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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Urplötzlich aber veränderte sich die Scene, als der hiesige Kaufmann mit
Schrecken wahrnahm, daß diese eben noch vergötterten "Männer des Fortschritts"
sich ein ganz anderes Ziel vorgesteckt hatten, als das, den Beutel der Besitzenden
gegen noch größere Verluste zu bewahren; als sie kühn die Hand an die alte,
völlig verfaulte Verfassung legten und mit Hilfe der aufgeregten Volksmasse die
seitherigen völlig untauglichen Lenker des morschen Staatsschiffs über Bord zu
werfen bemüht waren; als sie es unverhohlen aussprachen, daß für alle Klassen
des Volks ein besserer Zustand herbeigeführt werden solle, nicht blos für den
Grundbesitzer in Hamburg; als sich die gesammte Intelligenz um diese Träger
einer bessern Zeit schaarte und diese Männer bald einen so festen Phalanx gegen
das Veraltete bildeten, daß Senat, Obcralte, Sechziger u. s. w. auf ihren mor¬
schen Sitzen zitterten.

Der Schlag, welcher den Verrücken versetzt wurde, war ein so fürchterlicher,
daß eine völlige Betäubung die Folge davon war. Man zitterte für seine seit¬
herige lukrative Stellung, für seine Einkünfte, ja für sein Leben sogar, und um
so mehr, da die aufgeregte Pöbelmasse seinem Haß gegen dieses oder jenes Raths¬
mitglied durch ernste Demonstrationen und Drohungen Luft machte. Man sah
sich zu Concessionen genöthigt, wenn man nicht Alles verlieren wollte. Das erste
Zugeständniß, als erste Frucht der gewaltigen Furcht aber nur zu betrachten, war
die Freigebung der Presse, die eben zuvor "och in einem fast unglaublichen Grade
im "freien Hamburg" geknechtet gewesen war, und andere Concessionen mußten
dieser folgen, weil Despotie bei einer freien Presse nicht mehr möglich ist. Der
bis dahin fast allmächtige Senat dankte gleichsam ab und legte seine Gewalt, zu¬
gleich mit dem Vorschlage zu einer neuen, zeitgemäßen Verfassung in die Hände
einer Anzahl von Bürgern, denen auch vou seiner Seite einige Mitglieder beige¬
geben wurden, mit deren Wahl der intelligente Theil des Publikums aber keines¬
wegs zufrieden war und die als der erste Schritt zur Reaction, als ein neues
Erheben des Hvdrahauptes der Despotie betrachtet werden muß. Die Bürger¬
schaft hatte dagegen die Häupter der Opposition erwählt, und so wäre uicht eben
viel zu befürchten gewesen, wenn man einig geblieben wäre. Bald aber sahen
sich die Geldmenschen durch die gewaltigen Vorgänge im übrigen Deutschland, die
das Fallen aller Staatspapiere, eine Stockung des Handels in ihrem Gefolge hat¬
ten, in ihren theuersten Interessen bedroht: sie verloren augenblicklich noch mehr
Geld, als seither durch den schlechten Staatshaushalt, und, was sie fast eben so
schwer traf: das von ihnen seither verachtete, geknechtete, in seinen heiligsten Rech¬
ten gekränkte Volk erhob ihnen gegenüber laut seine Stimme.

Jetzt hörte man in den Kreisen der Geldaristokratie die Befürchtung ausspre¬
chen: man werde einer Pöbelherrschaft verfallen; man werde vielleicht gar arm
werden, oder doch seinen seitherigen, allein auf den Besitz gestützten Einfluß ein¬
büßen. Die freie Presse beleidigte überdies bald diesen, bald jenen seitherigen


Urplötzlich aber veränderte sich die Scene, als der hiesige Kaufmann mit
Schrecken wahrnahm, daß diese eben noch vergötterten „Männer des Fortschritts"
sich ein ganz anderes Ziel vorgesteckt hatten, als das, den Beutel der Besitzenden
gegen noch größere Verluste zu bewahren; als sie kühn die Hand an die alte,
völlig verfaulte Verfassung legten und mit Hilfe der aufgeregten Volksmasse die
seitherigen völlig untauglichen Lenker des morschen Staatsschiffs über Bord zu
werfen bemüht waren; als sie es unverhohlen aussprachen, daß für alle Klassen
des Volks ein besserer Zustand herbeigeführt werden solle, nicht blos für den
Grundbesitzer in Hamburg; als sich die gesammte Intelligenz um diese Träger
einer bessern Zeit schaarte und diese Männer bald einen so festen Phalanx gegen
das Veraltete bildeten, daß Senat, Obcralte, Sechziger u. s. w. auf ihren mor¬
schen Sitzen zitterten.

