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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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blieb man im Kaffeehause, aber um 4 Uhr Morgens zersplitterten sich die Kräfte
durch die Uneinigkeit der Kommunisten, und um 10 Uhr befanden sich etwa nur
4000 Mann auf dem Baftillenplcche. An der Kammer angelangt, soll der Zug
sich auf 30,000 vermehrt haben, was mir übertrieben scheint. Ich schätzte ihn
um 2 Uhr höchstens auf die Hälfte. Die radikalsten Clubs waren gegenwärtig:
Emancipation des Penples, Homme arm";, Montagnards von Belleville, Progres,
Jnteröt commun, Avenir, Jacobins, Egalitv, Fraternite u. f. w. Der Palast war
nur von einer kleinen Anzahl Nationalgarde und einem Bataillon der mobilen be¬
wacht, die anfangs die Revolutions- (Cvncordien-) Brücke sperrte, der Menge aber
bald nachgeben mußte. Nun geht unbegreiflicher Weise ein Schuß los, der, wie man
denken kann, Verwirrung unter die Massen bringt und den Generalcommandanten
der Nationalgarde bewegt, den Garden zu befehlen, daß sie die Ladestocke in den
Röhren spielen lassen, die Gewehre umkehren und die Bayonette einstecken, damit das
Volk sich überzeuge, daß man nicht geladen, ja überhaupt keine feindlichen Absichten
habe. Diese Maßregel des General Courtais war jedenfalls unvorsichtig, aber er
konnte nicht ahnen, was man im Schilde sichre und wollte nur blutige Zusammenstöße
vermeiden. Daß kein Verrath von seiner Seite vorhanden war, wird hoffentlich
die Untersuchung zeigen. Der Menge ist die freundliche Manifestation der Gar-
den ein Signal zum Durchbrüche, man erstürmt die Thüren und dringt in den
Sitzungssaal. Ein panischer Schrecken überfällt die ganze Versammlung, die Da¬
men und die übrigen Zuschauer glauben sich in Lebensgefahr, da der provisorische
schwach gebaute Saal einzustürzen droht, man schreit, lärmt, gesticulirt und Raspail,
Blanqui, Hubert, Barbvs u. s. w. benutzen die Verwirrung, um zu parlamentiren
und zu decretiren. Den weiteren Verlauf dieser Scenen und die endliche Nieder¬
lage der Eineute werden Sie aus deu Zeitungen kennen, nur so viel bemerke ich,
daß über vielen Einzelnheiten noch ein Dunkel schwebt. Die Einen z. B. sagen,
Barbos, die Andern, Raspail habe die Steuer vou einer Milliarde von den Rei¬
chen gefordert.

Auch muß man wissen, um die rohe Behandlung zu begreifen, die Conrtais bei
seiner.Verhaftung erfuhr, daß er bei einen? großen Theil der Nationalgarde ver¬
haßt ist. Als es galt, die früher bei weitem weniger zahlreiche Nationalgarde mit
dein Volke, das nnn ebenfalls unter dieselbe treten sollte, zu vereinigen und beide
mit einander zu mischen, wählte die Regierung diesen Mann, dem das große
Verdienst zukommt, die Einen-Compagnien der Grenadiere Mrenmützen) und
Voltigeurs aufgehoben und die demokratische Verfassung in der Nationalgarde
eingeführt zu haben. Dies konnte ihm die Bourgeoisie nicht vergessen und da
die Regierung ihn sowohl wie seine" Generalstab wohlweislich keiner Wahl un¬
terwarf, so wurde diese fortwährend reklamirt, aber nicht bewilligt. Nun war die
Gelegenheit gekommen, sich an Conrtais zu rächen und dieselben Menschen, die
in der Meinung, Louis Philipp ein Schnippchen zu schlagen, durch ihre Wcige-


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blieb man im Kaffeehause, aber um 4 Uhr Morgens zersplitterten sich die Kräfte
durch die Uneinigkeit der Kommunisten, und um 10 Uhr befanden sich etwa nur
4000 Mann auf dem Baftillenplcche. An der Kammer angelangt, soll der Zug
sich auf 30,000 vermehrt haben, was mir übertrieben scheint. Ich schätzte ihn
um 2 Uhr höchstens auf die Hälfte. Die radikalsten Clubs waren gegenwärtig:
Emancipation des Penples, Homme arm«;, Montagnards von Belleville, Progres,
Jnteröt commun, Avenir, Jacobins, Egalitv, Fraternite u. f. w. Der Palast war
nur von einer kleinen Anzahl Nationalgarde und einem Bataillon der mobilen be¬
wacht, die anfangs die Revolutions- (Cvncordien-) Brücke sperrte, der Menge aber
bald nachgeben mußte. Nun geht unbegreiflicher Weise ein Schuß los, der, wie man
denken kann, Verwirrung unter die Massen bringt und den Generalcommandanten
der Nationalgarde bewegt, den Garden zu befehlen, daß sie die Ladestocke in den
Röhren spielen lassen, die Gewehre umkehren und die Bayonette einstecken, damit das
Volk sich überzeuge, daß man nicht geladen, ja überhaupt keine feindlichen Absichten
habe. Diese Maßregel des General Courtais war jedenfalls unvorsichtig, aber er
konnte nicht ahnen, was man im Schilde sichre und wollte nur blutige Zusammenstöße
vermeiden. Daß kein Verrath von seiner Seite vorhanden war, wird hoffentlich
die Untersuchung zeigen. Der Menge ist die freundliche Manifestation der Gar-
den ein Signal zum Durchbrüche, man erstürmt die Thüren und dringt in den
Sitzungssaal. Ein panischer Schrecken überfällt die ganze Versammlung, die Da¬
men und die übrigen Zuschauer glauben sich in Lebensgefahr, da der provisorische
schwach gebaute Saal einzustürzen droht, man schreit, lärmt, gesticulirt und Raspail,
Blanqui, Hubert, Barbvs u. s. w. benutzen die Verwirrung, um zu parlamentiren
und zu decretiren. Den weiteren Verlauf dieser Scenen und die endliche Nieder¬
lage der Eineute werden Sie aus deu Zeitungen kennen, nur so viel bemerke ich,
daß über vielen Einzelnheiten noch ein Dunkel schwebt. Die Einen z. B. sagen,
Barbos, die Andern, Raspail habe die Steuer vou einer Milliarde von den Rei¬
chen gefordert.

Auch muß man wissen, um die rohe Behandlung zu begreifen, die Conrtais bei
seiner.Verhaftung erfuhr, daß er bei einen? großen Theil der Nationalgarde ver¬
haßt ist. Als es galt, die früher bei weitem weniger zahlreiche Nationalgarde mit
dein Volke, das nnn ebenfalls unter dieselbe treten sollte, zu vereinigen und beide
mit einander zu mischen, wählte die Regierung diesen Mann, dem das große
Verdienst zukommt, die Einen-Compagnien der Grenadiere Mrenmützen) und
Voltigeurs aufgehoben und die demokratische Verfassung in der Nationalgarde
eingeführt zu haben. Dies konnte ihm die Bourgeoisie nicht vergessen und da
die Regierung ihn sowohl wie seine» Generalstab wohlweislich keiner Wahl un¬
terwarf, so wurde diese fortwährend reklamirt, aber nicht bewilligt. Nun war die
Gelegenheit gekommen, sich an Conrtais zu rächen und dieselben Menschen, die
in der Meinung, Louis Philipp ein Schnippchen zu schlagen, durch ihre Wcige-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/341>, abgerufen am 26.06.2024.