Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Leopold I. konnte nicht ein Graf von Tirol werden, wie ihn das Land bedürfte,
darum machte er eine Provinz aus demselben wie er sie brauchen konnte. Die
Idee der Großmacht Oestreich, der Gesammtmouarchie, ward damals zu Faden
geschlagen, aber noch nirgend affigirt. So wie sie austauchte, begaun bereits
das centrifugale Bestreben ihrer Bestandtheile, das heutzutage in die äußersten
Stadien eingetreten ist, bis wohin der Einfluß des Mittelpunktes auf Null herab¬
sinkt. Die frühere Unabhängigkeit Tirols, seitdem in den Ständen radizirt, konnte
neben dem Einignugssystem nicht geduldet werden, man mußte sie zur Illusion
herabwürdigen. Dies Bestreben, wenn man will, kann man den östreichischen
Gedanken in unserer Geschichte nennen. Und nun der Kampf der Vertretung mit
dem Gubernialwesen, immer fruchtlos, doch unablässig geführt von 1684 bis
1805, -- ein stetes Berufen auf Rechte und Freiheiten, ein Verwahren und Vor¬
behalten einerseits, ein consequentes Uebergreifen, Makeln, Scheingcwähren und
Versprechen anderseits. Die tirolische Selbstständigkeit ließ man nur dann gelten,
wenn die östreichische Macht daran war, neben der Centralidee auch das Land
aufgeben zu müssen. Immer noch hat sich Tirol selbst für Oestreich gerettet. So
ward das Jahr 1708 ein herrliches Blatt der Landeschronik. Aus der Noth und
dem sichern, Untergang, zu welchem ihm seine Oberherren verhalfen, ging Tirol
hervor durch eigene Thatkraft und legte sich dann in alter Treue dem Kaiser zu
Füßen. So stritt es für Maria Theresia, für Kaiser Joseph, und beide hatten
am wenigsten seine Eigcnrechte geschont, seine alte Sonderstellung anerkannt.
Leopold l. mußte wieder einlenken. Der Landtag von 1790 erinnerte die Wiener
Kanzleien, daß man nicht so fest Provinz als Erbland sei und die Freiheiten
waren wieder errungen, um in anderer Weise paralysirt zu werden. Die Kriege
kamen, -- für den Kaiser trat Tirol wieder in die Schanze, sein Regiment aber
blieb als des Landes Unheil anerkannt und nicht durch deu Feind, durch sich selbst
verlor Oestreich das getreue Ländchen. Die bairische Herrschaft brachte uns das
Jahr 180!". Nicht wie, sondern daß Tirol den Kampf aufnahm für die verlorene
Sache einer niemals ersprießlichen Herrschaft, wird einmal die Geschichte zu rüh¬
men wissen. Doch die Fürsten waren ja geliebt, der Kaiser war zu erfechten, und
welches Volk hatte es je besser verstanden, die Dynastie zu trennen von der Ver¬
antwortlichkeit für das in ihrem Namen Geschehene, als die Deutschen, -- die
Tiroler aber sind Deutsche vom besten Schlage! Nicht der Diplomaten-Gedanke
der "Gesammtmonarchie" ließ diese Handvoll Schützen über erprobte Heere und
Marschälle siegen, das Tirolerthum hat es gethan. Die erbeigcuen Grundlagen
des Volksthums waren der Amboß, ans dem die Waffen zu diesem Hirteukriege
geschmiedet wurden. Sie brachen nicht, als auch Kaiserworte nicht mehr fest genug
waren, um in den Händen der "Verhältnisse und Umstände" nicht zu zerbrechen,
und bis zum Verbluten fochten die Aufgegebenen für deu Doppelglaubcu an Gott
und Fürst. Es wäre" dieselben Triebfedern, die im Jahre 181 die Chancen


Leopold I. konnte nicht ein Graf von Tirol werden, wie ihn das Land bedürfte,
