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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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ständig constituiren und die durch eine Reihe von Revolutionen eingerissene Anar¬
chie durch eigene Kraft ausheben zu wollen, ein Zetergeschrei erhoben. Bekanntlich
ist die deutsche Polizei außer sich, wenn der Einzelne sich selber hilft, wo es geht,
ohne bei der allwissenden und allmächtigen Gensdarmerie um Hilfe zu flehen. Die¬
ser Polizeigeist erfüllte auch die vorläufigen Vertreter der deutschen Centralisation,
die es unerhört fanden, daß Preußen sich noch stark genug fühlte, sich selber zu
helfen, und sich nicht erst bei einer hochlöblichen Polizei in Frankfurt erkundigte,
ob es ihm auch erlaubt sei.

Diese prinzipielle Frage wurde bei dem Parlament durch Herrn Raveaux ---
einen Privatmann ans Köln -- in einer scheinbar unschuldigen Fassung wieder
angeregt. Er forderte nämlich die Versammlung auf, sie möge bestimmen, daß es
den Deutschen ans Preußen, welche zur Nationalversammlung nach Frankfurt und
zur Reichsversammlung nach Berlin zu Abgeordneten gewählt seien, freistehen solle,
beide Wahlen anzunehmen. Wenn es nun schon wunderlich klang, den preußischen
Staat zu zwingen, möglicher Weise der Hälfte seiner Repräsentanten Ferien in
i"ki"nun zu geben, so stellte sich der Antrag um so mehr als überflüssig heraus,
da die preußische Regierung ihn ans freien Stücken erfüllt hatte. Dennoch wurde
durch diese Frage die größere angeregt: wie verhalten sich die Rechte der einzelnen
Landesstände in der Bestimmung ihrer Verfassung zu den Rechten des deutschen
Nationalparlaments?

Hier sonderte sich nun die Rechte entschieden von der Linken.

Die Rechte -- an der Spitze der Freiherr v. Vincke, der berühmte Führer
der Opposition aus dem vorjährigen preußischen Centrallandtage -- forderte Ta¬
gesordnung -- dem Sinne nach, weil die Sache das Frankfurter Parlament nichts
angehe. Herr Eisenmann beantragte motivirte Tagesordnung, im Vertrauen, die
Regierungen so wie die Einzelstände würden so artig sein, nichts zu beschließen,
was in Frankfurt anders beschlossen werden könne; oder, im Fall es dennoch ge¬
schähe, etwaige Abweichungen sofort wieder aufzugeben -- ein Vertrauen, das
übrigens durch die preußische Thronrede im Wesentlichen gerechtfertigt wird.

Herr v. Vincke setzte auseinander, daß die Souveränität nicht im Parla¬
ment, sondern im Volk ruhe, daß demnach die Beschlüsse des Parlaments nur
so weit Geltung haben würden, als sie dem Willen des Volkes entsprächen; daß
aber der Wille eines Volkes sich nur in einer bestimmten Organisation, d. h.
in einem Staat, äußern könne, daß also vor Aufhebung der bisher bestehenden
deutscheu Staaten diese Staaten in ihren verfassungsmäßigen Organen es wären,
die sich mit der vermittelnden Reichsversammlung über das zunächst aufzu¬
richtende Staatswesen zu vereinbaren hätten.

Diese vollkommen klare Deduction, die Herr Welcker durch Appellation an
das Gefühl unterstützte, widerlegte der Führer der radicalen Partei, Herr Robert
Blum, durch Witze. Er nannte die Appellativ" vom allein souveränen Parla-


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ständig constituiren und die durch eine Reihe von Revolutionen eingerissene Anar¬
chie durch eigene Kraft ausheben zu wollen, ein Zetergeschrei erhoben. Bekanntlich
ist die deutsche Polizei außer sich, wenn der Einzelne sich selber hilft, wo es geht,
ohne bei der allwissenden und allmächtigen Gensdarmerie um Hilfe zu flehen. Die¬
ser Polizeigeist erfüllte auch die vorläufigen Vertreter der deutschen Centralisation,
die es unerhört fanden, daß Preußen sich noch stark genug fühlte, sich selber zu
helfen, und sich nicht erst bei einer hochlöblichen Polizei in Frankfurt erkundigte,
ob es ihm auch erlaubt sei.

Diese prinzipielle Frage wurde bei dem Parlament durch Herrn Raveaux —-
einen Privatmann ans Köln — in einer scheinbar unschuldigen Fassung wieder
angeregt. Er forderte nämlich die Versammlung auf, sie möge bestimmen, daß es
den Deutschen ans Preußen, welche zur Nationalversammlung nach Frankfurt und
zur Reichsversammlung nach Berlin zu Abgeordneten gewählt seien, freistehen solle,
beide Wahlen anzunehmen. Wenn es nun schon wunderlich klang, den preußischen
Staat zu zwingen, möglicher Weise der Hälfte seiner Repräsentanten Ferien in
i»ki»nun zu geben, so stellte sich der Antrag um so mehr als überflüssig heraus,
da die preußische Regierung ihn ans freien Stücken erfüllt hatte. Dennoch wurde
durch diese Frage die größere angeregt: wie verhalten sich die Rechte der einzelnen
Landesstände in der Bestimmung ihrer Verfassung zu den Rechten des deutschen
Nationalparlaments?

