnen Souveränitäten die Einigung des Gesammtvaterlan- des zu stärken, so wird Preußen eben so wenig dagegen etwas einzuwenden ha¬ ben, als andere Staaten. Aber es handelt sich auch nicht blos um die politische Frage. Will etwa das Parlament, in der löblichen Absicht, in commerzieller Hinsicht die totale Ein¬ heit Deutschlands herzustellen, vorläufig die bisherige theilweise Einheit — den Zollverein — aufheben? Ihn aufheben, ehe es sich von Oestreich, von Hamburg, von Hannover die Gewißheit verschafft hat, daß sie sich der Majorität in dieser Hinsicht unterwerfen? Erst müßte es also doch die einzelnen Staaten fragen, ehe es sich auch nur über die Form, über Handelsverhälrnisse ab¬ zustimmen, einigen könnte. Ob jene Staaten einer Versammlung, aus der ^ Advokaten und Juristen, Professoren sind, ihre commercielle Politik in die Hände geben werden, die bisher dnrch Sachverständige ausgeübt worden, läßt sich wenigstens in Frage stellen. Es ist also mit jenem Beschluß nicht erheblich viel gesagt. Faßt das Par¬ lament vernünftige Beschlüsse, so braucht es nicht erst durch ein Decrer ihnen Gehorsam zu schaffen, dieser Gehorsam findet sich von selbst; gibt es unvernünf- tige Gesetze, so werden sich die einzelnen Staaten nicht fügen, trotz aller Decrete. Die ungeheure Majorität sür jenen Antrag ist nur ans einem plötzlichen, fliegenden Enthusiasmus zu erklären. Ich denke, daß z. B. die östreichischen Deputirten, die bei dieser Frage nur daran gedacht zu haben scheinen, daß sie zunächst Preußen angeht, zeitig genug zur Besinnung kommen werden. Daß übrigens die Mitglieder der Frankfurter Versammlung, so conservativ sie ursprünglich gesinnt sein mochten, sich mehr und mehr der Ceutralisationsidee, die Mitglieder des Berliner Reichstages trotz alles Radicalismus der föderalisti¬ schen zuneigen würden, stand zu erwarten. Die radicale Opposition, die in Ber¬ lin für Frankfurt schwärmt, ist eben so klein als die umgekehrte in Frankfurt. DaS ist einerseits ein Uebel, aber es trägt zum Theil seine Heilung in sich selbst. Wenn die Frankfurter zu sehr -l in Nationcilconveut centralisiren, so ist dort ein bedeutendes Gegengewicht vorhanden und auf der andern Seite wird der Rückblick auf Frankfurt das ganze exclusive Preußenthum in Berlin paralysiren. Auf die Stellung der politischen Parteien in Berlin komme ich im nächsten I. F. Heft zurück. 5! *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/405
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/405>, abgerufen am 26.06.2024.