darum machte er eine Provinz aus demselben wie er sie brauchen konnte. Die
Idee der Großmacht Oestreich, der Gesammtmouarchie, ward damals zu Faden
geschlagen, aber noch nirgend affigirt. So wie sie austauchte, begaun bereits
das centrifugale Bestreben ihrer Bestandtheile, das heutzutage in die äußersten
Stadien eingetreten ist, bis wohin der Einfluß des Mittelpunktes auf Null herab¬
sinkt. Die frühere Unabhängigkeit Tirols, seitdem in den Ständen radizirt, konnte
neben dem Einignugssystem nicht geduldet werden, man mußte sie zur Illusion
herabwürdigen. Dies Bestreben, wenn man will, kann man den östreichischen
Gedanken in unserer Geschichte nennen. Und nun der Kampf der Vertretung mit
dem Gubernialwesen, immer fruchtlos, doch unablässig geführt von 1684 bis
1805, — ein stetes Berufen auf Rechte und Freiheiten, ein Verwahren und Vor¬
behalten einerseits, ein consequentes Uebergreifen, Makeln, Scheingcwähren und
Versprechen anderseits. Die tirolische Selbstständigkeit ließ man nur dann gelten,
wenn die östreichische Macht daran war, neben der Centralidee auch das Land
aufgeben zu müssen. Immer noch hat sich Tirol selbst für Oestreich gerettet. So
ward das Jahr 1708 ein herrliches Blatt der Landeschronik. Aus der Noth und
dem sichern, Untergang, zu welchem ihm seine Oberherren verhalfen, ging Tirol
hervor durch eigene Thatkraft und legte sich dann in alter Treue dem Kaiser zu
Füßen. So stritt es für Maria Theresia, für Kaiser Joseph, und beide hatten
am wenigsten seine Eigcnrechte geschont, seine alte Sonderstellung anerkannt.
Leopold l. mußte wieder einlenken. Der Landtag von 1790 erinnerte die Wiener
Kanzleien, daß man nicht so fest Provinz als Erbland sei und die Freiheiten
waren wieder errungen, um in anderer Weise paralysirt zu werden. Die Kriege
kamen, — für den Kaiser trat Tirol wieder in die Schanze, sein Regiment aber
blieb als des Landes Unheil anerkannt und nicht durch deu Feind, durch sich selbst
verlor Oestreich das getreue Ländchen. Die bairische Herrschaft brachte uns das
Jahr 180!». Nicht wie, sondern daß Tirol den Kampf aufnahm für die verlorene
Sache einer niemals ersprießlichen Herrschaft, wird einmal die Geschichte zu rüh¬
men wissen. Doch die Fürsten waren ja geliebt, der Kaiser war zu erfechten, und
welches Volk hatte es je besser verstanden, die Dynastie zu trennen von der Ver¬
antwortlichkeit für das in ihrem Namen Geschehene, als die Deutschen, — die
Tiroler aber sind Deutsche vom besten Schlage! Nicht der Diplomaten-Gedanke
der „Gesammtmonarchie" ließ diese Handvoll Schützen über erprobte Heere und
Marschälle siegen, das Tirolerthum hat es gethan. Die erbeigcuen Grundlagen
des Volksthums waren der Amboß, ans dem die Waffen zu diesem Hirteukriege
geschmiedet wurden. Sie brachen nicht, als auch Kaiserworte nicht mehr fest genug
waren, um in den Händen der „Verhältnisse und Umstände" nicht zu zerbrechen,
und bis zum Verbluten fochten die Aufgegebenen für deu Doppelglaubcu an Gott
und Fürst. Es wäre» dieselben Triebfedern, die im Jahre 181 die Chancen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276512"/>
          <p xml:id="ID_1052" prev="#ID_1051" next="#ID_1053"> Leopold I. konnte nicht ein Graf von Tirol werden, wie ihn das Land bedürfte,<lb/>
darum machte er eine Provinz aus demselben wie er sie brauchen konnte. Die<lb/>
