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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Ich will nicht sagen, daß ans diesen Wahlen gerade der Mehrzahl nach
Demagogen hervorgehen würden, das ist jetzt nicht einmal geschehen. Aber es
ist sicher, daß bei uneingeschränkten Wahlrecht die große Masse der Wähler un¬
fähig ist, über die politische Einsicht und Redlichkeit der Kandidaten ein Urtheil
zu fällen, daß also die Wahl überall nach andern Kriterien vor sich gehen wird, als
nach dem allein vernünftigen. Von einer so zusammengesetzten Kammer dürste man,
wenn sie in erster und letzter Instanz über Staatsangelegenheiten entscheiden soll,
nicht mit Unrecht übereilte und daher in ernsten Zeiten verhängnißvolle Entschlüsse
erwarten. So lange also die Controle der Einzelstände durch das Gesammtpar-
lament der Nation noch nicht eingeführt ist, so lange man nicht wagen darf, das
Wahlrecht an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, so lange also Bediente, Gesel¬
len, Soldaten, Tagelöhner, kleine Bauern u. tgi. die überwiegende Majorität
der Wähler ausmachen, so lange darf man es einer Regierung nicht verdenken,
wenn sie einer derartigen demokratischen Versammlung ein conservatives Gegen¬
gewicht zu setzen sucht.

Das Zweikammersystem beruht entweder auf einer natürlichen, realen Thei¬
lung der Stände, so daß für die erste Kammer eine mächtige aristokratische Grund¬
lage besteht, wie in England, oder es ist künstlich hervorgebracht, um einen In-
stanzenzug möglich zu machen, in welchem die zweite Instanz größere Garantien
für staatsmännische Bildung darbietet, als die erste.

Von einer eigentlichen aristokratischen Pairskammer, wie das vorjährige Cen-
trallandtagsproject sie enthielt, konnte unter den gegenwärtigen Umständen keine
Rede mehr sein. Jene Aristokratie war weniger das Resultat einer geschichtlichen
Entwickelung, sie sollte der Keim einer zukünftigen sein, eine Lockspeise für die
kleinen deutschen Fürsten, sich mediatisiren und schließlich in die stolze preußische
Aristokratie aufnehmen zu lassen. Ein solcher Gedanke war jetzt unmöglich gewor¬
den. Die erste Kammer konnte nur den Zweck haben, politische Kapacitäten in
sich zu vereinigen.

Und da muß ich allerdings gestehen, daß die Regierung unter allen mög¬
lichen Wegen den schlechtesten gewählt hat. Eine Geldaristokratie ist unendlich
weniger geeignet, das Vertrauen der Nation zu gewinnen, als selbst eine Adels¬
aristokratie, denn sie ist egoistisch, ohne ideellen Anflug; sie bietet durchaus gar
keine Garantien politischer Bildung und sie hat auch keine Kraft, ihrer Opposition
gegen die Volkskammer eine mehr als blos legale, d. h. fictive Bedeutung zu
geben. Eine Geldaristokratie aber, die halb vom König, halb vom Volk gewählt
wird, die halb erblich ist und doch wieder diese Erblichkeit an die Fortdauer des
der Ebbe und Fluth so sehr unterworfenen Geldbesitzes knüpft, ist ein Nonplus¬
ultra von Absurdität. Freilich soll zum Theil wohl dieser Geldbesitz den unter
dem vorigen Regime allein als legitim anerkannten Grundbesitz repräsentiren, aber


Ich will nicht sagen, daß ans diesen Wahlen gerade der Mehrzahl nach
Demagogen hervorgehen würden, das ist jetzt nicht einmal geschehen. Aber es
ist sicher, daß bei uneingeschränkten Wahlrecht die große Masse der Wähler un¬
fähig ist, über die politische Einsicht und Redlichkeit der Kandidaten ein Urtheil
zu fällen, daß also die Wahl überall nach andern Kriterien vor sich gehen wird, als
nach dem allein vernünftigen. Von einer so zusammengesetzten Kammer dürste man,
wenn sie in erster und letzter Instanz über Staatsangelegenheiten entscheiden soll,
nicht mit Unrecht übereilte und daher in ernsten Zeiten verhängnißvolle Entschlüsse
erwarten. So lange also die Controle der Einzelstände durch das Gesammtpar-
lament der Nation noch nicht eingeführt ist, so lange man nicht wagen darf, das
Wahlrecht an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, so lange also Bediente, Gesel¬
len, Soldaten, Tagelöhner, kleine Bauern u. tgi. die überwiegende Majorität
der Wähler ausmachen, so lange darf man es einer Regierung nicht verdenken,
wenn sie einer derartigen demokratischen Versammlung ein conservatives Gegen¬
gewicht zu setzen sucht.

Das Zweikammersystem beruht entweder auf einer natürlichen, realen Thei¬
lung der Stände, so daß für die erste Kammer eine mächtige aristokratische Grund¬
lage besteht, wie in England, oder es ist künstlich hervorgebracht, um einen In-
stanzenzug möglich zu machen, in welchem die zweite Instanz größere Garantien
für staatsmännische Bildung darbietet, als die erste.

