Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und seine Schule zunächst ihre Aufmerksamkeit richtete", war nicht der Kampf der
Arbeit mit dem Kapitale, sondern der Kampf der Industrie überhaupt mit dem
Müßiggange privilegirter Staude. Sie wollten, wie sie sagten, ein industriel¬
les System, d. h. sie wollten die industrielle Thätigkeit im Gegensatze zu der
uuprvduc^iven Beschäftigung des Hofes, des Adels und SoldatcnthumS befördern.
Sie wollten die Klasse der Industriellen, wohin sie Künstler und Gelehrte nicht
weniger als Gcwerbtreibende rechneten, in staatsrechtlicher Beziehung zur ersten
Klasse der Gesellschaft erhebe". Dieser Klasse sollte fortan die Regierung des
Staates anvertraut, in ihrem Geiste und Interesse die ganze Gesellschaft organisirt
werden. "Ich schreibe," sagte daher Se. Simon, "für die Industriellen gegen die
Höflinge und Adeligen, d. h. ich schreibe für die Bienen gegen die Drohnen."
Denselben Gegensatz, denselben Gedanken führte er in seiner berühmt gewordenen
Parabel aus, worin er zeigte, daß es für den Wohlstand Frankreichs durchaus
kein Unglück wäre, wenn es plötzlich alle Großbeamteu der Krone, alle Staats¬
minister, alle Marschälle, alle Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Großvicarc und
Domherren, alle Präfecten und Unterpräsecten, alle Beamten der Ministerien,
alle Richter und die 1.0,000 reichsten Grundbesitzer, welche ans adeligen Fuße
leben, verlöre. Unersetzlich dagegen würde der plötzliche Verlust der 3000 ersten
Gelehrten, Künstler und Gewerbtreibenden sein. Dieser Gegensatz der Industrie
und des privilegirten Müßiggangs, dieser Gedanke der Parabel ist beständig ma߬
gebend für die Schule geblieben. Der Ausdruck, "arbeitende Klasse," war wenig¬
stens zu Anfang den Se. Simonisten gleichbedeutend mit "industrieller Klasse,"
und als sie später durch die Konsequenzen ihrer Lehre, so wie durch die geschicht¬
liche Entwickelung des französischen Volkes gezwungen wurden, den Gegensatz des
Bürgerthums und des Proletariats zu beachten, da waren sie schon so sehr mit
einer andern Frage, mit der Frage, wie sich der Industrialismus, dem sie die
Herrschaft über die Welt erkämpfen wollten, zu den Lehren des Christenthums
verhalte, beschäftigt, daß es ihnen mehr um eine neue Religion als um die Ver¬
söhnung der Arbeit mit dem Kapitale zu thun war. Es ist bekannt, daß ihr in¬
dustrielles System gerade an dieser kirchlichen oder religiösen Frage scheiterte.
Sobald sie indeß ihren Versuchten Kampf der Materie und des Geistes, diesen
Dualismus des Christenthums durch eine neue, dem industriellen Leben unserer
Zeit entsprechende Religion zu beseitigen aufgaben, konnten sie natürlich, ohne
gegen ihr industrielles System inconsequent zu handeln, wieder Vertreter und
Professoren der Natioualvconomie werden. Denn, wie gesagt, das Ziel, was ih¬
nen von Anfang ihres Auftretens an vor Augen schwebte, war die staatsrechtliche
Herrschaft der Industrie im Allgemeinen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß
sie auch nach ihrer kirchlichen Niederlage noch so wenig Theilnahme sür die Lvhn-
frage des Socialismus an den Tag legten und sich fast ausschließlich mit der
Dr. Ä. Lafaurie. nationalöcvnvmischen Production beschäftigten.




und seine Schule zunächst ihre Aufmerksamkeit richtete», war nicht der Kampf der
Arbeit mit dem Kapitale, sondern der Kampf der Industrie überhaupt mit dem
Müßiggange privilegirter Staude. Sie wollten, wie sie sagten, ein industriel¬
les System, d. h. sie wollten die industrielle Thätigkeit im Gegensatze zu der
uuprvduc^iven Beschäftigung des Hofes, des Adels und SoldatcnthumS befördern.
Sie wollten die Klasse der Industriellen, wohin sie Künstler und Gelehrte nicht
weniger als Gcwerbtreibende rechneten, in staatsrechtlicher Beziehung zur ersten
Klasse der Gesellschaft erhebe». Dieser Klasse sollte fortan die Regierung des
Staates anvertraut, in ihrem Geiste und Interesse die ganze Gesellschaft organisirt
werden. „Ich schreibe," sagte daher Se. Simon, „für die Industriellen gegen die
Höflinge und Adeligen, d. h. ich schreibe für die Bienen gegen die Drohnen."