Hier sonderte sich nun die Rechte entschieden von der Linken.

Die Rechte — an der Spitze der Freiherr v. Vincke, der berühmte Führer
der Opposition aus dem vorjährigen preußischen Centrallandtage — forderte Ta¬
gesordnung — dem Sinne nach, weil die Sache das Frankfurter Parlament nichts
angehe. Herr Eisenmann beantragte motivirte Tagesordnung, im Vertrauen, die
Regierungen so wie die Einzelstände würden so artig sein, nichts zu beschließen,
was in Frankfurt anders beschlossen werden könne; oder, im Fall es dennoch ge¬
schähe, etwaige Abweichungen sofort wieder aufzugeben — ein Vertrauen, das
übrigens durch die preußische Thronrede im Wesentlichen gerechtfertigt wird.

Herr v. Vincke setzte auseinander, daß die Souveränität nicht im Parla¬
ment, sondern im Volk ruhe, daß demnach die Beschlüsse des Parlaments nur
so weit Geltung haben würden, als sie dem Willen des Volkes entsprächen; daß
aber der Wille eines Volkes sich nur in einer bestimmten Organisation, d. h.
in einem Staat, äußern könne, daß also vor Aufhebung der bisher bestehenden
deutscheu Staaten diese Staaten in ihren verfassungsmäßigen Organen es wären,
die sich mit der vermittelnden Reichsversammlung über das zunächst aufzu¬
richtende Staatswesen zu vereinbaren hätten.

Diese vollkommen klare Deduction, die Herr Welcker durch Appellation an
das Gefühl unterstützte, widerlegte der Führer der radicalen Partei, Herr Robert
Blum, durch Witze. Er nannte die Appellativ» vom allein souveränen Parla-


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[0403] ständig constituiren und die durch eine Reihe von Revolutionen eingerissene Anar¬ chie durch eigene Kraft ausheben zu wollen, ein Zetergeschrei erhoben. Bekanntlich ist die deutsche Polizei außer sich, wenn der Einzelne sich selber hilft, wo es geht, ohne bei der allwissenden und allmächtigen Gensdarmerie um Hilfe zu flehen. Die¬ ser Polizeigeist erfüllte auch die vorläufigen Vertreter der deutschen Centralisation, die es unerhört fanden, daß Preußen sich noch stark genug fühlte, sich selber zu helfen, und sich nicht erst bei einer hochlöblichen Polizei in Frankfurt erkundigte, ob es ihm auch erlaubt sei. Diese prinzipielle Frage wurde bei dem Parlament durch Herrn Raveaux —- einen Privatmann ans Köln — in einer scheinbar unschuldigen Fassung wieder angeregt. Er forderte nämlich die Versammlung auf, sie möge bestimmen, daß es den Deutschen ans Preußen, welche zur Nationalversammlung nach Frankfurt und zur Reichsversammlung nach Berlin zu Abgeordneten gewählt seien, freistehen solle, beide Wahlen anzunehmen. Wenn es nun schon wunderlich klang, den preußischen Staat zu zwingen, möglicher Weise der Hälfte seiner Repräsentanten Ferien in i»ki»nun zu geben, so stellte sich der Antrag um so mehr als überflüssig heraus, da die preußische Regierung ihn ans freien Stücken erfüllt hatte. Dennoch wurde durch diese Frage die größere angeregt: wie verhalten sich die Rechte der einzelnen Landesstände in der Bestimmung ihrer Verfassung zu den Rechten des deutschen Nationalparlaments? Hier sonderte sich nun die Rechte entschieden von der Linken. Die Rechte — an der Spitze der Freiherr v. Vincke, der berühmte Führer der Opposition aus dem vorjährigen preußischen Centrallandtage — forderte Ta¬ gesordnung — dem Sinne nach, weil die Sache das Frankfurter Parlament nichts angehe. Herr Eisenmann beantragte motivirte Tagesordnung, im Vertrauen, die Regierungen so wie die Einzelstände würden so artig sein, nichts zu beschließen, was in Frankfurt anders beschlossen werden könne; oder, im Fall es dennoch ge¬ schähe, etwaige Abweichungen sofort wieder aufzugeben — ein Vertrauen, das übrigens durch die preußische Thronrede im Wesentlichen gerechtfertigt wird. Herr v. Vincke setzte auseinander, daß die Souveränität nicht im Parla¬ ment, sondern im Volk ruhe, daß demnach die Beschlüsse des Parlaments nur so weit Geltung haben würden, als sie dem Willen des Volkes entsprächen; daß aber der Wille eines Volkes sich nur in einer bestimmten Organisation, d. h. in einem Staat, äußern könne, daß also vor Aufhebung der bisher bestehenden deutscheu Staaten diese Staaten in ihren verfassungsmäßigen Organen es wären, die sich mit der vermittelnden Reichsversammlung über das zunächst aufzu¬ richtende Staatswesen zu vereinbaren hätten. Diese vollkommen klare Deduction, die Herr Welcker durch Appellation an das Gefühl unterstützte, widerlegte der Führer der radicalen Partei, Herr Robert Blum, durch Witze. Er nannte die Appellativ» vom allein souveränen Parla- Grcnzl'oder. >l. I»i8. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/403>, abgerufen am 26.06.2024.