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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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hervorriefen für ein selbstständiges Tirol, -- die "helvetisirenden Tendenzen", wie
Hormayr sagte, und für die Rückkehr zu Oestreich. Die alte liebe Gewohnheit
rief voll Hoffnung den alten Zustand zurück, -- dafür war man in Wien fest
gesonnen, Tirol als Eroberung zu erklären und mit Eifer ging man daran, es
mit der Großmachtsidee von neuem vertraut zu machen. Um hier auf finanziellem
und politischem Wege freier wirken zu können, mußte dem Provinzialismus tiroli¬
scher Wünsche und Erwartungen eine andere Richtung gegeben werden. Man ließ
einen Separatismus Tirols gelten, man machte ihm Zugeständnisse, es geschah
dies in einer Weise, die von den andern Ländern mitunter im vollen Rechte nicht
zum freundlichsten aufgenommen wurde; dennoch waren der eigentlichen fühlbaren
Begünstigungen wenige. Dagegen hatte man ein Sträßlein gefunden, wo die
Sonderinteressen des Landes mit jenen des Systems in gleichem Gleise gingen.
Die Wiederherstellung seiner von Baiern so unklug verletzten religiösen Verhält¬
nisse hatte Tirol zumeist von Oestreich erwartet und um so lieber ward sie in
vollem Maße gegeben, als man sich zu den Nestaurirten in Zellen und Capiteln
geneigter Gegendienste versah. Der alte, eingeborne Trieb, sich nicht in die Ge-
sammtmasse aufgehen zu lassen, mußte nun um so eifriger auf dem ihm vergönnten
Felde arbeiten, da man ihm jede andere Seite volksthümlicher Selbstthätigkeit
unterband. Beinahe gleicht uns dieses heilige Grundstück dem Acker des Töpfers,
der mit den Silberlingen Ischarioth erkauft wurde. Wann immer in Tirol sich
ein Widerstand regte gegen centralisirende Maßnahmen, gebrauchten die Wiener
Herren die Sprüchlein der bewährten braunen Geisterbanner. Den Sturm gegen
die Verzehrungssteuer beschworen sie z. B. mit dem Zugeständnisse des Wetter-
läutens und der abgeschafften Feiertage. Nur Eines hatten sie vergessen, daß
Opposition dieselbe bleibt in jedem Costüme, auch in Talar und Kutte. Die
nationelle Eigenrichtuug des Tirolers war gezwungen worden, sich in der Form
des religiösen Bedürfnisses zu äußern und naturgemäß mußten seine Stimmführer
nun die vollste Färbung dieser Richtung annehmen. Der Umstand, daß mit den
letzten zehn Jahren die Landesbehörde durch ihren Chef in die Reihen der Partei
trat, die seine Vorgänger wohl ertragen, doch nicht getragen hatten, -- hob nun
zwar im Lande selbst die Opposition auf, brachte aber dasselbe und sein Guber-
nium mit inbegriffen in eine absolute Sonderstellung zu dem Wiener Regimente.
Dorten hatte man die Statuten der Societät Jesu noch nicht als politisches Pro¬
gramm proclamirt, wie zu Innsbruck. Der Separatismus Tirols ist seitdem in
Potcnzirter Weise im Ultramontanismus aufgegangen und das wurzellose Pflänz-
chen der gesammtmonarchischen Idee ward überwuchert von den Hysopstauden des
Lcvitcnthnms. Diese Wahrheit ist in unsern Tagen den Leitern östreichischer
Dinge vollwichtig in die Hand gegeben worden. Keine Provinz protestirte durch
offenbare Reaction gegen die neue Richtung der Regierung, wie Tirol. Seine
einzig anerkannten, noch in Kraft bestehenden Gewalthaber, die Priester, verkünden


