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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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(der Ausnahmen sind wenige) dem Volke die Konstitution mit allen ihren Folge¬
rungen z. B. National-, Preß- und Glaubensfreiheit, als ein Werk des Verder¬
bens, das die Religion stürzen, die Vätersitten vernichten und die letzten Freihei¬
ten, das letzte Gut-Tirolische im Lande austilgen würde. Wir verweisen ans die
Flugschriften und Zeitungserlasse der Partei, darnach mag man ihre Predigten,
Beichtermtthnungen und ihre weitere Einflußnahme auf das Volk beurtheilen. --
Und was fanden die neuen Staatslenker für ein östreichisches Bewußtsein vor, als
sie das Tirolervolk aufboten gegen die Italiener? In den welschen Kreisen viel¬
fach die offene Theilnahme, fast allgemein die heimliche für die Sache der ?>a-
telli ^omlillräl, -- und in den deutschen die bittere Stimmung eines Volkes,
das über seiner Frömmigkeit nicht übersehen hat, wie wenig es dabei an irdischen
Dingen gediehen ist und wie es vorerst fordern könne, ehe es nenerdings geben
werde. Man schreibe die endlich erfolgte Erhebung zur Abwehr der Feinde nicht
dem Wunsche zu, die Monarchie, die Großmacht retten zu helfen. Das Volks¬
bewußtsein ist in diesem Factum rein tirolisch, -- Heimath und Kaiser -- die
Vaterlandsliebe und gewohnte Anhänglichkeit an die Dynastie sind seine Hebel;
abgesehen davon, daß Etliche auch an Deutschland denken, Männer jener kleinen
Schaar, die bisher von den Theokraten Tirols Feindin des Staates genannt
wurde und nun ein volles Recht hat, die Spitze dieser Bezeichnung umzuwenden.

Die Geschichte bezeugt somit bis zu dieser Stunde im tirolischen Volksleben
nirgend das Vorhandensein eines organischen, unabweisbaren Zusammenhanges
mit der Monarchie der Wiener Staatskünstler. Soll derselbe auf der Landkarte,
in der Stammverwandtschaft der Bewohner, in den Vcrkehrsbedürfnissen gesucht
werden? Tirol ist der Eckstein des Hauses, im Südwest weit vorgeschoben, im
schwächsten Verband mit dem Kernland an der Donau, der kürzeste Weg von
Wien führt zum Theil selbst durch fremdes Gebiet. Nach der Lostrennung der
Lombardei und Venedigs fehlt der ganze südliche Stützpunkt, es hängt das Land
frei in der Luft an den dünnen Bändern von zwei bis drei Straßen nach Salz¬
burg und Kärnthen. Die Wasserwege des Jnn und der Etsch werden erst jen¬
seits der Grenze bedeutend. Die bojoarischen Bewohner am untern Jnn und im
Pusterthal, die Alemannischen am Lech und jenseits des Arlberges, das Volk an
der Etsch, die Welschen von Trient und Roveredo werden die Landsmannschaft
des Wieners oder Böhmen auch fürder so wenig beanspruchen, als sie bisher mit
dem Titel eines "Oestreichers" sparsam umgegangen sind. Und die Beziehungen
des Verkehrs? Holen wir unser Brot, schaffen wir Weine, Seide, Salz, Holz
von und nach Osten? Gehen dorthin die Hauptzüge unsers Handels, müssen dort
unsere Eisenbahnen einmal münden? Das kleine Alpenland war für den Großstaat
nicht mehr und weniger als ein militärisch unentbehrlicher Punkt. Darin lag der
ganze Werth; man besaß eine Festung mit einer Garnison, so tüchtig wie die
neunzehn Steyrer im Pulverthurm zu Venedig. Als Oberitalien noch zum Ganzen


(der Ausnahmen sind wenige) dem Volke die Konstitution mit allen ihren Folge¬
rungen z. B. National-, Preß- und Glaubensfreiheit, als ein Werk des Verder¬
bens, das die Religion stürzen, die Vätersitten vernichten und die letzten Freihei¬
ten, das letzte Gut-Tirolische im Lande austilgen würde. Wir verweisen ans die
Flugschriften und Zeitungserlasse der Partei, darnach mag man ihre Predigten,
Beichtermtthnungen und ihre weitere Einflußnahme auf das Volk beurtheilen. —
Und was fanden die neuen Staatslenker für ein östreichisches Bewußtsein vor, als
sie das Tirolervolk aufboten gegen die Italiener? In den welschen Kreisen viel¬
fach die offene Theilnahme, fast allgemein die heimliche für die Sache der ?>a-
telli ^omlillräl, — und in den deutschen die bittere Stimmung eines Volkes,
das über seiner Frömmigkeit nicht übersehen hat, wie wenig es dabei an irdischen
Dingen gediehen ist und wie es vorerst fordern könne, ehe es nenerdings geben
werde. Man schreibe die endlich erfolgte Erhebung zur Abwehr der Feinde nicht
dem Wunsche zu, die Monarchie, die Großmacht retten zu helfen. Das Volks¬
bewußtsein ist in diesem Factum rein tirolisch, — Heimath und Kaiser — die
Vaterlandsliebe und gewohnte Anhänglichkeit an die Dynastie sind seine Hebel;
abgesehen davon, daß Etliche auch an Deutschland denken, Männer jener kleinen
Schaar, die bisher von den Theokraten Tirols Feindin des Staates genannt
wurde und nun ein volles Recht hat, die Spitze dieser Bezeichnung umzuwenden.

