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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Der erste Vizepräsident, v. Soiron, Advokat aus Baden, gab dem soge¬
nannten Vorparlament durch seinen Antrag: "es möge der constituirenden Ver¬
sammlung anheimgestellt bleiben, sich mit den deutschen Fürsten über die neue
Verfassung Deutschlands zu vereinbaren, sie solle aber, falls eine solche Verein¬
barung nicht zu Stande käme, aus eigener Machtvollkommenheit das Verfassungswerk
vollenden," einen bestimmten Abschluß. Als Präsident des Fünfziger-Ausschusses
wirkte er entschieden in conservativen Sinne; er veranlaßte jene leidenschaftlichen
Erklärungen gegen die Republikaner in Baden, er wirkte im Einverständnis mit
dem Bundestag für die Errichtung einer provisorischen Bundes-Centralgewalt --
ein Project, das von der "Linken" geradezu als Reaction angesehen wurde, er
suchte überhaupt, so oft und so lange es ging, das Einvernehmen der Fünfziger
mit den Bundestagsgesandter zu erhalten. Im Allgemeinen kann man seine po¬
litische Ansicht mit der des ersten Präsidenten ziemlich identificiren, nur daß die
Anerkennung der preußischen Hegemonie seinerseits wohl mehr als zweifelhaft ist.

Was den Freiherrn v. Andrian betrifft, so scheint seine Wahl mehr aus
der Rücksicht auf die Eifersucht der zahlreich versammelten Oestreicher, als ans irgend
einer persönlichen Bedeutung hergenommen zu sein. Die einzige politische That,
durch welche sich der Freiherr dem übrigen Deutschland bekannt gemacht hat, ist
seine Schrift über "Oestreich und dessen Zukunft," ein Werk, welches das große
Verdienst hatte, zuerst eine selbstständige Ansicht über das, was ans Oestreich
werden sollte, gleichsam ein Parteiprogramm aufgestellt zu haben, dessen Inhalt
aber dem jetzigen Standpunkte des Liberalismus keineswegs entsprechen dürfte.
Er sah nämlich Oestreichs Heil in der consequenten Entwickelung seines aristokra¬
tischen Ständewesens. Wenn man sonst Oestreich für einen rein aristokratischen
Staat ausgegeben hatte, so sah Andrian vielmehr in der Unterdrückung der Ari¬
stokratie den Grund von Oestreichs Verderben. Nun heißt es zwar, daß der
Freiherr mehr auf die Entwickelung geistreicher Ansichten in der höhern Politik,
als auf die feste, consequente Durchführung eines politischen Grundsatzes ausgehe,
allein "alte Liebe rostet nicht," und welche neue Wendung auch das Raisonnement
nehmen mag, die Sympathien werden sich kaum verleugnen.

Wenn wir nach dem Ergebniß der Präsidentenwahl fragen, so ist wohl das
einzige Resultat die Abneigung gegen die beiden extremen Parteien. Die östreichi¬
schen und preußischen Deputirten von den äußersten Rechten sind klug genug ge¬
wesen, bei dieser Wahl gar nicht hervorzutreten; die Radicalen haben selbst bei der
letzten Wahl eine verhältnißmäßig sehr geringe Zahl von Stimmen zu gewinnen
gewußt. Die Wahlen gehören entschieden dem Centrum an. Was läßt sich dar¬
aus auf die künftige Thätigkeit der Versammlung schließen?

Die Bedeutung der Centren kann nur bestimmt werden, wenn man sich über
die Extreme, d. h. die Consequenzen der Prinzipien, klar wird. Was die Form
betrifft, können wir die alten Parteinamen der Konservativen und Radicalen bei-


Der erste Vizepräsident, v. Soiron, Advokat aus Baden, gab dem soge¬
nannten Vorparlament durch seinen Antrag: „es möge der constituirenden Ver¬
sammlung anheimgestellt bleiben, sich mit den deutschen Fürsten über die neue
Verfassung Deutschlands zu vereinbaren, sie solle aber, falls eine solche Verein¬
barung nicht zu Stande käme, aus eigener Machtvollkommenheit das Verfassungswerk
vollenden," einen bestimmten Abschluß. Als Präsident des Fünfziger-Ausschusses
wirkte er entschieden in conservativen Sinne; er veranlaßte jene leidenschaftlichen
Erklärungen gegen die Republikaner in Baden, er wirkte im Einverständnis mit
dem Bundestag für die Errichtung einer provisorischen Bundes-Centralgewalt —
ein Project, das von der „Linken" geradezu als Reaction angesehen wurde, er
suchte überhaupt, so oft und so lange es ging, das Einvernehmen der Fünfziger
mit den Bundestagsgesandter zu erhalten. Im Allgemeinen kann man seine po¬
litische Ansicht mit der des ersten Präsidenten ziemlich identificiren, nur daß die
Anerkennung der preußischen Hegemonie seinerseits wohl mehr als zweifelhaft ist.

