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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Wenn auch die Nation später die Handlungen des Pariser Pöbels durch ihre
Zustimmung sanctionirt hat, konnten die Kommunisten sich nicht ebenfalls auf die
Hoffnung einer nachträglichen Sanction berufen? Ist die Entgegenstelluug von
Peuple und Bourgeoisie, die in dem einen alle Tugend und alle politische Kraft,
in dem andern alle Korruption sah, eine Erfindung Blanqui's? War es nicht
die Partei des National, die nun das Blut erntete, das sie gesäet? Waren die
Communisten durch den Hohn der herrschenden Partei nicht eben so gereizt, als
damals die Republikaner durch den Hohn der gouvernementalen Bourgeoisie?

Offenbar wird die Partei des Juste Milieu jetzt bald eine entschiedenere Sprache
führen, als vor einigen Wochen. Ich glaube freilich nicht an den Versuch einer
royalistischen Schilderhebung, wenigstens nicht für die nächste Zeit; auch halte
ich diese Frage für eine Nebensache. Es war die republikanische Partei der
Thermidorier, welche im Jahr 1794 ,das alte System der Korruption und des
Egoismus wieder herstellte, nachdem die "Tugend" guillotinirt war; zur Mo¬
narchie kam mau erst nach längeren Kämpfen zurück. Ich glaube auch nicht an
eine wesentliche Beeinträchtigung der Freiheit; zwar scheint man die Clubs schlie¬
ßen zu wollen, vielleicht wird man auch Maßregeln gegen die "übelgesinnte" Presse
nehmen; jedenfalls wird dieser Druck ein unendlich erträglicherer sein, als der
den Sieg der terroristischen Partei begleitet hätte. Die Tyrannei der Lasterhafte"
ist fatal, aber vor einem Terrorismus der Tugend mögen uns alle Götter des
Olymp bewahren!

Aber ich glaube, daß die herrschende Partei in ihrer Sicherheit bestärkt
und daß sie zu dem alten System des bequemen Nichtsthuns zurückkehren
wird. Die großen Fragen der Gesellschaft und des Staats werden wieder hin¬
ausgeschoben, das persönliche Interesse drängt wieder den fliegenden Enthusiasmus
zurück, und die Schwüle wird nach dem Gewitter eben so drückend sein, als
vorher. Wenn man eine Weile seine politischen Verhältnisse den Händen der
Vertrauensmänner anheim gegeben haben wird, kann es sich leicht ereignen, daß
man den gordischen Knoten von Neuem zerhaue.

Indeß das mögen die Franzosen mit sich ausmachen; uns liegt die Frage
nahe, was wird die Entscheidung des 15. Mai für einen Einfluß
auf Deutschland haben?

Die Leser der Grenzboten werden sich vielleicht noch des Aufsatzes erinnern,
der unter dem ersten Eindruck der Februar-Revolution geschrieben, jene Ereig¬
nisse in einem ungünstigern Lichte auffaßte, als es bei der Mehrzahl der liberalen
Blätter der Fall war. Jene Erklärung kam zur Unzeit, denn sie beleidigte das
Pietätsgefühl, das wir gegen Frankreich haben mußten, wir Deutschen, für deren
Befreiung der Aufstand in Paris der erste große Schritt war. Daß aber, ab¬
gesehen davon, jene Ansicht ihre wesentliche Berechtigung hatte, wird man jetzt
wohl nicht mehr so allgemein in Abrede stellen.


Wenn auch die Nation später die Handlungen des Pariser Pöbels durch ihre
Zustimmung sanctionirt hat, konnten die Kommunisten sich nicht ebenfalls auf die
Hoffnung einer nachträglichen Sanction berufen? Ist die Entgegenstelluug von
Peuple und Bourgeoisie, die in dem einen alle Tugend und alle politische Kraft,
in dem andern alle Korruption sah, eine Erfindung Blanqui's? War es nicht
die Partei des National, die nun das Blut erntete, das sie gesäet? Waren die
Communisten durch den Hohn der herrschenden Partei nicht eben so gereizt, als
damals die Republikaner durch den Hohn der gouvernementalen Bourgeoisie?

Offenbar wird die Partei des Juste Milieu jetzt bald eine entschiedenere Sprache
führen, als vor einigen Wochen. Ich glaube freilich nicht an den Versuch einer
royalistischen Schilderhebung, wenigstens nicht für die nächste Zeit; auch halte
ich diese Frage für eine Nebensache. Es war die republikanische Partei der
Thermidorier, welche im Jahr 1794 ,das alte System der Korruption und des
Egoismus wieder herstellte, nachdem die „Tugend" guillotinirt war; zur Mo¬
narchie kam mau erst nach längeren Kämpfen zurück. Ich glaube auch nicht an
eine wesentliche Beeinträchtigung der Freiheit; zwar scheint man die Clubs schlie¬
ßen zu wollen, vielleicht wird man auch Maßregeln gegen die „übelgesinnte" Presse
nehmen; jedenfalls wird dieser Druck ein unendlich erträglicherer sein, als der
den Sieg der terroristischen Partei begleitet hätte. Die Tyrannei der Lasterhafte»
ist fatal, aber vor einem Terrorismus der Tugend mögen uns alle Götter des
Olymp bewahren!

