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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Föderalismus und Centralisation.



Wenn man von den beiden Versammlungen in Frankfurt und Berlin nach
der Art ihrer Wahl, nach der herrschenden Stimmung, unter welcher dieselbe vor
sich gegangen war, die revolutionärsten Beschlusse befürchten mußte, so scheint es
jetzt, wenn man sich in der Verwirrung, die ans dem Mangel an parlamentarischer
Uebung und einer festen Leitung, wie ans der wunderbaren Verwickelung der In¬
teressen leicht zu erklären ist, einigermaßen orientirt, beinahe so, als müsse man
dem conservativen Jnstinct, der in der großen Majorität beider Versammlungen
vorherrscht, eher einen Stachel einsetzen, als ihm den Hemmschuh vorlegen. Die
Sitzungen waren in beiden Kammern bisher ziemlich anarchisch, aber nur, weil
man sich noch in die Formen nicht zu finden wußte, und weil sich große, starke
Parteien, die der Diskussion eine bestimmte Richtung gegeben hätten, noch nicht
gebildet hatten. Diese Bildung kann aber nicht ausbleiben und es kommt nur
darauf an, daß sich die Nichtigen zusammenfinden. Ein Blick auf die in beiden
Versammlungen bis jetzt verhandelten Fragen wird uus in diesem Felde orientiren.

In dem Frankfurter Neichsparlament sind bisher drei Fragen vorgekommen,
bei denen etwas Prinzipielles durchklang und die daher einiges Licht ans die Stel¬
lung der Parteien zu werfen geeignet sind. Es waren die Präsidentenwahl, der
Mainzer Crawall und der Antrag von Raveaux über das Verhältniß der beiden
constituirenden Versammlungen zu einander.

Der neuerwählte Präsident, Heinrich v. Gagern, so wie die beiden
Viceprästdenten v. Soiron und v. Audrian haben eine entschieden antirevo-
lutionäre Färbung, aber sie gehören auch - wenigstens von den beiden ersten
kann man es mit Bestimmtheit behaupten -- eben so entschieden der nationalen,
d. h. Frankfurter Centralisationspartei a".

Herr v. Gagern, Chef der liberalen Opposition in der hcssendarmstädtcr
Kammer, war einer der ersten, die nach der Februarrevolution zur Bildung eines
liberalen Ministeriums berufen wurden. In dieser Zeit gab er dem schon seit län¬
gerer Zeit von den Oppositionsmännern aller deutschen Stände aufgestellten Ver^
langen, die Fürstcnvertretung beim deutschen Bunde durch eine Volksvertretung
zu ergänzen, zuerst eine praktische Wendung. Er veranlaßte die neuen liberalen


Föderalismus und Centralisation.



Wenn man von den beiden Versammlungen in Frankfurt und Berlin nach
der Art ihrer Wahl, nach der herrschenden Stimmung, unter welcher dieselbe vor
sich gegangen war, die revolutionärsten Beschlusse befürchten mußte, so scheint es
jetzt, wenn man sich in der Verwirrung, die ans dem Mangel an parlamentarischer
Uebung und einer festen Leitung, wie ans der wunderbaren Verwickelung der In¬
teressen leicht zu erklären ist, einigermaßen orientirt, beinahe so, als müsse man
dem conservativen Jnstinct, der in der großen Majorität beider Versammlungen
vorherrscht, eher einen Stachel einsetzen, als ihm den Hemmschuh vorlegen. Die
Sitzungen waren in beiden Kammern bisher ziemlich anarchisch, aber nur, weil
man sich noch in die Formen nicht zu finden wußte, und weil sich große, starke
Parteien, die der Diskussion eine bestimmte Richtung gegeben hätten, noch nicht
gebildet hatten. Diese Bildung kann aber nicht ausbleiben und es kommt nur
darauf an, daß sich die Nichtigen zusammenfinden. Ein Blick auf die in beiden
Versammlungen bis jetzt verhandelten Fragen wird uus in diesem Felde orientiren.

