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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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den höchsten Stellen im Staate bedacht worden ist. Unterdeß conspiriren und
protestiren die "rothen" Clubs ganz öffentlich gegen die Jnstituteurs der "zahmen"
Republik; Blanqui, Barbes, Raspail, Sobrier und ihre Freunde und Anhänger
lassen über ihre Absichten nicht den mindesten Zweifel, der Polizeipräfect warnt, räth
sogar zur Verhaftung Blanqni's, aber alte Verbindlichkeiten scheinen alle Strenge
zu verhindern. Die Nachrichten von den Niederlagen der Polen schüren unterdeß
das Feuer, hinter dessen Rauchwolke man sich versteckt, um mit Donner im Munde
und Blitz in den Taschen nach der Gesetzfabrik zu ziehen. Schon am 11. Mai
versammelten sich die Ultras in einem Estaminet am Seinekanal, um eine "Manife¬
station zur Verhinderung reactiouärer Schritte" zu veranstalten. Man überschätzte,
wie in der Regel, seine Kräfte, indem mau aus 100,000 Menschen rechnete, von
den Chefs der Arbeiter aus den Vorstädten aber erfuhr, daß auf letztere für eine
neue Revolution nicht zu zählen wäre!!

Nun kamen die Polen, die "l'rizi-es <I>i Roral" an, und brachten 77,000
Menschen in ihren Köpfen, vielleicht auch ans einem Zettel mit, ungeheure Streit¬
kräfte wurden berechnet, und ein Augenzeuge addirte mehr als eine Million Men¬
schen zusammen. Diese Summe kam den Wühlern nun selbst lächerlich übertrieben
vor, sie machten Concessionen, rednzirten ihre Mannschaft, aber die Polen waren
auch nicht zur Ansrupfnng eines einzigen Haars von ihren 77,000 Streitern zu
bringen. Man kam zu keinem Resultate und gab sich aus den andern Tag in
Montparnasse Rendezvous. Bis dahin war nur die Rede davon gewesen, der
Nationalversammlung zu imponiren, jetzt ging man schon weiter und einer von
den Herren sagte: wie wär's, wenn wir in die Nationalversammlung gingen:
früher nannte man ein Rencontre kein Duell, jetzt ist ein Hand¬
streich kein Komplott. (Furchtbare Logik!) Die Visite bei den Herren Depu-
tirten wurde anfangs allgemein zurückgewiesen, man ging wieder auseinander, be¬
schloß, aber an demselben Abende, in einem Estaminet des Quartier Se. Martin
wieder zusammen zu kommen. Die Polen erschienen aber am Abende nicht, und
da man unterdeß nüchtern geworden war und eingesehen hatte, daß man höchstens
10,000 Menschen würde zusammenbringe" können, so beschloß man die Manifesta¬
tion abzubestellen. Aber es war bereits zu spät, man konnte nur einen Theil
der Arbeiter unterrichten, und so fand denn Sonnabend bereits ein Theil der
Manifestation statt. Während des Zuges hatte mau Zeit zu überlegen und zu
berathen, und so kam man denn überein, daß der Sonntag, an welchem bekannt¬
lich das große Fest stattfinden sollte, dazu zu benutzen wäre, die Nationalgarde
in die Manifestation mit hineinzuziehen. Auf diese Weise erklärt sich, warum die
ohne Zweifel gewärmte Regierung das Fest verschob. Die Nacht von Sonnabend
zu Sonntag wurde zum Schüren fleißig benutzt und man rechnete, da man auch
in der Umgegend Werbungen gemacht hatte und die Flaueurs, Neugierige und
Taugenichtse mit in Anschlag brachte, ans 200,000 Menschen. Die Nacht über


den höchsten Stellen im Staate bedacht worden ist. Unterdeß conspiriren und
protestiren die „rothen" Clubs ganz öffentlich gegen die Jnstituteurs der „zahmen"
Republik; Blanqui, Barbes, Raspail, Sobrier und ihre Freunde und Anhänger
lassen über ihre Absichten nicht den mindesten Zweifel, der Polizeipräfect warnt, räth
sogar zur Verhaftung Blanqni's, aber alte Verbindlichkeiten scheinen alle Strenge
zu verhindern. Die Nachrichten von den Niederlagen der Polen schüren unterdeß
das Feuer, hinter dessen Rauchwolke man sich versteckt, um mit Donner im Munde
und Blitz in den Taschen nach der Gesetzfabrik zu ziehen. Schon am 11. Mai
versammelten sich die Ultras in einem Estaminet am Seinekanal, um eine „Manife¬
station zur Verhinderung reactiouärer Schritte" zu veranstalten. Man überschätzte,
wie in der Regel, seine Kräfte, indem mau aus 100,000 Menschen rechnete, von
den Chefs der Arbeiter aus den Vorstädten aber erfuhr, daß auf letztere für eine
neue Revolution nicht zu zählen wäre!!

