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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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um so verwerflicher ist ein System, welches unter einer neuen Kategorie die alten
Verhältnisse einzuschmuggeln sucht.

D i e se Art des Zweikammersystems wird wahrscheinlich, wenn nicht etwa die
Conservativen !,, Wut prix die Sache halten, die ganze Idee discreditiren. Sonst
hätte sich wohl ein Wahlmodus gefunden, der für die erste Kammer wenigstens
eine größere politische Routine als Resultat gegeben hätte. Die bisher dem stän¬
dischen Wesen entgegenstehende Bureaukratie hätte als ein ständisches Institut be¬
nutzt werden müssen. Die erste Kammer müßte aus der Wahl der Obergerichte,
der Regierungen, der landschaftlichen Institute, der Magistrate der größern Städte,
der Universitäten u. s. w. hervorgehen. Eine so zusammengesetzte Kammer hätte
nicht blos die übereilten Schritte der zweiten verhindern, sie hätte in vielen Fällen
eben ihrer größern Bildung wegen die Initiative ergreifen können; sie hätte nicht
nur durch ihr Veto, sondern auch vorzugsweise durch ihre Discussion, die doch
aller Wahrscheinlichkeit nach vernünftiger ausgefallen wäre, als die der Volks-
männer, auf die Gesetzgebung und auf die Verbreitung politischer Bildung im
Volke den heilsamsten Einfluß ausüben können. Mit der Zeit hätte man dann
beide Kammern in Eins verschmelzen können.

Einzelne Verkehrtheiten in den Bestimmungen der beiden Kammern, z. B.
das Recht des Königs, beliebig die eine oder die andere der Kammern oder beide,
zugleich aufzulösen, hätte viel leichter corrigirt werden können.

Wenn nun dieser wesentliche Punkt der Verfassung geeignet war, das Volk
und seine Vertreter über die Ansichten des Ministeriums bedenklich zu machen, so
mußte die unsichere Stellung, die nach der Thronrede der ganzen Wirksamkeit des
constituirendeii Landtags gegeben war, die Deputirten noch mehr verwirren. Wenn
nun die neue preußische Verfassung von der gegenwärtigen Constituante berathen
und angenommen sein wird, so sollen dann erst die Beschlüsse des Frankfurter
Parlaments mit derselben verglichen und durch die Regierung möglichst vereinbart
werden. Dieser neue Verfassungsentwurf soll dann von einer neuen Constituante
berathen werden.

Ein ebeu so unklares als bedenkliches Verfahren. Möglicherweise entspricht
der "Vereiubarungsentwurf" den Ansichten des Frankfurter Reichstags ebeu so
wenig, als der ursprüngliche. Um beiden Parteien gerecht zu werden, über¬
wirft man sich mit beiden. In solche Jrrgänge wird die Regierung verwickelt,
weil sie nicht von vornherein den Muth hatte, offen zu sein.

Nach den Beschlüsse!! des Vorparlaments standen der Negierung zwei Wege
offen. Entweder mußte sie sich füge", die Wahlen nach dem vorgeschriebenen
Modus eintreten lassen und mit der Constituirung des eigenen Staates warten,
bis die allgemeine deutsche Verfassung festgestellt war. Sie setzte sich allerdings
dabei der Gefahr aus, daß mittlerweile der preußische Staat zu Grunde ging
und daß aus der deutschen Verfassung doch nichts wurde.


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um so verwerflicher ist ein System, welches unter einer neuen Kategorie die alten
Verhältnisse einzuschmuggeln sucht.

D i e se Art des Zweikammersystems wird wahrscheinlich, wenn nicht etwa die
Conservativen !,, Wut prix die Sache halten, die ganze Idee discreditiren. Sonst
hätte sich wohl ein Wahlmodus gefunden, der für die erste Kammer wenigstens
eine größere politische Routine als Resultat gegeben hätte. Die bisher dem stän¬
dischen Wesen entgegenstehende Bureaukratie hätte als ein ständisches Institut be¬
nutzt werden müssen. Die erste Kammer müßte aus der Wahl der Obergerichte,
der Regierungen, der landschaftlichen Institute, der Magistrate der größern Städte,
der Universitäten u. s. w. hervorgehen. Eine so zusammengesetzte Kammer hätte
nicht blos die übereilten Schritte der zweiten verhindern, sie hätte in vielen Fällen
eben ihrer größern Bildung wegen die Initiative ergreifen können; sie hätte nicht
nur durch ihr Veto, sondern auch vorzugsweise durch ihre Discussion, die doch
aller Wahrscheinlichkeit nach vernünftiger ausgefallen wäre, als die der Volks-
männer, auf die Gesetzgebung und auf die Verbreitung politischer Bildung im
Volke den heilsamsten Einfluß ausüben können. Mit der Zeit hätte man dann
beide Kammern in Eins verschmelzen können.

Einzelne Verkehrtheiten in den Bestimmungen der beiden Kammern, z. B.
das Recht des Königs, beliebig die eine oder die andere der Kammern oder beide,
zugleich aufzulösen, hätte viel leichter corrigirt werden können.

Wenn nun dieser wesentliche Punkt der Verfassung geeignet war, das Volk
und seine Vertreter über die Ansichten des Ministeriums bedenklich zu machen, so
mußte die unsichere Stellung, die nach der Thronrede der ganzen Wirksamkeit des
constituirendeii Landtags gegeben war, die Deputirten noch mehr verwirren. Wenn
nun die neue preußische Verfassung von der gegenwärtigen Constituante berathen
und angenommen sein wird, so sollen dann erst die Beschlüsse des Frankfurter
Parlaments mit derselben verglichen und durch die Regierung möglichst vereinbart
werden. Dieser neue Verfassungsentwurf soll dann von einer neuen Constituante
berathen werden.

Ein ebeu so unklares als bedenkliches Verfahren. Möglicherweise entspricht
der „Vereiubarungsentwurf" den Ansichten des Frankfurter Reichstags ebeu so
wenig, als der ursprüngliche. Um beiden Parteien gerecht zu werden, über¬
wirft man sich mit beiden. In solche Jrrgänge wird die Regierung verwickelt,
weil sie nicht von vornherein den Muth hatte, offen zu sein.

Nach den Beschlüsse!! des Vorparlaments standen der Negierung zwei Wege
offen. Entweder mußte sie sich füge», die Wahlen nach dem vorgeschriebenen
Modus eintreten lassen und mit der Constituirung des eigenen Staates warten,
bis die allgemeine deutsche Verfassung festgestellt war. Sie setzte sich allerdings
dabei der Gefahr aus, daß mittlerweile der preußische Staat zu Grunde ging
und daß aus der deutschen Verfassung doch nichts wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/381>, abgerufen am 26.06.2024.