Idee der Großmacht Oestreich, der Gesammtmouarchie, ward damals zu Faden<lb/>
geschlagen, aber noch nirgend affigirt. So wie sie austauchte, begaun bereits<lb/>
das centrifugale Bestreben ihrer Bestandtheile, das heutzutage in die äußersten<lb/>
Stadien eingetreten ist, bis wohin der Einfluß des Mittelpunktes auf Null herab¬<lb/>
sinkt. Die frühere Unabhängigkeit Tirols, seitdem in den Ständen radizirt, konnte<lb/>
neben dem Einignugssystem nicht geduldet werden, man mußte sie zur Illusion<lb/>
herabwürdigen. Dies Bestreben, wenn man will, kann man den östreichischen<lb/>
Gedanken in unserer Geschichte nennen. Und nun der Kampf der Vertretung mit<lb/>
dem Gubernialwesen, immer fruchtlos, doch unablässig geführt von 1684 bis<lb/>
1805, &#x2014; ein stetes Berufen auf Rechte und Freiheiten, ein Verwahren und Vor¬<lb/>
behalten einerseits, ein consequentes Uebergreifen, Makeln, Scheingcwähren und<lb/>
Versprechen anderseits. Die tirolische Selbstständigkeit ließ man nur dann gelten,<lb/>
wenn die östreichische Macht daran war, neben der Centralidee auch das Land<lb/>
aufgeben zu müssen. Immer noch hat sich Tirol selbst für Oestreich gerettet. So<lb/>
ward das Jahr 1708 ein herrliches Blatt der Landeschronik. Aus der Noth und<lb/>
dem sichern, Untergang, zu welchem ihm seine Oberherren verhalfen, ging Tirol<lb/>
hervor durch eigene Thatkraft und legte sich dann in alter Treue dem Kaiser zu<lb/>
Füßen. So stritt es für Maria Theresia, für Kaiser Joseph, und beide hatten<lb/>
am wenigsten seine Eigcnrechte geschont, seine alte Sonderstellung anerkannt.<lb/>
Leopold l. mußte wieder einlenken. Der Landtag von 1790 erinnerte die Wiener<lb/>
Kanzleien, daß man nicht so fest Provinz als Erbland sei und die Freiheiten<lb/>
waren wieder errungen, um in anderer Weise paralysirt zu werden. Die Kriege<lb/>
kamen, &#x2014; für den Kaiser trat Tirol wieder in die Schanze, sein Regiment aber<lb/>
blieb als des Landes Unheil anerkannt und nicht durch deu Feind, durch sich selbst<lb/>
verlor Oestreich das getreue Ländchen. Die bairische Herrschaft brachte uns das<lb/>
Jahr 180!». Nicht wie, sondern daß Tirol den Kampf aufnahm für die verlorene<lb/>
Sache einer niemals ersprießlichen Herrschaft, wird einmal die Geschichte zu rüh¬<lb/>
men wissen. Doch die Fürsten waren ja geliebt, der Kaiser war zu erfechten, und<lb/>
welches Volk hatte es je besser verstanden, die Dynastie zu trennen von der Ver¬<lb/>
antwortlichkeit für das in ihrem Namen Geschehene, als die Deutschen, &#x2014; die<lb/>
Tiroler aber sind Deutsche vom besten Schlage! Nicht der Diplomaten-Gedanke<lb/>
der &#x201E;Gesammtmonarchie" ließ diese Handvoll Schützen über erprobte Heere und<lb/>
Marschälle siegen, das Tirolerthum hat es gethan. Die erbeigcuen Grundlagen<lb/>
des Volksthums waren der Amboß, ans dem die Waffen zu diesem Hirteukriege<lb/>
geschmiedet wurden. Sie brachen nicht, als auch Kaiserworte nicht mehr fest genug<lb/>
waren, um in den Händen der &#x201E;Verhältnisse und Umstände" nicht zu zerbrechen,<lb/>
und bis zum Verbluten fochten die Aufgegebenen für deu Doppelglaubcu an Gott<lb/>