Denselben Gegensatz, denselben Gedanken führte er in seiner berühmt gewordenen
Parabel aus, worin er zeigte, daß es für den Wohlstand Frankreichs durchaus
kein Unglück wäre, wenn es plötzlich alle Großbeamteu der Krone, alle Staats¬
minister, alle Marschälle, alle Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Großvicarc und
Domherren, alle Präfecten und Unterpräsecten, alle Beamten der Ministerien,
alle Richter und die 1.0,000 reichsten Grundbesitzer, welche ans adeligen Fuße
leben, verlöre. Unersetzlich dagegen würde der plötzliche Verlust der 3000 ersten
Gelehrten, Künstler und Gewerbtreibenden sein. Dieser Gegensatz der Industrie
und des privilegirten Müßiggangs, dieser Gedanke der Parabel ist beständig ma߬
gebend für die Schule geblieben. Der Ausdruck, „arbeitende Klasse," war wenig¬
stens zu Anfang den Se. Simonisten gleichbedeutend mit „industrieller Klasse,"
und als sie später durch die Konsequenzen ihrer Lehre, so wie durch die geschicht¬
liche Entwickelung des französischen Volkes gezwungen wurden, den Gegensatz des
Bürgerthums und des Proletariats zu beachten, da waren sie schon so sehr mit
einer andern Frage, mit der Frage, wie sich der Industrialismus, dem sie die
Herrschaft über die Welt erkämpfen wollten, zu den Lehren des Christenthums
verhalte, beschäftigt, daß es ihnen mehr um eine neue Religion als um die Ver¬
söhnung der Arbeit mit dem Kapitale zu thun war. Es ist bekannt, daß ihr in¬
dustrielles System gerade an dieser kirchlichen oder religiösen Frage scheiterte.
Sobald sie indeß ihren Versuchten Kampf der Materie und des Geistes, diesen
Dualismus des Christenthums durch eine neue, dem industriellen Leben unserer
Zeit entsprechende Religion zu beseitigen aufgaben, konnten sie natürlich, ohne
gegen ihr industrielles System inconsequent zu handeln, wieder Vertreter und
Professoren der Natioualvconomie werden. Denn, wie gesagt, das Ziel, was ih¬
nen von Anfang ihres Auftretens an vor Augen schwebte, war die staatsrechtliche
Herrschaft der Industrie im Allgemeinen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß
sie auch nach ihrer kirchlichen Niederlage noch so wenig Theilnahme sür die Lvhn-
frage des Socialismus an den Tag legten und sich fast ausschließlich mit der
Dr. Ä. Lafaurie. nationalöcvnvmischen Production beschäftigten.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276532"/>
          <p xml:id="ID_1132" prev="#ID_1131"> und seine Schule zunächst ihre Aufmerksamkeit richtete», war nicht der Kampf der<lb/>
Arbeit mit dem Kapitale, sondern der Kampf der Industrie überhaupt mit dem<lb/>
Müßiggange privilegirter Staude. Sie wollten, wie sie sagten, ein industriel¬<lb/>
les System, d. h. sie wollten die industrielle Thätigkeit im Gegensatze zu der<lb/>
uuprvduc^iven Beschäftigung des Hofes, des Adels und SoldatcnthumS befördern.<lb/>
Sie wollten die Klasse der Industriellen, wohin sie Künstler und Gelehrte nicht<lb/>
weniger als Gcwerbtreibende rechneten, in staatsrechtlicher Beziehung zur ersten<lb/>
Klasse der Gesellschaft erhebe». Dieser Klasse sollte fortan die Regierung des<lb/>
Staates anvertraut, in ihrem Geiste und Interesse die ganze Gesellschaft organisirt<lb/>
werden. &#x201E;Ich schreibe," sagte daher Se. Simon, &#x201E;für die Industriellen gegen die<lb/>
Höflinge und Adeligen, d. h. ich schreibe für die Bienen gegen die Drohnen."<lb/>
Denselben Gegensatz, denselben Gedanken führte er in seiner berühmt gewordenen<lb/>
Parabel aus, worin er zeigte, daß es für den Wohlstand Frankreichs durchaus<lb/>
kein Unglück wäre, wenn es plötzlich alle Großbeamteu der Krone, alle Staats¬<lb/>
minister, alle Marschälle, alle Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Großvicarc und<lb/>
Domherren, alle Präfecten und Unterpräsecten, alle Beamten der Ministerien,<lb/>
alle Richter und die 1.0,000 reichsten Grundbesitzer, welche ans adeligen Fuße<lb/>
leben, verlöre. Unersetzlich dagegen würde der plötzliche Verlust der 3000 ersten<lb/>
Gelehrten, Künstler und Gewerbtreibenden sein. Dieser Gegensatz der Industrie<lb/>
und des privilegirten Müßiggangs, dieser Gedanke der Parabel ist beständig ma߬<lb/>
gebend für die Schule geblieben. Der Ausdruck, &#x201E;arbeitende Klasse," war wenig¬<lb/>
stens zu Anfang den Se. Simonisten gleichbedeutend mit &#x201E;industrieller Klasse,"<lb/>
und als sie später durch die Konsequenzen ihrer Lehre, so wie durch die geschicht¬<lb/>
liche Entwickelung des französischen Volkes gezwungen wurden, den Gegensatz des<lb/>
Bürgerthums und des Proletariats zu beachten, da waren sie schon so sehr mit<lb/>
