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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Liebesbriefe eines Fähnrichs.
i.
An den Bauer Michael Mroß,
"wählten D-Putirtcn des Kreises Strehlch in Schlesien für die constituirende Versammlung in Berlin.

Michael Mroß! Ihr werdet diesen Brief nicht lesen. Les't Ihr doch, wie
ich höre, niemals, am wenigsten deutsch, von dessen Kenntniß und Einwirkungen
Ihr Euch möglichst rein erhalten habt. Und doch sollen diese Zeilen meine Freude
darüber ausdrücken, daß Ihr und Euresgleichen das Recht, sich wählen zu lassen,
so tapfer für Euch selbst in Anspruch genommen habt. Jetzt endlich wird im
Staatsleben, in Gesetzgebung und parlamentarischer Debatte durchgesetzt werden,
was Kunst und Wissenschaft so glorreich zur Verjüngung des spießbürgerlichen
Menschengeschlechts erstrebt haben; die Urlande naiver Natur werden siegreich
durchkliiigen durch die Bücherformelu rationalistischer Bildung, die alte Urkraft
der Erde wird ihre Faust ballen auf den Sammetbünkeu unserer Parlamente und
sogar an die Stelle des gebildeten Fragezeicheuliedes: Was ist des Deutschen
Vaterland? wird jetzt der liebenswürdige Blödsinn ächter Volkslieder mit ursprüng¬
licheren Melodien, z. B. "Mit dem Schemel Schemelbein, ju ja Schemelbein"
durch das freie Land fahren. Schon lange lehrten die Romantiker, daß unser
Heil nur zu hoffen sei durch ein Zurückgehen aus dem scharfen, gemeinen Licht
logischen Denkens in das reizende Düster dämmerigen, volksthümlichen Grübelns.
Wir glaubten ihnen nicht. Und jetzt ist es doch wahr geworden: Schilling und
Michael Mroß, der Philosoph und der Deputirte, der Weise und der Tölpel,
durch beide eine Umkehr^ des Menschengeschlechts zu den Urformen antediluviani-
scher Reinheit; die Philosophie, welche den Mustops himuüischer Seligkeit zusam¬
menkocht aus den Seelen irdischer Individuen und die politische Parteiweisheit,
welche den hohen Himmel einer Staatsverfassung zusammenzuleimen hofft aus den
Gesichtskreisen von möglichst vielen kurzsichtigen Tröpfen, Beide sind Formen des¬
selben ewigen Proteus, der alten, unzerstörbaren Romantik.

Michael Mroß! Ihr seid nicht nur ein ungelehrter, einfältiger Mann von der
Art, die bei deu Nachbarn "Wasserpolacken" heißt, der Ruf erzählt noch Anderes
von Euch. Ich sehe Euch vor mir, ein hübsches, hitziges, geröthetes Antlitz,


Grciizliotcn. II. l"4". 45
Liebesbriefe eines Fähnrichs.
i.
An den Bauer Michael Mroß,
«wählten D-Putirtcn des Kreises Strehlch in Schlesien für die constituirende Versammlung in Berlin.

Michael Mroß! Ihr werdet diesen Brief nicht lesen. Les't Ihr doch, wie
ich höre, niemals, am wenigsten deutsch, von dessen Kenntniß und Einwirkungen
Ihr Euch möglichst rein erhalten habt. Und doch sollen diese Zeilen meine Freude
darüber ausdrücken, daß Ihr und Euresgleichen das Recht, sich wählen zu lassen,
so tapfer für Euch selbst in Anspruch genommen habt. Jetzt endlich wird im
Staatsleben, in Gesetzgebung und parlamentarischer Debatte durchgesetzt werden,
was Kunst und Wissenschaft so glorreich zur Verjüngung des spießbürgerlichen
Menschengeschlechts erstrebt haben; die Urlande naiver Natur werden siegreich
durchkliiigen durch die Bücherformelu rationalistischer Bildung, die alte Urkraft
der Erde wird ihre Faust ballen auf den Sammetbünkeu unserer Parlamente und
sogar an die Stelle des gebildeten Fragezeicheuliedes: Was ist des Deutschen
Vaterland? wird jetzt der liebenswürdige Blödsinn ächter Volkslieder mit ursprüng¬
licheren Melodien, z. B. „Mit dem Schemel Schemelbein, ju ja Schemelbein"
durch das freie Land fahren. Schon lange lehrten die Romantiker, daß unser
Heil nur zu hoffen sei durch ein Zurückgehen aus dem scharfen, gemeinen Licht
logischen Denkens in das reizende Düster dämmerigen, volksthümlichen Grübelns.
Wir glaubten ihnen nicht. Und jetzt ist es doch wahr geworden: Schilling und
Michael Mroß, der Philosoph und der Deputirte, der Weise und der Tölpel,
durch beide eine Umkehr^ des Menschengeschlechts zu den Urformen antediluviani-
scher Reinheit; die Philosophie, welche den Mustops himuüischer Seligkeit zusam¬
menkocht aus den Seelen irdischer Individuen und die politische Parteiweisheit,
welche den hohen Himmel einer Staatsverfassung zusammenzuleimen hofft aus den
Gesichtskreisen von möglichst vielen kurzsichtigen Tröpfen, Beide sind Formen des¬
selben ewigen Proteus, der alten, unzerstörbaren Romantik.

