Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Matador; alte und neue Sünden wurden zur Sprache gebracht; alle faulen Schä¬
den des frühern Regiments aufgedeckt; eine Menge Unrechtfertigkeiten wurden
nachgewiesen u. s. w. Alles dieses, weil es den Reichen oft schmerzlich mit be¬
troffen hatte, würde man gern gesehen haben, wenn nur uicht die Staatspapiere
gefallen wären, der Handel nicht dabei gelitten hätte; allein eine Freiheit, die
solche Verluste in ihrem Gefolge hatte, konnte unmöglich nach dem Geschmack der
Kaufleute sein und somit die Sehnsucht nach der "guten alten Zeit" nicht lange
mehr ausbleiben.

Mit dieser Sehnsucht zugleich entwickelte sich ein ungemessener Haß gegen
die Träger der neuen Ideen: sie sollten jetzt das ganze Unglück verschuldet, es
durch ihre "neumodischen wühlerische" Tendenzen" aus dem Abgrunde der Hölle
heraufbeschworen haben, und so wünschte man sie zu allen Teufeln, sah sie als
offenbare Feinde an und glaubte sich gegen sie als solche jeglicher auch der nie¬
drigsten Hilfsmittel bedienen zu dürfen, um sie wo möglich wieder zu beseitigen.
Als' eins der wirksamsten wurde die Verdächtigung ihres Charakters und ihrer
Absichten angesehen: so wurden sie durch Schrift und Rede gleichsam unterminirt.
Da sie natürlich gegen solche Niederträchtigkeiten muthig ankämpften, wurde ihnen
ein Spitzname beigelegt und man nannte sie nur noch "die Schreier."

Als es so weit gekommen war, erhob die Reaction schon kühner das Haupt.
Man redete mit Bedauern von der Umgestaltung der Verfassung; man tadelte die,
welche in Aussicht stand; man bekrittelte und benagte alle neuen Ideen; man er¬
munterte das talentlose Heer serviler Advokaten dazu, den frühern Einrichtungen
das Wort zu reden, auf die Beibehaltung der seitherigen Regierungsform, als auf
etwas sehr Wüuscheuswerthcs, als auf Etwas hinzudeuten, "wobei man sich doch
im Grunde ganz vortrefflich gestanden;" man schmähte die freie Presse nud ging
sogar so weit, in öffentlichen Blättern vor allen Dingen ein neues Preßgesetz zu
verlangen! Keinem Wunsche wurde so schnell und bereitwillig Genüge geleistet,
als diesem, nachdem ein erbärmliches Subject ihn, wahrscheinlich ans Bestellung,
mit einer fast bewundernswerthen Frechheit ausgesprochen hatte. Unser 60 l'noto
noch bestehender hvchweiscr Senat berief den ehemaligen Criminal-Actuar, den
jetzt in Berlin bei der Eisenbahn angestellten Dr. Ascher, als allein seines Ver¬
trauens würdig, zum Entwürfe eines Prcßgesetzes Hieher, und der sonst durch¬
aus brave und unbescholtene, zugleich aber reactionäre und keineswegs ans der
Hohe der Zeit stehende Mann, entsprach den in ihn gesetzten senatorlichen Hoff¬
nungen im vollsten Maße, indem er ein criminalistischeö Meisterstück lieferte. Frei¬
lich mußte er für die ihm ausgesetzten 4000 Thäler auch etwas Tüchtiges, dem
Sinn und Geiste der Besteller Entsprechendes liefern und so bot er dem erstaunten
Deutschlande ein Prcßgesetz dar, mit dem ein Kaiser Nicolaus sich unbedingt ein¬
verstanden erklärt haben würde. seines frühern Standes als Criminal-Actuar
eingedenk, sollte jedes Preßvergehen, gleich einem Verbrechen, mit schwerer Geld-


Matador; alte und neue Sünden wurden zur Sprache gebracht; alle faulen Schä¬
den des frühern Regiments aufgedeckt; eine Menge Unrechtfertigkeiten wurden
nachgewiesen u. s. w. Alles dieses, weil es den Reichen oft schmerzlich mit be¬
troffen hatte, würde man gern gesehen haben, wenn nur uicht die Staatspapiere
gefallen wären, der Handel nicht dabei gelitten hätte; allein eine Freiheit, die
solche Verluste in ihrem Gefolge hatte, konnte unmöglich nach dem Geschmack der
Kaufleute sein und somit die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit" nicht lange
mehr ausbleiben.