einer andern Frage, mit der Frage, wie sich der Industrialismus, dem sie die<lb/>
Herrschaft über die Welt erkämpfen wollten, zu den Lehren des Christenthums<lb/>
verhalte, beschäftigt, daß es ihnen mehr um eine neue Religion als um die Ver¬<lb/>
söhnung der Arbeit mit dem Kapitale zu thun war. Es ist bekannt, daß ihr in¬<lb/>
dustrielles System gerade an dieser kirchlichen oder religiösen Frage scheiterte.<lb/>
Sobald sie indeß ihren Versuchten Kampf der Materie und des Geistes, diesen<lb/>
Dualismus des Christenthums durch eine neue, dem industriellen Leben unserer<lb/>
Zeit entsprechende Religion zu beseitigen aufgaben, konnten sie natürlich, ohne<lb/>
gegen ihr industrielles System inconsequent zu handeln, wieder Vertreter und<lb/>
Professoren der Natioualvconomie werden. Denn, wie gesagt, das Ziel, was ih¬<lb/>
nen von Anfang ihres Auftretens an vor Augen schwebte, war die staatsrechtliche<lb/>
Herrschaft der Industrie im Allgemeinen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß<lb/>
sie auch nach ihrer kirchlichen Niederlage noch so wenig Theilnahme sür die Lvhn-<lb/>
frage des Socialismus an den Tag legten und sich fast ausschließlich mit der<lb/><note type="byline"> Dr. Ä. Lafaurie.</note> nationalöcvnvmischen Production beschäftigten. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0326] und seine Schule zunächst ihre Aufmerksamkeit richtete», war nicht der Kampf der Arbeit mit dem Kapitale, sondern der Kampf der Industrie überhaupt mit dem Müßiggange privilegirter Staude. Sie wollten, wie sie sagten, ein industriel¬ les System, d. h. sie wollten die industrielle Thätigkeit im Gegensatze zu der uuprvduc^iven Beschäftigung des Hofes, des Adels und SoldatcnthumS befördern. Sie wollten die Klasse der Industriellen, wohin sie Künstler und Gelehrte nicht weniger als Gcwerbtreibende rechneten, in staatsrechtlicher Beziehung zur ersten Klasse der Gesellschaft erhebe». Dieser Klasse sollte fortan die Regierung des Staates anvertraut, in ihrem Geiste und Interesse die ganze Gesellschaft organisirt werden. „Ich schreibe," sagte daher Se. Simon, „für die Industriellen gegen die Höflinge und Adeligen, d. h. ich schreibe für die Bienen gegen die Drohnen." Denselben Gegensatz, denselben Gedanken führte er in seiner berühmt gewordenen Parabel aus, worin er zeigte, daß es für den Wohlstand Frankreichs durchaus kein Unglück wäre, wenn es plötzlich alle Großbeamteu der Krone, alle Staats¬ minister, alle Marschälle, alle Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Großvicarc und Domherren, alle Präfecten und Unterpräsecten, alle Beamten der Ministerien, alle Richter und die 1.0,000 reichsten Grundbesitzer, welche ans adeligen Fuße leben, verlöre. Unersetzlich dagegen würde der plötzliche Verlust der 3000 ersten Gelehrten, Künstler und Gewerbtreibenden sein. Dieser Gegensatz der Industrie und des privilegirten Müßiggangs, dieser Gedanke der Parabel ist beständig ma߬ gebend für die Schule geblieben. Der Ausdruck, „arbeitende Klasse," war wenig¬ stens zu Anfang den Se. Simonisten gleichbedeutend mit „industrieller Klasse," und als sie später durch die Konsequenzen ihrer Lehre, so wie durch die geschicht¬ liche Entwickelung des französischen Volkes gezwungen wurden, den Gegensatz des Bürgerthums und des Proletariats zu beachten, da waren sie schon so sehr mit einer andern Frage, mit der Frage, wie sich der Industrialismus, dem sie die Herrschaft über die Welt erkämpfen wollten, zu den Lehren des Christenthums verhalte, beschäftigt, daß es ihnen mehr um eine neue Religion als um die Ver¬ söhnung der Arbeit mit dem Kapitale zu thun war. Es ist bekannt, daß ihr in¬ dustrielles System gerade an dieser kirchlichen oder religiösen Frage scheiterte. Sobald sie indeß ihren Versuchten Kampf der Materie und des Geistes, diesen Dualismus des Christenthums durch eine neue, dem industriellen Leben unserer Zeit entsprechende Religion zu beseitigen aufgaben, konnten sie natürlich, ohne gegen ihr industrielles System inconsequent zu handeln, wieder Vertreter und Professoren der Natioualvconomie werden. Denn, wie gesagt, das Ziel, was ih¬ nen von Anfang ihres Auftretens an vor Augen schwebte, war die staatsrechtliche Herrschaft der Industrie im Allgemeinen. Es ist daher nicht zu verwundern, daß sie auch nach ihrer kirchlichen Niederlage noch so wenig Theilnahme sür die Lvhn- frage des Socialismus an den Tag legten und sich fast ausschließlich mit der Dr. Ä. Lafaurie. nationalöcvnvmischen Production beschäftigten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/326
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/326>, abgerufen am 26.06.2024.