Aber ich glaube, daß die herrschende Partei in ihrer Sicherheit bestärkt
und daß sie zu dem alten System des bequemen Nichtsthuns zurückkehren
wird. Die großen Fragen der Gesellschaft und des Staats werden wieder hin¬
ausgeschoben, das persönliche Interesse drängt wieder den fliegenden Enthusiasmus
zurück, und die Schwüle wird nach dem Gewitter eben so drückend sein, als
vorher. Wenn man eine Weile seine politischen Verhältnisse den Händen der
Vertrauensmänner anheim gegeben haben wird, kann es sich leicht ereignen, daß
man den gordischen Knoten von Neuem zerhaue.

Indeß das mögen die Franzosen mit sich ausmachen; uns liegt die Frage
nahe, was wird die Entscheidung des 15. Mai für einen Einfluß
auf Deutschland haben?

Die Leser der Grenzboten werden sich vielleicht noch des Aufsatzes erinnern,
der unter dem ersten Eindruck der Februar-Revolution geschrieben, jene Ereig¬
nisse in einem ungünstigern Lichte auffaßte, als es bei der Mehrzahl der liberalen
Blätter der Fall war. Jene Erklärung kam zur Unzeit, denn sie beleidigte das
Pietätsgefühl, das wir gegen Frankreich haben mußten, wir Deutschen, für deren
Befreiung der Aufstand in Paris der erste große Schritt war. Daß aber, ab¬
gesehen davon, jene Ansicht ihre wesentliche Berechtigung hatte, wird man jetzt
wohl nicht mehr so allgemein in Abrede stellen.


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[0352] Wenn auch die Nation später die Handlungen des Pariser Pöbels durch ihre Zustimmung sanctionirt hat, konnten die Kommunisten sich nicht ebenfalls auf die Hoffnung einer nachträglichen Sanction berufen? Ist die Entgegenstelluug von Peuple und Bourgeoisie, die in dem einen alle Tugend und alle politische Kraft, in dem andern alle Korruption sah, eine Erfindung Blanqui's? War es nicht die Partei des National, die nun das Blut erntete, das sie gesäet? Waren die Communisten durch den Hohn der herrschenden Partei nicht eben so gereizt, als damals die Republikaner durch den Hohn der gouvernementalen Bourgeoisie? Offenbar wird die Partei des Juste Milieu jetzt bald eine entschiedenere Sprache führen, als vor einigen Wochen. Ich glaube freilich nicht an den Versuch einer royalistischen Schilderhebung, wenigstens nicht für die nächste Zeit; auch halte ich diese Frage für eine Nebensache. Es war die republikanische Partei der Thermidorier, welche im Jahr 1794 ,das alte System der Korruption und des Egoismus wieder herstellte, nachdem die „Tugend" guillotinirt war; zur Mo¬ narchie kam mau erst nach längeren Kämpfen zurück. Ich glaube auch nicht an eine wesentliche Beeinträchtigung der Freiheit; zwar scheint man die Clubs schlie¬ ßen zu wollen, vielleicht wird man auch Maßregeln gegen die „übelgesinnte" Presse nehmen; jedenfalls wird dieser Druck ein unendlich erträglicherer sein, als der den Sieg der terroristischen Partei begleitet hätte. Die Tyrannei der Lasterhafte» ist fatal, aber vor einem Terrorismus der Tugend mögen uns alle Götter des Olymp bewahren! Aber ich glaube, daß die herrschende Partei in ihrer Sicherheit bestärkt und daß sie zu dem alten System des bequemen Nichtsthuns zurückkehren wird. Die großen Fragen der Gesellschaft und des Staats werden wieder hin¬ ausgeschoben, das persönliche Interesse drängt wieder den fliegenden Enthusiasmus zurück, und die Schwüle wird nach dem Gewitter eben so drückend sein, als vorher. Wenn man eine Weile seine politischen Verhältnisse den Händen der Vertrauensmänner anheim gegeben haben wird, kann es sich leicht ereignen, daß man den gordischen Knoten von Neuem zerhaue. Indeß das mögen die Franzosen mit sich ausmachen; uns liegt die Frage nahe, was wird die Entscheidung des 15. Mai für einen Einfluß auf Deutschland haben? Die Leser der Grenzboten werden sich vielleicht noch des Aufsatzes erinnern, der unter dem ersten Eindruck der Februar-Revolution geschrieben, jene Ereig¬ nisse in einem ungünstigern Lichte auffaßte, als es bei der Mehrzahl der liberalen Blätter der Fall war. Jene Erklärung kam zur Unzeit, denn sie beleidigte das Pietätsgefühl, das wir gegen Frankreich haben mußten, wir Deutschen, für deren Befreiung der Aufstand in Paris der erste große Schritt war. Daß aber, ab¬ gesehen davon, jene Ansicht ihre wesentliche Berechtigung hatte, wird man jetzt wohl nicht mehr so allgemein in Abrede stellen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/352>, abgerufen am 26.06.2024.