Die Geschichte bezeugt somit bis zu dieser Stunde im tirolischen Volksleben
nirgend das Vorhandensein eines organischen, unabweisbaren Zusammenhanges
mit der Monarchie der Wiener Staatskünstler. Soll derselbe auf der Landkarte,
in der Stammverwandtschaft der Bewohner, in den Vcrkehrsbedürfnissen gesucht
werden? Tirol ist der Eckstein des Hauses, im Südwest weit vorgeschoben, im
schwächsten Verband mit dem Kernland an der Donau, der kürzeste Weg von
Wien führt zum Theil selbst durch fremdes Gebiet. Nach der Lostrennung der
Lombardei und Venedigs fehlt der ganze südliche Stützpunkt, es hängt das Land
frei in der Luft an den dünnen Bändern von zwei bis drei Straßen nach Salz¬
burg und Kärnthen. Die Wasserwege des Jnn und der Etsch werden erst jen¬
seits der Grenze bedeutend. Die bojoarischen Bewohner am untern Jnn und im
Pusterthal, die Alemannischen am Lech und jenseits des Arlberges, das Volk an
der Etsch, die Welschen von Trient und Roveredo werden die Landsmannschaft
des Wieners oder Böhmen auch fürder so wenig beanspruchen, als sie bisher mit
dem Titel eines „Oestreichers" sparsam umgegangen sind. Und die Beziehungen
des Verkehrs? Holen wir unser Brot, schaffen wir Weine, Seide, Salz, Holz
von und nach Osten? Gehen dorthin die Hauptzüge unsers Handels, müssen dort
unsere Eisenbahnen einmal münden? Das kleine Alpenland war für den Großstaat
nicht mehr und weniger als ein militärisch unentbehrlicher Punkt. Darin lag der
ganze Werth; man besaß eine Festung mit einer Garnison, so tüchtig wie die
neunzehn Steyrer im Pulverthurm zu Venedig. Als Oberitalien noch zum Ganzen


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[0308] (der Ausnahmen sind wenige) dem Volke die Konstitution mit allen ihren Folge¬ rungen z. B. National-, Preß- und Glaubensfreiheit, als ein Werk des Verder¬ bens, das die Religion stürzen, die Vätersitten vernichten und die letzten Freihei¬ ten, das letzte Gut-Tirolische im Lande austilgen würde. Wir verweisen ans die Flugschriften und Zeitungserlasse der Partei, darnach mag man ihre Predigten, Beichtermtthnungen und ihre weitere Einflußnahme auf das Volk beurtheilen. — Und was fanden die neuen Staatslenker für ein östreichisches Bewußtsein vor, als sie das Tirolervolk aufboten gegen die Italiener? In den welschen Kreisen viel¬ fach die offene Theilnahme, fast allgemein die heimliche für die Sache der ?>a- telli ^omlillräl, — und in den deutschen die bittere Stimmung eines Volkes, das über seiner Frömmigkeit nicht übersehen hat, wie wenig es dabei an irdischen Dingen gediehen ist und wie es vorerst fordern könne, ehe es nenerdings geben werde. Man schreibe die endlich erfolgte Erhebung zur Abwehr der Feinde nicht dem Wunsche zu, die Monarchie, die Großmacht retten zu helfen. Das Volks¬ bewußtsein ist in diesem Factum rein tirolisch, — Heimath und Kaiser — die Vaterlandsliebe und gewohnte Anhänglichkeit an die Dynastie sind seine Hebel; abgesehen davon, daß Etliche auch an Deutschland denken, Männer jener kleinen Schaar, die bisher von den Theokraten Tirols Feindin des Staates genannt wurde und nun ein volles Recht hat, die Spitze dieser Bezeichnung umzuwenden. Die Geschichte bezeugt somit bis zu dieser Stunde im tirolischen Volksleben nirgend das Vorhandensein eines organischen, unabweisbaren Zusammenhanges mit der Monarchie der Wiener Staatskünstler. Soll derselbe auf der Landkarte, in der Stammverwandtschaft der Bewohner, in den Vcrkehrsbedürfnissen gesucht werden? Tirol ist der Eckstein des Hauses, im Südwest weit vorgeschoben, im schwächsten Verband mit dem Kernland an der Donau, der kürzeste Weg von Wien führt zum Theil selbst durch fremdes Gebiet. Nach der Lostrennung der Lombardei und Venedigs fehlt der ganze südliche Stützpunkt, es hängt das Land frei in der Luft an den dünnen Bändern von zwei bis drei Straßen nach Salz¬ burg und Kärnthen. Die Wasserwege des Jnn und der Etsch werden erst jen¬ seits der Grenze bedeutend. Die bojoarischen Bewohner am untern Jnn und im Pusterthal, die Alemannischen am Lech und jenseits des Arlberges, das Volk an der Etsch, die Welschen von Trient und Roveredo werden die Landsmannschaft des Wieners oder Böhmen auch fürder so wenig beanspruchen, als sie bisher mit dem Titel eines „Oestreichers" sparsam umgegangen sind. Und die Beziehungen des Verkehrs? Holen wir unser Brot, schaffen wir Weine, Seide, Salz, Holz von und nach Osten? Gehen dorthin die Hauptzüge unsers Handels, müssen dort unsere Eisenbahnen einmal münden? Das kleine Alpenland war für den Großstaat nicht mehr und weniger als ein militärisch unentbehrlicher Punkt. Darin lag der ganze Werth; man besaß eine Festung mit einer Garnison, so tüchtig wie die neunzehn Steyrer im Pulverthurm zu Venedig. Als Oberitalien noch zum Ganzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/308>, abgerufen am 26.06.2024.