Mit dieser Sehnsucht zugleich entwickelte sich ein ungemessener Haß gegen
die Träger der neuen Ideen: sie sollten jetzt das ganze Unglück verschuldet, es
durch ihre „neumodischen wühlerische» Tendenzen" aus dem Abgrunde der Hölle
heraufbeschworen haben, und so wünschte man sie zu allen Teufeln, sah sie als
offenbare Feinde an und glaubte sich gegen sie als solche jeglicher auch der nie¬
drigsten Hilfsmittel bedienen zu dürfen, um sie wo möglich wieder zu beseitigen.
Als' eins der wirksamsten wurde die Verdächtigung ihres Charakters und ihrer
Absichten angesehen: so wurden sie durch Schrift und Rede gleichsam unterminirt.
Da sie natürlich gegen solche Niederträchtigkeiten muthig ankämpften, wurde ihnen
ein Spitzname beigelegt und man nannte sie nur noch „die Schreier."

Als es so weit gekommen war, erhob die Reaction schon kühner das Haupt.
Man redete mit Bedauern von der Umgestaltung der Verfassung; man tadelte die,
welche in Aussicht stand; man bekrittelte und benagte alle neuen Ideen; man er¬
munterte das talentlose Heer serviler Advokaten dazu, den frühern Einrichtungen
das Wort zu reden, auf die Beibehaltung der seitherigen Regierungsform, als auf
etwas sehr Wüuscheuswerthcs, als auf Etwas hinzudeuten, „wobei man sich doch
im Grunde ganz vortrefflich gestanden;" man schmähte die freie Presse nud ging
sogar so weit, in öffentlichen Blättern vor allen Dingen ein neues Preßgesetz zu
verlangen! Keinem Wunsche wurde so schnell und bereitwillig Genüge geleistet,
als diesem, nachdem ein erbärmliches Subject ihn, wahrscheinlich ans Bestellung,
mit einer fast bewundernswerthen Frechheit ausgesprochen hatte. Unser 60 l'noto
noch bestehender hvchweiscr Senat berief den ehemaligen Criminal-Actuar, den
jetzt in Berlin bei der Eisenbahn angestellten Dr. Ascher, als allein seines Ver¬
trauens würdig, zum Entwürfe eines Prcßgesetzes Hieher, und der sonst durch¬
aus brave und unbescholtene, zugleich aber reactionäre und keineswegs ans der
Hohe der Zeit stehende Mann, entsprach den in ihn gesetzten senatorlichen Hoff¬
nungen im vollsten Maße, indem er ein criminalistischeö Meisterstück lieferte. Frei¬
lich mußte er für die ihm ausgesetzten 4000 Thäler auch etwas Tüchtiges, dem
Sinn und Geiste der Besteller Entsprechendes liefern und so bot er dem erstaunten
Deutschlande ein Prcßgesetz dar, mit dem ein Kaiser Nicolaus sich unbedingt ein¬
verstanden erklärt haben würde. seines frühern Standes als Criminal-Actuar
eingedenk, sollte jedes Preßvergehen, gleich einem Verbrechen, mit schwerer Geld-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276504"/>
          <p xml:id="ID_1027" prev="#ID_1026"> Matador; alte und neue Sünden wurden zur Sprache gebracht; alle faulen Schä¬<lb/>
den des frühern Regiments aufgedeckt; eine Menge Unrechtfertigkeiten wurden<lb/>
nachgewiesen u. s. w. Alles dieses, weil es den Reichen oft schmerzlich mit be¬<lb/>
troffen hatte, würde man gern gesehen haben, wenn nur uicht die Staatspapiere<lb/>
gefallen wären, der Handel nicht dabei gelitten hätte; allein eine Freiheit, die<lb/>
solche Verluste in ihrem Gefolge hatte, konnte unmöglich nach dem Geschmack der<lb/>