Grenzboten. II. Is4S. 39

hervorriefen für ein selbstständiges Tirol, — die „helvetisirenden Tendenzen", wie
Hormayr sagte, und für die Rückkehr zu Oestreich. Die alte liebe Gewohnheit
rief voll Hoffnung den alten Zustand zurück, — dafür war man in Wien fest
gesonnen, Tirol als Eroberung zu erklären und mit Eifer ging man daran, es
mit der Großmachtsidee von neuem vertraut zu machen. Um hier auf finanziellem
und politischem Wege freier wirken zu können, mußte dem Provinzialismus tiroli¬
scher Wünsche und Erwartungen eine andere Richtung gegeben werden. Man ließ
einen Separatismus Tirols gelten, man machte ihm Zugeständnisse, es geschah
dies in einer Weise, die von den andern Ländern mitunter im vollen Rechte nicht
zum freundlichsten aufgenommen wurde; dennoch waren der eigentlichen fühlbaren
Begünstigungen wenige. Dagegen hatte man ein Sträßlein gefunden, wo die
Sonderinteressen des Landes mit jenen des Systems in gleichem Gleise gingen.
Die Wiederherstellung seiner von Baiern so unklug verletzten religiösen Verhält¬
nisse hatte Tirol zumeist von Oestreich erwartet und um so lieber ward sie in
vollem Maße gegeben, als man sich zu den Nestaurirten in Zellen und Capiteln
geneigter Gegendienste versah. Der alte, eingeborne Trieb, sich nicht in die Ge-
sammtmasse aufgehen zu lassen, mußte nun um so eifriger auf dem ihm vergönnten
Felde arbeiten, da man ihm jede andere Seite volksthümlicher Selbstthätigkeit
unterband. Beinahe gleicht uns dieses heilige Grundstück dem Acker des Töpfers,
der mit den Silberlingen Ischarioth erkauft wurde. Wann immer in Tirol sich
ein Widerstand regte gegen centralisirende Maßnahmen, gebrauchten die Wiener
Herren die Sprüchlein der bewährten braunen Geisterbanner. Den Sturm gegen
die Verzehrungssteuer beschworen sie z. B. mit dem Zugeständnisse des Wetter-
läutens und der abgeschafften Feiertage. Nur Eines hatten sie vergessen, daß
Opposition dieselbe bleibt in jedem Costüme, auch in Talar und Kutte. Die
nationelle Eigenrichtuug des Tirolers war gezwungen worden, sich in der Form
des religiösen Bedürfnisses zu äußern und naturgemäß mußten seine Stimmführer
nun die vollste Färbung dieser Richtung annehmen. Der Umstand, daß mit den
letzten zehn Jahren die Landesbehörde durch ihren Chef in die Reihen der Partei
trat, die seine Vorgänger wohl ertragen, doch nicht getragen hatten, — hob nun
zwar im Lande selbst die Opposition auf, brachte aber dasselbe und sein Guber-
nium mit inbegriffen in eine absolute Sonderstellung zu dem Wiener Regimente.
Dorten hatte man die Statuten der Societät Jesu noch nicht als politisches Pro¬
gramm proclamirt, wie zu Innsbruck. Der Separatismus Tirols ist seitdem in
Potcnzirter Weise im Ultramontanismus aufgegangen und das wurzellose Pflänz-
chen der gesammtmonarchischen Idee ward überwuchert von den Hysopstauden des
Lcvitcnthnms. Diese Wahrheit ist in unsern Tagen den Leitern östreichischer
Dinge vollwichtig in die Hand gegeben worden. Keine Provinz protestirte durch
offenbare Reaction gegen die neue Richtung der Regierung, wie Tirol. Seine
einzig anerkannten, noch in Kraft bestehenden Gewalthaber, die Priester, verkünden


Grenzboten. II. Is4S. 39
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[0307] hervorriefen für ein selbstständiges Tirol, — die „helvetisirenden Tendenzen", wie Hormayr sagte, und für die Rückkehr zu Oestreich. Die alte liebe Gewohnheit rief voll Hoffnung den alten Zustand zurück, — dafür war man in Wien fest gesonnen, Tirol als Eroberung zu erklären und mit Eifer ging man daran, es mit der Großmachtsidee von neuem vertraut zu machen. Um hier auf finanziellem und politischem Wege freier wirken zu können, mußte dem Provinzialismus tiroli¬ scher Wünsche und Erwartungen eine andere Richtung gegeben werden. Man ließ einen Separatismus Tirols gelten, man machte ihm Zugeständnisse, es geschah dies in einer Weise, die von den andern Ländern mitunter im vollen Rechte nicht zum freundlichsten aufgenommen wurde; dennoch waren der eigentlichen fühlbaren Begünstigungen wenige. Dagegen hatte man ein Sträßlein gefunden, wo die Sonderinteressen des Landes mit jenen des Systems in gleichem Gleise gingen. Die Wiederherstellung seiner von Baiern so unklug verletzten religiösen Verhält¬ nisse hatte Tirol zumeist von Oestreich erwartet und um so lieber ward sie in vollem Maße gegeben, als man sich zu den Nestaurirten in Zellen und Capiteln geneigter Gegendienste versah. Der alte, eingeborne Trieb, sich nicht in die Ge- sammtmasse aufgehen zu lassen, mußte nun um so eifriger auf dem ihm vergönnten Felde arbeiten, da man ihm jede andere Seite volksthümlicher Selbstthätigkeit unterband. Beinahe gleicht uns dieses heilige Grundstück dem Acker des Töpfers, der mit den Silberlingen Ischarioth erkauft wurde. Wann immer in Tirol sich ein Widerstand regte gegen centralisirende Maßnahmen, gebrauchten die Wiener Herren die Sprüchlein der bewährten braunen Geisterbanner. Den Sturm gegen die Verzehrungssteuer beschworen sie z. B. mit dem Zugeständnisse des Wetter- läutens und der abgeschafften Feiertage. Nur Eines hatten sie vergessen, daß Opposition dieselbe bleibt in jedem Costüme, auch in Talar und Kutte. Die nationelle Eigenrichtuug des Tirolers war gezwungen worden, sich in der Form des religiösen Bedürfnisses zu äußern und naturgemäß mußten seine Stimmführer nun die vollste Färbung dieser Richtung annehmen. Der Umstand, daß mit den letzten zehn Jahren die Landesbehörde durch ihren Chef in die Reihen der Partei trat, die seine Vorgänger wohl ertragen, doch nicht getragen hatten, — hob nun zwar im Lande selbst die Opposition auf, brachte aber dasselbe und sein Guber- nium mit inbegriffen in eine absolute Sonderstellung zu dem Wiener Regimente. Dorten hatte man die Statuten der Societät Jesu noch nicht als politisches Pro¬ gramm proclamirt, wie zu Innsbruck. Der Separatismus Tirols ist seitdem in Potcnzirter Weise im Ultramontanismus aufgegangen und das wurzellose Pflänz- chen der gesammtmonarchischen Idee ward überwuchert von den Hysopstauden des Lcvitcnthnms. Diese Wahrheit ist in unsern Tagen den Leitern östreichischer Dinge vollwichtig in die Hand gegeben worden. Keine Provinz protestirte durch offenbare Reaction gegen die neue Richtung der Regierung, wie Tirol. Seine einzig anerkannten, noch in Kraft bestehenden Gewalthaber, die Priester, verkünden Grenzboten. II. Is4S. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/307>, abgerufen am 26.06.2024.