und Fürst. Es wäre» dieselben Triebfedern, die im Jahre 181  die Chancen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0306] Leopold I. konnte nicht ein Graf von Tirol werden, wie ihn das Land bedürfte, darum machte er eine Provinz aus demselben wie er sie brauchen konnte. Die Idee der Großmacht Oestreich, der Gesammtmouarchie, ward damals zu Faden geschlagen, aber noch nirgend affigirt. So wie sie austauchte, begaun bereits das centrifugale Bestreben ihrer Bestandtheile, das heutzutage in die äußersten Stadien eingetreten ist, bis wohin der Einfluß des Mittelpunktes auf Null herab¬ sinkt. Die frühere Unabhängigkeit Tirols, seitdem in den Ständen radizirt, konnte neben dem Einignugssystem nicht geduldet werden, man mußte sie zur Illusion herabwürdigen. Dies Bestreben, wenn man will, kann man den östreichischen Gedanken in unserer Geschichte nennen. Und nun der Kampf der Vertretung mit dem Gubernialwesen, immer fruchtlos, doch unablässig geführt von 1684 bis 1805, — ein stetes Berufen auf Rechte und Freiheiten, ein Verwahren und Vor¬ behalten einerseits, ein consequentes Uebergreifen, Makeln, Scheingcwähren und Versprechen anderseits. Die tirolische Selbstständigkeit ließ man nur dann gelten, wenn die östreichische Macht daran war, neben der Centralidee auch das Land aufgeben zu müssen. Immer noch hat sich Tirol selbst für Oestreich gerettet. So ward das Jahr 1708 ein herrliches Blatt der Landeschronik. Aus der Noth und dem sichern, Untergang, zu welchem ihm seine Oberherren verhalfen, ging Tirol hervor durch eigene Thatkraft und legte sich dann in alter Treue dem Kaiser zu Füßen. So stritt es für Maria Theresia, für Kaiser Joseph, und beide hatten am wenigsten seine Eigcnrechte geschont, seine alte Sonderstellung anerkannt. Leopold l. mußte wieder einlenken. Der Landtag von 1790 erinnerte die Wiener Kanzleien, daß man nicht so fest Provinz als Erbland sei und die Freiheiten waren wieder errungen, um in anderer Weise paralysirt zu werden. Die Kriege kamen, — für den Kaiser trat Tirol wieder in die Schanze, sein Regiment aber blieb als des Landes Unheil anerkannt und nicht durch deu Feind, durch sich selbst verlor Oestreich das getreue Ländchen. Die bairische Herrschaft brachte uns das Jahr 180!». Nicht wie, sondern daß Tirol den Kampf aufnahm für die verlorene Sache einer niemals ersprießlichen Herrschaft, wird einmal die Geschichte zu rüh¬ men wissen. Doch die Fürsten waren ja geliebt, der Kaiser war zu erfechten, und welches Volk hatte es je besser verstanden, die Dynastie zu trennen von der Ver¬ antwortlichkeit für das in ihrem Namen Geschehene, als die Deutschen, — die Tiroler aber sind Deutsche vom besten Schlage! Nicht der Diplomaten-Gedanke der „Gesammtmonarchie" ließ diese Handvoll Schützen über erprobte Heere und Marschälle siegen, das Tirolerthum hat es gethan. Die erbeigcuen Grundlagen des Volksthums waren der Amboß, ans dem die Waffen zu diesem Hirteukriege geschmiedet wurden. Sie brachen nicht, als auch Kaiserworte nicht mehr fest genug waren, um in den Händen der „Verhältnisse und Umstände" nicht zu zerbrechen, und bis zum Verbluten fochten die Aufgegebenen für deu Doppelglaubcu an Gott und Fürst. Es wäre» dieselben Triebfedern, die im Jahre 181 die Chancen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/306
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/306>, abgerufen am 26.06.2024.