Kaufleute sein und somit die Sehnsucht nach der &#x201E;guten alten Zeit" nicht lange<lb/>
mehr ausbleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1028"> Mit dieser Sehnsucht zugleich entwickelte sich ein ungemessener Haß gegen<lb/>
die Träger der neuen Ideen: sie sollten jetzt das ganze Unglück verschuldet, es<lb/>
durch ihre &#x201E;neumodischen wühlerische» Tendenzen" aus dem Abgrunde der Hölle<lb/>
heraufbeschworen haben, und so wünschte man sie zu allen Teufeln, sah sie als<lb/>
offenbare Feinde an und glaubte sich gegen sie als solche jeglicher auch der nie¬<lb/>
drigsten Hilfsmittel bedienen zu dürfen, um sie wo möglich wieder zu beseitigen.<lb/>
Als' eins der wirksamsten wurde die Verdächtigung ihres Charakters und ihrer<lb/>
Absichten angesehen: so wurden sie durch Schrift und Rede gleichsam unterminirt.<lb/>
Da sie natürlich gegen solche Niederträchtigkeiten muthig ankämpften, wurde ihnen<lb/>
ein Spitzname beigelegt und man nannte sie nur noch &#x201E;die Schreier."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1029" next="#ID_1030"> Als es so weit gekommen war, erhob die Reaction schon kühner das Haupt.<lb/>
Man redete mit Bedauern von der Umgestaltung der Verfassung; man tadelte die,<lb/>
welche in Aussicht stand; man bekrittelte und benagte alle neuen Ideen; man er¬<lb/>
munterte das talentlose Heer serviler Advokaten dazu, den frühern Einrichtungen<lb/>
das Wort zu reden, auf die Beibehaltung der seitherigen Regierungsform, als auf<lb/>
etwas sehr Wüuscheuswerthcs, als auf Etwas hinzudeuten, &#x201E;wobei man sich doch<lb/>
im Grunde ganz vortrefflich gestanden;" man schmähte die freie Presse nud ging<lb/>
sogar so weit, in öffentlichen Blättern vor allen Dingen ein neues Preßgesetz zu<lb/>
verlangen! Keinem Wunsche wurde so schnell und bereitwillig Genüge geleistet,<lb/>
als diesem, nachdem ein erbärmliches Subject ihn, wahrscheinlich ans Bestellung,<lb/>
mit einer fast bewundernswerthen Frechheit ausgesprochen hatte. Unser 60 l'noto<lb/>
noch bestehender hvchweiscr Senat berief den ehemaligen Criminal-Actuar, den<lb/>
jetzt in Berlin bei der Eisenbahn angestellten Dr. Ascher, als allein seines Ver¬<lb/>
trauens würdig, zum Entwürfe eines Prcßgesetzes Hieher, und der sonst durch¬<lb/>
aus brave und unbescholtene, zugleich aber reactionäre und keineswegs ans der<lb/>
Hohe der Zeit stehende Mann, entsprach den in ihn gesetzten senatorlichen Hoff¬<lb/>
nungen im vollsten Maße, indem er ein criminalistischeö Meisterstück lieferte. Frei¬<lb/>
lich mußte er für die ihm ausgesetzten 4000 Thäler auch etwas Tüchtiges, dem<lb/>
Sinn und Geiste der Besteller Entsprechendes liefern und so bot er dem erstaunten<lb/>
Deutschlande ein Prcßgesetz dar, mit dem ein Kaiser Nicolaus sich unbedingt ein¬<lb/>
verstanden erklärt haben würde. seines frühern Standes als Criminal-Actuar<lb/>
