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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Portion an der Dynastie, doch der Dynastie nicht die Gesammttrene aller Na¬
tionen. "Ist Oestreich deutsch?" fragte Schnselka, und antwortete: Ja. Wir
adoptiren es zum mindesten für die Familie unserer Fürsten, die in ihrer Art und
Gesinnung die diplomatische Vielseitigkeit ablehnten und in deutschen Tugenden
zumeist bekundeten, wofür sie gelten wollten. -- Wir sind nicht berufen, den Wider¬
sinn nachzuweisen, durch welchen den nichtdeutschen Provinzen das kaiserlich-östrei¬
chische Bewußtsein zugemuthet wurde, doch in unsern eigenen vier Wanden wollen
wir uns darnach umsehen und deu gelb und schwarzen Faden suchen, der nach
Angabe der "Kaiserstaats-Lehrer" auch unsere Geschichte durchziehen soll.

Im Jahre 1362 bestimmten etliche Gewaltfähige und Gewaltthätige vom Adel,
in der Meinung, jedweder Oberherrlichkeit hiedurch am leichtesten los und ledig
zu werden, ein wetterwendisches, leidenschaftliches Weib und ihre entfernten Vettern
zu Erben der Grafschaft Tirol und des Landes an der Etsch und im Gebirge ein¬
zusetzen. War es dem Großvater Margarethens gelungen, seinen Genosse", deu
"Landherrn von Tirol" die Gottes-Gnaden seines Fürstenrechtes aufzuzwingen,
so drängten diese uuter seinen schwachen Söhnen deu Grafen von Tirol wieder
zurück auf seinen Platz als Ersten uuter den Gleichen. Was sie anch als Partei¬
gänger der Luxemburger und Wittelsbacher thaten mit und ohne der schönen Maul-
tasche, was ihre Zehnmänner in zärtlicher Wegelagerung von der Gräfin gewannen,
es sollte ihnen lediglich die alte Freiheit wiedergeben. Die Herren von Habsburg,
weit unten in Oestreich seßhaft, schienen derselben am wenigsten gefährlich. Doch
die Berufenen nahmen ernstlich in Anspruch, was man zum Schein ihnen zugewen¬
det hatte, und alsbald saß ein Zweig des Geschlechtes als Landesfürst aus dem
altrhätischen Tirolis.

Die Dynastie Habsburg war nun wohl im Lande begründet, aber unabhän¬
gig von dem Erbsitze an der Donan und der dort gültigen Herrschaft, behielt das
Gebirgsland sein freies Herkommen. Oestreich hatte mit Tirol nichts zu schaffen.
Namens dieser alten Gerechtsame rüttelte der Adel selbst noch an dem Herrenrecht
des Fürstenhauses, als ihm bereits die freie Bauerschaft mit der Faust an's Visir
trotzte. Friedl mit der leeren Tasche ward darum Demokrat und der Zustand
war gefunden, in dem sich das Tirolerlaud politisch behaglich fühlte; -- die Mo¬
narchie auf demokratischer Grundlage. Ein Zusammenhang mit dem andern Besitze
des Hauses war nirgend vorhanden; der vierte Stand, der Bauer als Theilnehmer
am Landtage, vollendete die völlige Verschiedenheit der innern Verwaltung. Die
Erzherzöge in Wien sorgten einzig dafür, daß beim Erlöschen eines Zweiges schnell
ein anderer in's Bergland verpflanzt wurde und in den Pansen anerkannten sie
ohne Einrede das Selbstregiment der Tiroler durch ihre Stände und Landeshaupt¬
leute. So besaß man die Ferdinande und die Sprossen der Gräzcr Linie als
freieigene Fürsten und die Klage über das Aussterben derselben war um so lauter,
als mit ihnen die Selbstständigkeit Tirols zu Grabe getragen wurde. Kaiser


Portion an der Dynastie, doch der Dynastie nicht die Gesammttrene aller Na¬
tionen. „Ist Oestreich deutsch?" fragte Schnselka, und antwortete: Ja. Wir
adoptiren es zum mindesten für die Familie unserer Fürsten, die in ihrer Art und
Gesinnung die diplomatische Vielseitigkeit ablehnten und in deutschen Tugenden
zumeist bekundeten, wofür sie gelten wollten. — Wir sind nicht berufen, den Wider¬
sinn nachzuweisen, durch welchen den nichtdeutschen Provinzen das kaiserlich-östrei¬
chische Bewußtsein zugemuthet wurde, doch in unsern eigenen vier Wanden wollen
wir uns darnach umsehen und deu gelb und schwarzen Faden suchen, der nach
Angabe der „Kaiserstaats-Lehrer" auch unsere Geschichte durchziehen soll.

Im Jahre 1362 bestimmten etliche Gewaltfähige und Gewaltthätige vom Adel,
in der Meinung, jedweder Oberherrlichkeit hiedurch am leichtesten los und ledig
zu werden, ein wetterwendisches, leidenschaftliches Weib und ihre entfernten Vettern
zu Erben der Grafschaft Tirol und des Landes an der Etsch und im Gebirge ein¬
zusetzen. War es dem Großvater Margarethens gelungen, seinen Genosse», deu
„Landherrn von Tirol" die Gottes-Gnaden seines Fürstenrechtes aufzuzwingen,
so drängten diese uuter seinen schwachen Söhnen deu Grafen von Tirol wieder
zurück auf seinen Platz als Ersten uuter den Gleichen. Was sie anch als Partei¬
gänger der Luxemburger und Wittelsbacher thaten mit und ohne der schönen Maul-
tasche, was ihre Zehnmänner in zärtlicher Wegelagerung von der Gräfin gewannen,
es sollte ihnen lediglich die alte Freiheit wiedergeben. Die Herren von Habsburg,
weit unten in Oestreich seßhaft, schienen derselben am wenigsten gefährlich. Doch
die Berufenen nahmen ernstlich in Anspruch, was man zum Schein ihnen zugewen¬
det hatte, und alsbald saß ein Zweig des Geschlechtes als Landesfürst aus dem
altrhätischen Tirolis.

Die Dynastie Habsburg war nun wohl im Lande begründet, aber unabhän¬
gig von dem Erbsitze an der Donan und der dort gültigen Herrschaft, behielt das
Gebirgsland sein freies Herkommen. Oestreich hatte mit Tirol nichts zu schaffen.
Namens dieser alten Gerechtsame rüttelte der Adel selbst noch an dem Herrenrecht
des Fürstenhauses, als ihm bereits die freie Bauerschaft mit der Faust an's Visir
trotzte. Friedl mit der leeren Tasche ward darum Demokrat und der Zustand
war gefunden, in dem sich das Tirolerlaud politisch behaglich fühlte; — die Mo¬
narchie auf demokratischer Grundlage. Ein Zusammenhang mit dem andern Besitze
des Hauses war nirgend vorhanden; der vierte Stand, der Bauer als Theilnehmer
am Landtage, vollendete die völlige Verschiedenheit der innern Verwaltung. Die
Erzherzöge in Wien sorgten einzig dafür, daß beim Erlöschen eines Zweiges schnell
ein anderer in's Bergland verpflanzt wurde und in den Pansen anerkannten sie
ohne Einrede das Selbstregiment der Tiroler durch ihre Stände und Landeshaupt¬
leute. So besaß man die Ferdinande und die Sprossen der Gräzcr Linie als
freieigene Fürsten und die Klage über das Aussterben derselben war um so lauter,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/305>, abgerufen am 26.06.2024.