Was den Freiherrn v. Andrian betrifft, so scheint seine Wahl mehr aus
der Rücksicht auf die Eifersucht der zahlreich versammelten Oestreicher, als ans irgend
einer persönlichen Bedeutung hergenommen zu sein. Die einzige politische That,
durch welche sich der Freiherr dem übrigen Deutschland bekannt gemacht hat, ist
seine Schrift über „Oestreich und dessen Zukunft," ein Werk, welches das große
Verdienst hatte, zuerst eine selbstständige Ansicht über das, was ans Oestreich
werden sollte, gleichsam ein Parteiprogramm aufgestellt zu haben, dessen Inhalt
aber dem jetzigen Standpunkte des Liberalismus keineswegs entsprechen dürfte.
Er sah nämlich Oestreichs Heil in der consequenten Entwickelung seines aristokra¬
tischen Ständewesens. Wenn man sonst Oestreich für einen rein aristokratischen
Staat ausgegeben hatte, so sah Andrian vielmehr in der Unterdrückung der Ari¬
stokratie den Grund von Oestreichs Verderben. Nun heißt es zwar, daß der
Freiherr mehr auf die Entwickelung geistreicher Ansichten in der höhern Politik,
als auf die feste, consequente Durchführung eines politischen Grundsatzes ausgehe,
allein „alte Liebe rostet nicht," und welche neue Wendung auch das Raisonnement
nehmen mag, die Sympathien werden sich kaum verleugnen.

Wenn wir nach dem Ergebniß der Präsidentenwahl fragen, so ist wohl das
einzige Resultat die Abneigung gegen die beiden extremen Parteien. Die östreichi¬
schen und preußischen Deputirten von den äußersten Rechten sind klug genug ge¬
wesen, bei dieser Wahl gar nicht hervorzutreten; die Radicalen haben selbst bei der
letzten Wahl eine verhältnißmäßig sehr geringe Zahl von Stimmen zu gewinnen
gewußt. Die Wahlen gehören entschieden dem Centrum an. Was läßt sich dar¬
aus auf die künftige Thätigkeit der Versammlung schließen?

Die Bedeutung der Centren kann nur bestimmt werden, wenn man sich über
die Extreme, d. h. die Consequenzen der Prinzipien, klar wird. Was die Form
betrifft, können wir die alten Parteinamen der Konservativen und Radicalen bei-


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[0401] Der erste Vizepräsident, v. Soiron, Advokat aus Baden, gab dem soge¬ nannten Vorparlament durch seinen Antrag: „es möge der constituirenden Ver¬ sammlung anheimgestellt bleiben, sich mit den deutschen Fürsten über die neue Verfassung Deutschlands zu vereinbaren, sie solle aber, falls eine solche Verein¬ barung nicht zu Stande käme, aus eigener Machtvollkommenheit das Verfassungswerk vollenden," einen bestimmten Abschluß. Als Präsident des Fünfziger-Ausschusses wirkte er entschieden in conservativen Sinne; er veranlaßte jene leidenschaftlichen Erklärungen gegen die Republikaner in Baden, er wirkte im Einverständnis mit dem Bundestag für die Errichtung einer provisorischen Bundes-Centralgewalt — ein Project, das von der „Linken" geradezu als Reaction angesehen wurde, er suchte überhaupt, so oft und so lange es ging, das Einvernehmen der Fünfziger mit den Bundestagsgesandter zu erhalten. Im Allgemeinen kann man seine po¬ litische Ansicht mit der des ersten Präsidenten ziemlich identificiren, nur daß die Anerkennung der preußischen Hegemonie seinerseits wohl mehr als zweifelhaft ist. Was den Freiherrn v. Andrian betrifft, so scheint seine Wahl mehr aus der Rücksicht auf die Eifersucht der zahlreich versammelten Oestreicher, als ans irgend einer persönlichen Bedeutung hergenommen zu sein. Die einzige politische That, durch welche sich der Freiherr dem übrigen Deutschland bekannt gemacht hat, ist seine Schrift über „Oestreich und dessen Zukunft," ein Werk, welches das große Verdienst hatte, zuerst eine selbstständige Ansicht über das, was ans Oestreich werden sollte, gleichsam ein Parteiprogramm aufgestellt zu haben, dessen Inhalt aber dem jetzigen Standpunkte des Liberalismus keineswegs entsprechen dürfte. Er sah nämlich Oestreichs Heil in der consequenten Entwickelung seines aristokra¬ tischen Ständewesens. Wenn man sonst Oestreich für einen rein aristokratischen Staat ausgegeben hatte, so sah Andrian vielmehr in der Unterdrückung der Ari¬ stokratie den Grund von Oestreichs Verderben. Nun heißt es zwar, daß der Freiherr mehr auf die Entwickelung geistreicher Ansichten in der höhern Politik, als auf die feste, consequente Durchführung eines politischen Grundsatzes ausgehe, allein „alte Liebe rostet nicht," und welche neue Wendung auch das Raisonnement nehmen mag, die Sympathien werden sich kaum verleugnen. Wenn wir nach dem Ergebniß der Präsidentenwahl fragen, so ist wohl das einzige Resultat die Abneigung gegen die beiden extremen Parteien. Die östreichi¬ schen und preußischen Deputirten von den äußersten Rechten sind klug genug ge¬ wesen, bei dieser Wahl gar nicht hervorzutreten; die Radicalen haben selbst bei der letzten Wahl eine verhältnißmäßig sehr geringe Zahl von Stimmen zu gewinnen gewußt. Die Wahlen gehören entschieden dem Centrum an. Was läßt sich dar¬ aus auf die künftige Thätigkeit der Versammlung schließen? Die Bedeutung der Centren kann nur bestimmt werden, wenn man sich über die Extreme, d. h. die Consequenzen der Prinzipien, klar wird. Was die Form betrifft, können wir die alten Parteinamen der Konservativen und Radicalen bei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/401>, abgerufen am 26.06.2024.