Von einer eigentlichen aristokratischen Pairskammer, wie das vorjährige Cen-
trallandtagsproject sie enthielt, konnte unter den gegenwärtigen Umständen keine
Rede mehr sein. Jene Aristokratie war weniger das Resultat einer geschichtlichen
Entwickelung, sie sollte der Keim einer zukünftigen sein, eine Lockspeise für die
kleinen deutschen Fürsten, sich mediatisiren und schließlich in die stolze preußische
Aristokratie aufnehmen zu lassen. Ein solcher Gedanke war jetzt unmöglich gewor¬
den. Die erste Kammer konnte nur den Zweck haben, politische Kapacitäten in
sich zu vereinigen.

Und da muß ich allerdings gestehen, daß die Regierung unter allen mög¬
lichen Wegen den schlechtesten gewählt hat. Eine Geldaristokratie ist unendlich
weniger geeignet, das Vertrauen der Nation zu gewinnen, als selbst eine Adels¬
aristokratie, denn sie ist egoistisch, ohne ideellen Anflug; sie bietet durchaus gar
keine Garantien politischer Bildung und sie hat auch keine Kraft, ihrer Opposition
gegen die Volkskammer eine mehr als blos legale, d. h. fictive Bedeutung zu
geben. Eine Geldaristokratie aber, die halb vom König, halb vom Volk gewählt
wird, die halb erblich ist und doch wieder diese Erblichkeit an die Fortdauer des
der Ebbe und Fluth so sehr unterworfenen Geldbesitzes knüpft, ist ein Nonplus¬
ultra von Absurdität. Freilich soll zum Theil wohl dieser Geldbesitz den unter
dem vorigen Regime allein als legitim anerkannten Grundbesitz repräsentiren, aber


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[0380] Ich will nicht sagen, daß ans diesen Wahlen gerade der Mehrzahl nach Demagogen hervorgehen würden, das ist jetzt nicht einmal geschehen. Aber es ist sicher, daß bei uneingeschränkten Wahlrecht die große Masse der Wähler un¬ fähig ist, über die politische Einsicht und Redlichkeit der Kandidaten ein Urtheil zu fällen, daß also die Wahl überall nach andern Kriterien vor sich gehen wird, als nach dem allein vernünftigen. Von einer so zusammengesetzten Kammer dürste man, wenn sie in erster und letzter Instanz über Staatsangelegenheiten entscheiden soll, nicht mit Unrecht übereilte und daher in ernsten Zeiten verhängnißvolle Entschlüsse erwarten. So lange also die Controle der Einzelstände durch das Gesammtpar- lament der Nation noch nicht eingeführt ist, so lange man nicht wagen darf, das Wahlrecht an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, so lange also Bediente, Gesel¬ len, Soldaten, Tagelöhner, kleine Bauern u. tgi. die überwiegende Majorität der Wähler ausmachen, so lange darf man es einer Regierung nicht verdenken, wenn sie einer derartigen demokratischen Versammlung ein conservatives Gegen¬ gewicht zu setzen sucht. Das Zweikammersystem beruht entweder auf einer natürlichen, realen Thei¬ lung der Stände, so daß für die erste Kammer eine mächtige aristokratische Grund¬ lage besteht, wie in England, oder es ist künstlich hervorgebracht, um einen In- stanzenzug möglich zu machen, in welchem die zweite Instanz größere Garantien für staatsmännische Bildung darbietet, als die erste. Von einer eigentlichen aristokratischen Pairskammer, wie das vorjährige Cen- trallandtagsproject sie enthielt, konnte unter den gegenwärtigen Umständen keine Rede mehr sein. Jene Aristokratie war weniger das Resultat einer geschichtlichen Entwickelung, sie sollte der Keim einer zukünftigen sein, eine Lockspeise für die kleinen deutschen Fürsten, sich mediatisiren und schließlich in die stolze preußische Aristokratie aufnehmen zu lassen. Ein solcher Gedanke war jetzt unmöglich gewor¬ den. Die erste Kammer konnte nur den Zweck haben, politische Kapacitäten in sich zu vereinigen. Und da muß ich allerdings gestehen, daß die Regierung unter allen mög¬ lichen Wegen den schlechtesten gewählt hat. Eine Geldaristokratie ist unendlich weniger geeignet, das Vertrauen der Nation zu gewinnen, als selbst eine Adels¬ aristokratie, denn sie ist egoistisch, ohne ideellen Anflug; sie bietet durchaus gar keine Garantien politischer Bildung und sie hat auch keine Kraft, ihrer Opposition gegen die Volkskammer eine mehr als blos legale, d. h. fictive Bedeutung zu geben. Eine Geldaristokratie aber, die halb vom König, halb vom Volk gewählt wird, die halb erblich ist und doch wieder diese Erblichkeit an die Fortdauer des der Ebbe und Fluth so sehr unterworfenen Geldbesitzes knüpft, ist ein Nonplus¬ ultra von Absurdität. Freilich soll zum Theil wohl dieser Geldbesitz den unter dem vorigen Regime allein als legitim anerkannten Grundbesitz repräsentiren, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/380>, abgerufen am 26.06.2024.