Michael Mroß! Ihr seid nicht nur ein ungelehrter, einfältiger Mann von der
Art, die bei deu Nachbarn „Wasserpolacken" heißt, der Ruf erzählt noch Anderes
von Euch. Ich sehe Euch vor mir, ein hübsches, hitziges, geröthetes Antlitz,


Grciizliotcn. II. l«4». 45
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[0355] Liebesbriefe eines Fähnrichs. i. An den Bauer Michael Mroß, «wählten D-Putirtcn des Kreises Strehlch in Schlesien für die constituirende Versammlung in Berlin. Michael Mroß! Ihr werdet diesen Brief nicht lesen. Les't Ihr doch, wie ich höre, niemals, am wenigsten deutsch, von dessen Kenntniß und Einwirkungen Ihr Euch möglichst rein erhalten habt. Und doch sollen diese Zeilen meine Freude darüber ausdrücken, daß Ihr und Euresgleichen das Recht, sich wählen zu lassen, so tapfer für Euch selbst in Anspruch genommen habt. Jetzt endlich wird im Staatsleben, in Gesetzgebung und parlamentarischer Debatte durchgesetzt werden, was Kunst und Wissenschaft so glorreich zur Verjüngung des spießbürgerlichen Menschengeschlechts erstrebt haben; die Urlande naiver Natur werden siegreich durchkliiigen durch die Bücherformelu rationalistischer Bildung, die alte Urkraft der Erde wird ihre Faust ballen auf den Sammetbünkeu unserer Parlamente und sogar an die Stelle des gebildeten Fragezeicheuliedes: Was ist des Deutschen Vaterland? wird jetzt der liebenswürdige Blödsinn ächter Volkslieder mit ursprüng¬ licheren Melodien, z. B. „Mit dem Schemel Schemelbein, ju ja Schemelbein" durch das freie Land fahren. Schon lange lehrten die Romantiker, daß unser Heil nur zu hoffen sei durch ein Zurückgehen aus dem scharfen, gemeinen Licht logischen Denkens in das reizende Düster dämmerigen, volksthümlichen Grübelns. Wir glaubten ihnen nicht. Und jetzt ist es doch wahr geworden: Schilling und Michael Mroß, der Philosoph und der Deputirte, der Weise und der Tölpel, durch beide eine Umkehr^ des Menschengeschlechts zu den Urformen antediluviani- scher Reinheit; die Philosophie, welche den Mustops himuüischer Seligkeit zusam¬ menkocht aus den Seelen irdischer Individuen und die politische Parteiweisheit, welche den hohen Himmel einer Staatsverfassung zusammenzuleimen hofft aus den Gesichtskreisen von möglichst vielen kurzsichtigen Tröpfen, Beide sind Formen des¬ selben ewigen Proteus, der alten, unzerstörbaren Romantik. Michael Mroß! Ihr seid nicht nur ein ungelehrter, einfältiger Mann von der Art, die bei deu Nachbarn „Wasserpolacken" heißt, der Ruf erzählt noch Anderes von Euch. Ich sehe Euch vor mir, ein hübsches, hitziges, geröthetes Antlitz, Grciizliotcn. II. l«4». 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/355>, abgerufen am 26.06.2024.