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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Regierungen der kleinern deutschen Staaten zu einem energischen Zusammenwirken
in diesem Sinne und übte auch in Berlin durch seiue Persönlichkeit einen Einfluß
aus, der hier allerdings schwieriger durchzusetzen war, als in Cassel, München,
Carlsruhe oder Stuttgart. Die Reorganisation des deutschen Bundestages, die
Einberufung der Vertrauensmänner und das Einverständniß, in welches sich der
erste wohl oder übel mit den "Notabeln" setzte, waren die segensreichen Folgen
dieser Bemühungen. Seine Ansicht sprach darauf der Minister in jener berühmten
Sitzung der großherzoglich hessischen Stände aus, in welcher er erklärte, man
dürfe bei der politischen Regeneration Deutschlands auf Oestreich nicht warten,
das zwar von den besten Absichten beseelt, aber durch die innern Verwickelungen
von jeder thätigen Theilnahme an dem neuen Verfassungswcrk wenigstens für den
Augenblick abgeschnitten sei. Man müsse sich daher entschieden an Preußen an¬
schließen, den mächtigsten unter den deutschen Staaten, der zwar nicht immer den
besten Willen für das Gemeinwohl gezeigt habe, stets aber in sich die Kraft hege,
dem einmal gefaßten Entschluß anch alle Realität zu geben. Es waren dies die¬
selben Ansichten, die Gervinus in seiner Zeitung mit eben so viel Ausdauer als
Geschicklichkeit vertrat; es waren im Wesentlichen die Ideen, die alle deutschen
Patrioten schon lange gehegt hatten, aber es gehörte einiger Muth dazu, sie
öffentlich auszusprechen in einer Zeit, wo man von allen Seiten entschlossen schien,
Preußen zum Sündenbock aller deutschen "Niederträchtigkeit" zu machen.

In wie fern Herr v. Gagern bei dem von den l7 Vertrauensmännern vor¬
gelegten Verfassungsproject betheiligt ist, kann man nicht wissen. Es wäre wohl
möglich, daß anch ihm -- denn wir Deutschen siud alle etwas Professoren --
die Idee der Wiedergeburt Deutschlands sich nur unter der legitim historischen
Form des LehnSkaiserthums dargestellt hätte. Doch ist zu hoffen, daß von diesem
Project so wenig die Rede sein wird, daß die Theilnahme oder Nichttheilnahme
an demselben von Seiten eines Staatsmannes uns ziemlich gleichgültig sein kann.

Als Gagern zum provisorischen Präsidenten der Nationalversammlung gewählt
wurde, erklärte er, diese Würde nur auf einige Tage annehmen zu können, weil
er sonst seine Stellung als Minister niederlegen müßte. Außerdem sprach er sich
für das Prinzip der Volkssouveränität aus, eiuen um so unklaren Begriff, da
in Deutschland das souveräne Volk noch gar nicht constituirt ist. Aber es ist eine
Phrase für die radicale Partei, der es überhaupt mehr auf Erklärungen ankommt,
als ans Thaten. Durch beide Erklärungen gewann er denn anch die ultraliberale
Minorität der Versammlung bis zu dem Grade, daß er von einer an Einstimmig¬
keit grenzenden Majorität zum definitiven Präsidenten gewählt wurde und daß
auf den Kandidaten der äußersten Linken, Herrn Robert Blum, nnr wenige
Stimmen fielen. Er hat daraus in Uebereinstimmung mit seiner frühern Erklärung
seine Ministerstelle niedergelegt und seine Thätigkeit ausschließlich der constituiren-
den Versammlung gewidmet.


Regierungen der kleinern deutschen Staaten zu einem energischen Zusammenwirken
in diesem Sinne und übte auch in Berlin durch seiue Persönlichkeit einen Einfluß
aus, der hier allerdings schwieriger durchzusetzen war, als in Cassel, München,
Carlsruhe oder Stuttgart. Die Reorganisation des deutschen Bundestages, die
Einberufung der Vertrauensmänner und das Einverständniß, in welches sich der
erste wohl oder übel mit den „Notabeln" setzte, waren die segensreichen Folgen
dieser Bemühungen. Seine Ansicht sprach darauf der Minister in jener berühmten
Sitzung der großherzoglich hessischen Stände aus, in welcher er erklärte, man
dürfe bei der politischen Regeneration Deutschlands auf Oestreich nicht warten,
das zwar von den besten Absichten beseelt, aber durch die innern Verwickelungen
von jeder thätigen Theilnahme an dem neuen Verfassungswcrk wenigstens für den
Augenblick abgeschnitten sei. Man müsse sich daher entschieden an Preußen an¬
schließen, den mächtigsten unter den deutschen Staaten, der zwar nicht immer den
besten Willen für das Gemeinwohl gezeigt habe, stets aber in sich die Kraft hege,
dem einmal gefaßten Entschluß anch alle Realität zu geben. Es waren dies die¬
selben Ansichten, die Gervinus in seiner Zeitung mit eben so viel Ausdauer als
Geschicklichkeit vertrat; es waren im Wesentlichen die Ideen, die alle deutschen
Patrioten schon lange gehegt hatten, aber es gehörte einiger Muth dazu, sie
öffentlich auszusprechen in einer Zeit, wo man von allen Seiten entschlossen schien,
Preußen zum Sündenbock aller deutschen „Niederträchtigkeit" zu machen.

In wie fern Herr v. Gagern bei dem von den l7 Vertrauensmännern vor¬
gelegten Verfassungsproject betheiligt ist, kann man nicht wissen. Es wäre wohl
möglich, daß anch ihm — denn wir Deutschen siud alle etwas Professoren —
die Idee der Wiedergeburt Deutschlands sich nur unter der legitim historischen
Form des LehnSkaiserthums dargestellt hätte. Doch ist zu hoffen, daß von diesem
Project so wenig die Rede sein wird, daß die Theilnahme oder Nichttheilnahme
an demselben von Seiten eines Staatsmannes uns ziemlich gleichgültig sein kann.

Als Gagern zum provisorischen Präsidenten der Nationalversammlung gewählt
wurde, erklärte er, diese Würde nur auf einige Tage annehmen zu können, weil
er sonst seine Stellung als Minister niederlegen müßte. Außerdem sprach er sich
für das Prinzip der Volkssouveränität aus, eiuen um so unklaren Begriff, da
in Deutschland das souveräne Volk noch gar nicht constituirt ist. Aber es ist eine
Phrase für die radicale Partei, der es überhaupt mehr auf Erklärungen ankommt,
als ans Thaten. Durch beide Erklärungen gewann er denn anch die ultraliberale
Minorität der Versammlung bis zu dem Grade, daß er von einer an Einstimmig¬
keit grenzenden Majorität zum definitiven Präsidenten gewählt wurde und daß
auf den Kandidaten der äußersten Linken, Herrn Robert Blum, nnr wenige
Stimmen fielen. Er hat daraus in Uebereinstimmung mit seiner frühern Erklärung
seine Ministerstelle niedergelegt und seine Thätigkeit ausschließlich der constituiren-
den Versammlung gewidmet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/400>, abgerufen am 26.06.2024.