Nun kamen die Polen, die „l'rizi-es <I>i Roral" an, und brachten 77,000
Menschen in ihren Köpfen, vielleicht auch ans einem Zettel mit, ungeheure Streit¬
kräfte wurden berechnet, und ein Augenzeuge addirte mehr als eine Million Men¬
schen zusammen. Diese Summe kam den Wühlern nun selbst lächerlich übertrieben
vor, sie machten Concessionen, rednzirten ihre Mannschaft, aber die Polen waren
auch nicht zur Ansrupfnng eines einzigen Haars von ihren 77,000 Streitern zu
bringen. Man kam zu keinem Resultate und gab sich aus den andern Tag in
Montparnasse Rendezvous. Bis dahin war nur die Rede davon gewesen, der
Nationalversammlung zu imponiren, jetzt ging man schon weiter und einer von
den Herren sagte: wie wär's, wenn wir in die Nationalversammlung gingen:
früher nannte man ein Rencontre kein Duell, jetzt ist ein Hand¬
streich kein Komplott. (Furchtbare Logik!) Die Visite bei den Herren Depu-
tirten wurde anfangs allgemein zurückgewiesen, man ging wieder auseinander, be¬
schloß, aber an demselben Abende, in einem Estaminet des Quartier Se. Martin
wieder zusammen zu kommen. Die Polen erschienen aber am Abende nicht, und
da man unterdeß nüchtern geworden war und eingesehen hatte, daß man höchstens
10,000 Menschen würde zusammenbringe» können, so beschloß man die Manifesta¬
tion abzubestellen. Aber es war bereits zu spät, man konnte nur einen Theil
der Arbeiter unterrichten, und so fand denn Sonnabend bereits ein Theil der
Manifestation statt. Während des Zuges hatte mau Zeit zu überlegen und zu
berathen, und so kam man denn überein, daß der Sonntag, an welchem bekannt¬
lich das große Fest stattfinden sollte, dazu zu benutzen wäre, die Nationalgarde
in die Manifestation mit hineinzuziehen. Auf diese Weise erklärt sich, warum die
ohne Zweifel gewärmte Regierung das Fest verschob. Die Nacht von Sonnabend
zu Sonntag wurde zum Schüren fleißig benutzt und man rechnete, da man auch
in der Umgegend Werbungen gemacht hatte und die Flaueurs, Neugierige und
Taugenichtse mit in Anschlag brachte, ans 200,000 Menschen. Die Nacht über


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[0340] den höchsten Stellen im Staate bedacht worden ist. Unterdeß conspiriren und protestiren die „rothen" Clubs ganz öffentlich gegen die Jnstituteurs der „zahmen" Republik; Blanqui, Barbes, Raspail, Sobrier und ihre Freunde und Anhänger lassen über ihre Absichten nicht den mindesten Zweifel, der Polizeipräfect warnt, räth sogar zur Verhaftung Blanqni's, aber alte Verbindlichkeiten scheinen alle Strenge zu verhindern. Die Nachrichten von den Niederlagen der Polen schüren unterdeß das Feuer, hinter dessen Rauchwolke man sich versteckt, um mit Donner im Munde und Blitz in den Taschen nach der Gesetzfabrik zu ziehen. Schon am 11. Mai versammelten sich die Ultras in einem Estaminet am Seinekanal, um eine „Manife¬ station zur Verhinderung reactiouärer Schritte" zu veranstalten. Man überschätzte, wie in der Regel, seine Kräfte, indem mau aus 100,000 Menschen rechnete, von den Chefs der Arbeiter aus den Vorstädten aber erfuhr, daß auf letztere für eine neue Revolution nicht zu zählen wäre!! Nun kamen die Polen, die „l'rizi-es <I>i Roral" an, und brachten 77,000 Menschen in ihren Köpfen, vielleicht auch ans einem Zettel mit, ungeheure Streit¬ kräfte wurden berechnet, und ein Augenzeuge addirte mehr als eine Million Men¬ schen zusammen. Diese Summe kam den Wühlern nun selbst lächerlich übertrieben vor, sie machten Concessionen, rednzirten ihre Mannschaft, aber die Polen waren auch nicht zur Ansrupfnng eines einzigen Haars von ihren 77,000 Streitern zu bringen. Man kam zu keinem Resultate und gab sich aus den andern Tag in Montparnasse Rendezvous. Bis dahin war nur die Rede davon gewesen, der Nationalversammlung zu imponiren, jetzt ging man schon weiter und einer von den Herren sagte: wie wär's, wenn wir in die Nationalversammlung gingen: früher nannte man ein Rencontre kein Duell, jetzt ist ein Hand¬ streich kein Komplott. (Furchtbare Logik!) Die Visite bei den Herren Depu- tirten wurde anfangs allgemein zurückgewiesen, man ging wieder auseinander, be¬ schloß, aber an demselben Abende, in einem Estaminet des Quartier Se. Martin wieder zusammen zu kommen. Die Polen erschienen aber am Abende nicht, und da man unterdeß nüchtern geworden war und eingesehen hatte, daß man höchstens 10,000 Menschen würde zusammenbringe» können, so beschloß man die Manifesta¬ tion abzubestellen. Aber es war bereits zu spät, man konnte nur einen Theil der Arbeiter unterrichten, und so fand denn Sonnabend bereits ein Theil der Manifestation statt. Während des Zuges hatte mau Zeit zu überlegen und zu berathen, und so kam man denn überein, daß der Sonntag, an welchem bekannt¬ lich das große Fest stattfinden sollte, dazu zu benutzen wäre, die Nationalgarde in die Manifestation mit hineinzuziehen. Auf diese Weise erklärt sich, warum die ohne Zweifel gewärmte Regierung das Fest verschob. Die Nacht von Sonnabend zu Sonntag wurde zum Schüren fleißig benutzt und man rechnete, da man auch in der Umgegend Werbungen gemacht hatte und die Flaueurs, Neugierige und Taugenichtse mit in Anschlag brachte, ans 200,000 Menschen. Die Nacht über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/340>, abgerufen am 26.06.2024.