In dem Frankfurter Neichsparlament sind bisher drei Fragen vorgekommen,
bei denen etwas Prinzipielles durchklang und die daher einiges Licht ans die Stel¬
lung der Parteien zu werfen geeignet sind. Es waren die Präsidentenwahl, der
Mainzer Crawall und der Antrag von Raveaux über das Verhältniß der beiden
constituirenden Versammlungen zu einander.

Der neuerwählte Präsident, Heinrich v. Gagern, so wie die beiden
Viceprästdenten v. Soiron und v. Audrian haben eine entschieden antirevo-
lutionäre Färbung, aber sie gehören auch - wenigstens von den beiden ersten
kann man es mit Bestimmtheit behaupten — eben so entschieden der nationalen,
d. h. Frankfurter Centralisationspartei a».

Herr v. Gagern, Chef der liberalen Opposition in der hcssendarmstädtcr
Kammer, war einer der ersten, die nach der Februarrevolution zur Bildung eines
liberalen Ministeriums berufen wurden. In dieser Zeit gab er dem schon seit län¬
gerer Zeit von den Oppositionsmännern aller deutschen Stände aufgestellten Ver^
langen, die Fürstcnvertretung beim deutschen Bunde durch eine Volksvertretung
zu ergänzen, zuerst eine praktische Wendung. Er veranlaßte die neuen liberalen


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[0399] Föderalismus und Centralisation. Wenn man von den beiden Versammlungen in Frankfurt und Berlin nach der Art ihrer Wahl, nach der herrschenden Stimmung, unter welcher dieselbe vor sich gegangen war, die revolutionärsten Beschlusse befürchten mußte, so scheint es jetzt, wenn man sich in der Verwirrung, die ans dem Mangel an parlamentarischer Uebung und einer festen Leitung, wie ans der wunderbaren Verwickelung der In¬ teressen leicht zu erklären ist, einigermaßen orientirt, beinahe so, als müsse man dem conservativen Jnstinct, der in der großen Majorität beider Versammlungen vorherrscht, eher einen Stachel einsetzen, als ihm den Hemmschuh vorlegen. Die Sitzungen waren in beiden Kammern bisher ziemlich anarchisch, aber nur, weil man sich noch in die Formen nicht zu finden wußte, und weil sich große, starke Parteien, die der Diskussion eine bestimmte Richtung gegeben hätten, noch nicht gebildet hatten. Diese Bildung kann aber nicht ausbleiben und es kommt nur darauf an, daß sich die Nichtigen zusammenfinden. Ein Blick auf die in beiden Versammlungen bis jetzt verhandelten Fragen wird uus in diesem Felde orientiren. In dem Frankfurter Neichsparlament sind bisher drei Fragen vorgekommen, bei denen etwas Prinzipielles durchklang und die daher einiges Licht ans die Stel¬ lung der Parteien zu werfen geeignet sind. Es waren die Präsidentenwahl, der Mainzer Crawall und der Antrag von Raveaux über das Verhältniß der beiden constituirenden Versammlungen zu einander. Der neuerwählte Präsident, Heinrich v. Gagern, so wie die beiden Viceprästdenten v. Soiron und v. Audrian haben eine entschieden antirevo- lutionäre Färbung, aber sie gehören auch - wenigstens von den beiden ersten kann man es mit Bestimmtheit behaupten — eben so entschieden der nationalen, d. h. Frankfurter Centralisationspartei a». Herr v. Gagern, Chef der liberalen Opposition in der hcssendarmstädtcr Kammer, war einer der ersten, die nach der Februarrevolution zur Bildung eines liberalen Ministeriums berufen wurden. In dieser Zeit gab er dem schon seit län¬ gerer Zeit von den Oppositionsmännern aller deutschen Stände aufgestellten Ver^ langen, die Fürstcnvertretung beim deutschen Bunde durch eine Volksvertretung zu ergänzen, zuerst eine praktische Wendung. Er veranlaßte die neuen liberalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/399>, abgerufen am 26.06.2024.