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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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sufer, als der republikanische Enthusiasmus an sich, und darum sind die Deutschen
für ihn empfänglicher.

Es ist die Frage, ob in der polnischen Angelegenheit Lamartine und seine
Gleichgesinnten die Sympathien ihrer eignen Nationen hätten zurückdrängen kön¬
nen; ob die Bourgeoisie uicht schlau genug gewesen wäre, die gefährlichen Säfte
ihres Volkes in diesen Kanal zu leiten und dadurch unschädlich zu machen. Auch
hier steht die Frage jetzt anders.

Der Angriff der Anarchisten knüpfte sich an eine Demonstration zu Gunsten
Polens; freilich wurde er von den Polophilen desavouirt, sobald er gescheitert
war. Die herrschende Partei wird darum nicht vergessen, daß beide im Zusam¬
menhang standen; sie wird, so lange Preußen sest und offen auftritt, in ihrem
eigenen Interesse die conservative Partei der deutschen Politiker unterstützen, so
weit es geht, um sich nöthigenfalls auf diese stützen zu können. Wir dürfen
darum nicht sicher sein, denn in der französischen Politik gilt nnr die Wahrschein¬
lichkeitsrechnung, aber wir haben wenigstens einen unmotivirten, sinnlosen Angriff
nicht zu gewärtigen.

Es ist Zeit, daß die deutsche Presse in dieser Frage von unabsehbarer Wich¬
tigkeit ihre Aufgabe erkennt. Nicht, daß ich die sinnlosen Antipathien der Deutsch-
thümler gegen die slavische, an sich durchaus gerechtfertigte Bewegung theile;
aber ich verlange, daß der Politiker nicht fragt: was wäre doch wohl recht hübsch,
wenn man die Welt nach seinem Geschmack arrangiren könnte? sondern: was
kann, was muß der Staat, im Interesse seiner eignen Wohlfahrt in dieser Sache
thun? Man scheue sich nicht, die Maßregeln der Regierung anzugreifen, wenn
sie der rechten Politik, die nicht nach Sympathien, sondern nach Principien han¬
delt, widersprechen; denn der blinde Patriotismus ist unfruchtbar; aber man
höre auf, durch eben so leidenschaftliche als kleinliche Aufreizungen eine Frage
noch mehr zu verwirren, die ohnehin schon dunkel genug ist, um den Scharfsinn
der ruhigsten Politiker in Verzweiflung zu setzen.


Julian Schmidt.


sufer, als der republikanische Enthusiasmus an sich, und darum sind die Deutschen
für ihn empfänglicher.

Es ist die Frage, ob in der polnischen Angelegenheit Lamartine und seine
Gleichgesinnten die Sympathien ihrer eignen Nationen hätten zurückdrängen kön¬
nen; ob die Bourgeoisie uicht schlau genug gewesen wäre, die gefährlichen Säfte
ihres Volkes in diesen Kanal zu leiten und dadurch unschädlich zu machen. Auch
hier steht die Frage jetzt anders.

Der Angriff der Anarchisten knüpfte sich an eine Demonstration zu Gunsten
Polens; freilich wurde er von den Polophilen desavouirt, sobald er gescheitert
war. Die herrschende Partei wird darum nicht vergessen, daß beide im Zusam¬
menhang standen; sie wird, so lange Preußen sest und offen auftritt, in ihrem
eigenen Interesse die conservative Partei der deutschen Politiker unterstützen, so
weit es geht, um sich nöthigenfalls auf diese stützen zu können. Wir dürfen
darum nicht sicher sein, denn in der französischen Politik gilt nnr die Wahrschein¬
lichkeitsrechnung, aber wir haben wenigstens einen unmotivirten, sinnlosen Angriff
nicht zu gewärtigen.

Es ist Zeit, daß die deutsche Presse in dieser Frage von unabsehbarer Wich¬
tigkeit ihre Aufgabe erkennt. Nicht, daß ich die sinnlosen Antipathien der Deutsch-
thümler gegen die slavische, an sich durchaus gerechtfertigte Bewegung theile;
aber ich verlange, daß der Politiker nicht fragt: was wäre doch wohl recht hübsch,
wenn man die Welt nach seinem Geschmack arrangiren könnte? sondern: was
kann, was muß der Staat, im Interesse seiner eignen Wohlfahrt in dieser Sache
thun? Man scheue sich nicht, die Maßregeln der Regierung anzugreifen, wenn
sie der rechten Politik, die nicht nach Sympathien, sondern nach Principien han¬
delt, widersprechen; denn der blinde Patriotismus ist unfruchtbar; aber man
höre auf, durch eben so leidenschaftliche als kleinliche Aufreizungen eine Frage
noch mehr zu verwirren, die ohnehin schon dunkel genug ist, um den Scharfsinn
der ruhigsten Politiker in Verzweiflung zu setzen.


Julian Schmidt.


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[0354] sufer, als der republikanische Enthusiasmus an sich, und darum sind die Deutschen für ihn empfänglicher. Es ist die Frage, ob in der polnischen Angelegenheit Lamartine und seine Gleichgesinnten die Sympathien ihrer eignen Nationen hätten zurückdrängen kön¬ nen; ob die Bourgeoisie uicht schlau genug gewesen wäre, die gefährlichen Säfte ihres Volkes in diesen Kanal zu leiten und dadurch unschädlich zu machen. Auch hier steht die Frage jetzt anders. Der Angriff der Anarchisten knüpfte sich an eine Demonstration zu Gunsten Polens; freilich wurde er von den Polophilen desavouirt, sobald er gescheitert war. Die herrschende Partei wird darum nicht vergessen, daß beide im Zusam¬ menhang standen; sie wird, so lange Preußen sest und offen auftritt, in ihrem eigenen Interesse die conservative Partei der deutschen Politiker unterstützen, so weit es geht, um sich nöthigenfalls auf diese stützen zu können. Wir dürfen darum nicht sicher sein, denn in der französischen Politik gilt nnr die Wahrschein¬ lichkeitsrechnung, aber wir haben wenigstens einen unmotivirten, sinnlosen Angriff nicht zu gewärtigen. Es ist Zeit, daß die deutsche Presse in dieser Frage von unabsehbarer Wich¬ tigkeit ihre Aufgabe erkennt. Nicht, daß ich die sinnlosen Antipathien der Deutsch- thümler gegen die slavische, an sich durchaus gerechtfertigte Bewegung theile; aber ich verlange, daß der Politiker nicht fragt: was wäre doch wohl recht hübsch, wenn man die Welt nach seinem Geschmack arrangiren könnte? sondern: was kann, was muß der Staat, im Interesse seiner eignen Wohlfahrt in dieser Sache thun? Man scheue sich nicht, die Maßregeln der Regierung anzugreifen, wenn sie der rechten Politik, die nicht nach Sympathien, sondern nach Principien han¬ delt, widersprechen; denn der blinde Patriotismus ist unfruchtbar; aber man höre auf, durch eben so leidenschaftliche als kleinliche Aufreizungen eine Frage noch mehr zu verwirren, die ohnehin schon dunkel genug ist, um den Scharfsinn der ruhigsten Politiker in Verzweiflung zu setzen. Julian Schmidt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/354>, abgerufen am 26.06.2024.