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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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rung sich auf den ersten Rappell zu versammeln, die Revolution über sich haben
zusammenschlagen lassen, entluden nun ihre ganze Wuth wegen ihrer gefallenen
Renten auf diesen Mann.

Auf die Pariser Bourgeoisie, namentlich auf die bemittelte und noch mehr
auf die reiche, hat der Ausgang dieses Attentats einen freudigen Eindruck gemacht.
Sie hält diese Männer ohne Ausnahme für Mordbrenner, oder schreit sie
wenigstens für solche aus. Aber man braucht diese Leute nicht zu kennen, sondern
nnr ihre politische Laufbahn und ihre jetzige Stellung zu berücksichtigen, um ein¬
zusehen, daß sie die Gesellschaft nicht (?) berauben wollen, sondern nach einem
Prinzipe handeln, dessen Falschheit in ihren Augen noch keineswegs erwiesen ist.
Ihr Zweck läßt sich in wenigen Worten aussprechen: sie wollen die Abschaffung
des Proletariats. Dies kann freilich nur auf Unkosten der bemittelten Klasse
geschehen, und wenn diese dabei auch verlöre, so hat sie darum kein Recht, solche
Männer Mordbrenner zu nennen. Die Ökonomisten halten das Elend auf Er¬
den für nothwendig, die Socialisten halten es für eine Schuld der gesellschaft¬
lichen Einrichtungen. Wer von beiden hat Recht? Ueberfällt den gelehrtesten
Oekonomen, denjenigen, der allenfalls auf wissenschaftlichem Wege das Resultat
gewonnen hat, daß das Elend nothwendig sei, nicht zuweilen ein Grauen vor
diesem Resultat, eine Ahnung, daß ein so furchtbares Naturgesetz unmöglich sei?
Also über das Princip selbst ist so gut als Nichts entschieden, und wo bei einer
rein materiellen Frage wie diese, die Erfahrung der sogenannten Wissenschaft
so wenig zu Hilfe kommt wie hier, kann man Resultate ans dem Papier für
keine Entscheidungen halten. Keines der socialistischen Systeme ist noch praktisch
versucht worden, und selbst einzelne mißlungene Versuche mitten in der Kette
alter Einrichtungen und Formen würden noch nichts beweisen. Der Tadel trifft
daher die Vertheidiger socialistischer Principien auch weniger wegen der letzteren
selbst als wegen der Mittel, die sie zur Realisirung derselben anwenden, und
das mit Recht, denn da diese Mittel in der Regel revolutionär, oder bestimmter,
terroristisch sind, (in Cabet's Communismus sind sie es nicht) so wäre die neue
Gesellschaft nur durch die völlige Zerstörung der alten zu organisiren, was ganz
undenkbar ist, da die Elemente, welche die neue Gesellschaft zusammensetzen sollen,
ganz dieselben geblieben wären, während sie nur dnrch das dem revolutionären
Princip entgegengesetzte Mittel, durch lange organische Bildung andere werden
könnten. So wenig daher auch das Unternehmen der französischen Ultras zu recht¬
fertigen ist, so sehr mau es vom. juridischen Standpunkte ans als Verbrechen
bezeichnen muß, so wenig verdienen die dabei betheiligten Männer doch in den
Koth herabgezogen zu werden. Glaubt man etwa, wenn es BaMs nicht um
die Sache, sondern um seine Person zu thu" gewesen wäre, er hätte seinen Zweck
nicht viel eher erreicht, wenn er mit seiner Würde als Vvlksrepräsentant und
Oberst der 12. Legion sich der gemäßigten Partei zugeneigt hätte? Er wäre dann


rung sich auf den ersten Rappell zu versammeln, die Revolution über sich haben
zusammenschlagen lassen, entluden nun ihre ganze Wuth wegen ihrer gefallenen
Renten auf diesen Mann.

Auf die Pariser Bourgeoisie, namentlich auf die bemittelte und noch mehr
auf die reiche, hat der Ausgang dieses Attentats einen freudigen Eindruck gemacht.
Sie hält diese Männer ohne Ausnahme für Mordbrenner, oder schreit sie
wenigstens für solche aus. Aber man braucht diese Leute nicht zu kennen, sondern
nnr ihre politische Laufbahn und ihre jetzige Stellung zu berücksichtigen, um ein¬
zusehen, daß sie die Gesellschaft nicht (?) berauben wollen, sondern nach einem
Prinzipe handeln, dessen Falschheit in ihren Augen noch keineswegs erwiesen ist.
Ihr Zweck läßt sich in wenigen Worten aussprechen: sie wollen die Abschaffung
des Proletariats. Dies kann freilich nur auf Unkosten der bemittelten Klasse
geschehen, und wenn diese dabei auch verlöre, so hat sie darum kein Recht, solche
Männer Mordbrenner zu nennen. Die Ökonomisten halten das Elend auf Er¬
den für nothwendig, die Socialisten halten es für eine Schuld der gesellschaft¬
lichen Einrichtungen. Wer von beiden hat Recht? Ueberfällt den gelehrtesten
Oekonomen, denjenigen, der allenfalls auf wissenschaftlichem Wege das Resultat
gewonnen hat, daß das Elend nothwendig sei, nicht zuweilen ein Grauen vor
diesem Resultat, eine Ahnung, daß ein so furchtbares Naturgesetz unmöglich sei?
Also über das Princip selbst ist so gut als Nichts entschieden, und wo bei einer
rein materiellen Frage wie diese, die Erfahrung der sogenannten Wissenschaft
so wenig zu Hilfe kommt wie hier, kann man Resultate ans dem Papier für
keine Entscheidungen halten. Keines der socialistischen Systeme ist noch praktisch
versucht worden, und selbst einzelne mißlungene Versuche mitten in der Kette
alter Einrichtungen und Formen würden noch nichts beweisen. Der Tadel trifft
daher die Vertheidiger socialistischer Principien auch weniger wegen der letzteren
selbst als wegen der Mittel, die sie zur Realisirung derselben anwenden, und
das mit Recht, denn da diese Mittel in der Regel revolutionär, oder bestimmter,
terroristisch sind, (in Cabet's Communismus sind sie es nicht) so wäre die neue
Gesellschaft nur durch die völlige Zerstörung der alten zu organisiren, was ganz
undenkbar ist, da die Elemente, welche die neue Gesellschaft zusammensetzen sollen,
ganz dieselben geblieben wären, während sie nur dnrch das dem revolutionären
Princip entgegengesetzte Mittel, durch lange organische Bildung andere werden
könnten. So wenig daher auch das Unternehmen der französischen Ultras zu recht¬
fertigen ist, so sehr mau es vom. juridischen Standpunkte ans als Verbrechen
bezeichnen muß, so wenig verdienen die dabei betheiligten Männer doch in den
Koth herabgezogen zu werden. Glaubt man etwa, wenn es BaMs nicht um
die Sache, sondern um seine Person zu thu» gewesen wäre, er hätte seinen Zweck
nicht viel eher erreicht, wenn er mit seiner Würde als Vvlksrepräsentant und
Oberst der 12. Legion sich der gemäßigten Partei zugeneigt hätte? Er wäre dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/342>, abgerufen am 26.06.2024.