eingedenk, sollte jedes Preßvergehen, gleich einem Verbrechen, mit schwerer Geld-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0298] Matador; alte und neue Sünden wurden zur Sprache gebracht; alle faulen Schä¬ den des frühern Regiments aufgedeckt; eine Menge Unrechtfertigkeiten wurden nachgewiesen u. s. w. Alles dieses, weil es den Reichen oft schmerzlich mit be¬ troffen hatte, würde man gern gesehen haben, wenn nur uicht die Staatspapiere gefallen wären, der Handel nicht dabei gelitten hätte; allein eine Freiheit, die solche Verluste in ihrem Gefolge hatte, konnte unmöglich nach dem Geschmack der Kaufleute sein und somit die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit" nicht lange mehr ausbleiben. Mit dieser Sehnsucht zugleich entwickelte sich ein ungemessener Haß gegen die Träger der neuen Ideen: sie sollten jetzt das ganze Unglück verschuldet, es durch ihre „neumodischen wühlerische» Tendenzen" aus dem Abgrunde der Hölle heraufbeschworen haben, und so wünschte man sie zu allen Teufeln, sah sie als offenbare Feinde an und glaubte sich gegen sie als solche jeglicher auch der nie¬ drigsten Hilfsmittel bedienen zu dürfen, um sie wo möglich wieder zu beseitigen. Als' eins der wirksamsten wurde die Verdächtigung ihres Charakters und ihrer Absichten angesehen: so wurden sie durch Schrift und Rede gleichsam unterminirt. Da sie natürlich gegen solche Niederträchtigkeiten muthig ankämpften, wurde ihnen ein Spitzname beigelegt und man nannte sie nur noch „die Schreier." Als es so weit gekommen war, erhob die Reaction schon kühner das Haupt. Man redete mit Bedauern von der Umgestaltung der Verfassung; man tadelte die, welche in Aussicht stand; man bekrittelte und benagte alle neuen Ideen; man er¬ munterte das talentlose Heer serviler Advokaten dazu, den frühern Einrichtungen das Wort zu reden, auf die Beibehaltung der seitherigen Regierungsform, als auf etwas sehr Wüuscheuswerthcs, als auf Etwas hinzudeuten, „wobei man sich doch im Grunde ganz vortrefflich gestanden;" man schmähte die freie Presse nud ging sogar so weit, in öffentlichen Blättern vor allen Dingen ein neues Preßgesetz zu verlangen! Keinem Wunsche wurde so schnell und bereitwillig Genüge geleistet, als diesem, nachdem ein erbärmliches Subject ihn, wahrscheinlich ans Bestellung, mit einer fast bewundernswerthen Frechheit ausgesprochen hatte. Unser 60 l'noto noch bestehender hvchweiscr Senat berief den ehemaligen Criminal-Actuar, den jetzt in Berlin bei der Eisenbahn angestellten Dr. Ascher, als allein seines Ver¬ trauens würdig, zum Entwürfe eines Prcßgesetzes Hieher, und der sonst durch¬ aus brave und unbescholtene, zugleich aber reactionäre und keineswegs ans der Hohe der Zeit stehende Mann, entsprach den in ihn gesetzten senatorlichen Hoff¬ nungen im vollsten Maße, indem er ein criminalistischeö Meisterstück lieferte. Frei¬ lich mußte er für die ihm ausgesetzten 4000 Thäler auch etwas Tüchtiges, dem Sinn und Geiste der Besteller Entsprechendes liefern und so bot er dem erstaunten Deutschlande ein Prcßgesetz dar, mit dem ein Kaiser Nicolaus sich unbedingt ein¬ verstanden erklärt haben würde. seines frühern Standes als Criminal-Actuar eingedenk, sollte jedes Preßvergehen, gleich einem Verbrechen, mit schwerer Geld-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/298
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/298>, abgerufen am 26.06.2024.