Der Schlag, welcher den Verrücken versetzt wurde, war ein so fürchterlicher,
daß eine völlige Betäubung die Folge davon war. Man zitterte für seine seit¬
herige lukrative Stellung, für seine Einkünfte, ja für sein Leben sogar, und um
so mehr, da die aufgeregte Pöbelmasse seinem Haß gegen dieses oder jenes Raths¬
mitglied durch ernste Demonstrationen und Drohungen Luft machte. Man sah
sich zu Concessionen genöthigt, wenn man nicht Alles verlieren wollte. Das erste
Zugeständniß, als erste Frucht der gewaltigen Furcht aber nur zu betrachten, war
die Freigebung der Presse, die eben zuvor «och in einem fast unglaublichen Grade
im „freien Hamburg" geknechtet gewesen war, und andere Concessionen mußten
dieser folgen, weil Despotie bei einer freien Presse nicht mehr möglich ist. Der
bis dahin fast allmächtige Senat dankte gleichsam ab und legte seine Gewalt, zu¬
gleich mit dem Vorschlage zu einer neuen, zeitgemäßen Verfassung in die Hände
einer Anzahl von Bürgern, denen auch vou seiner Seite einige Mitglieder beige¬
geben wurden, mit deren Wahl der intelligente Theil des Publikums aber keines¬
wegs zufrieden war und die als der erste Schritt zur Reaction, als ein neues
Erheben des Hvdrahauptes der Despotie betrachtet werden muß. Die Bürger¬
schaft hatte dagegen die Häupter der Opposition erwählt, und so wäre uicht eben
viel zu befürchten gewesen, wenn man einig geblieben wäre. Bald aber sahen
sich die Geldmenschen durch die gewaltigen Vorgänge im übrigen Deutschland, die
das Fallen aller Staatspapiere, eine Stockung des Handels in ihrem Gefolge hat¬
ten, in ihren theuersten Interessen bedroht: sie verloren augenblicklich noch mehr
Geld, als seither durch den schlechten Staatshaushalt, und, was sie fast eben so
schwer traf: das von ihnen seither verachtete, geknechtete, in seinen heiligsten Rech¬
ten gekränkte Volk erhob ihnen gegenüber laut seine Stimme.

Jetzt hörte man in den Kreisen der Geldaristokratie die Befürchtung ausspre¬
chen: man werde einer Pöbelherrschaft verfallen; man werde vielleicht gar arm
werden, oder doch seinen seitherigen, allein auf den Besitz gestützten Einfluß ein¬
büßen. Die freie Presse beleidigte überdies bald diesen, bald jenen seitherigen


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[0297] Urplötzlich aber veränderte sich die Scene, als der hiesige Kaufmann mit Schrecken wahrnahm, daß diese eben noch vergötterten „Männer des Fortschritts" sich ein ganz anderes Ziel vorgesteckt hatten, als das, den Beutel der Besitzenden gegen noch größere Verluste zu bewahren; als sie kühn die Hand an die alte, völlig verfaulte Verfassung legten und mit Hilfe der aufgeregten Volksmasse die seitherigen völlig untauglichen Lenker des morschen Staatsschiffs über Bord zu werfen bemüht waren; als sie es unverhohlen aussprachen, daß für alle Klassen des Volks ein besserer Zustand herbeigeführt werden solle, nicht blos für den Grundbesitzer in Hamburg; als sich die gesammte Intelligenz um diese Träger einer bessern Zeit schaarte und diese Männer bald einen so festen Phalanx gegen das Veraltete bildeten, daß Senat, Obcralte, Sechziger u. s. w. auf ihren mor¬ schen Sitzen zitterten. Der Schlag, welcher den Verrücken versetzt wurde, war ein so fürchterlicher, daß eine völlige Betäubung die Folge davon war. Man zitterte für seine seit¬ herige lukrative Stellung, für seine Einkünfte, ja für sein Leben sogar, und um so mehr, da die aufgeregte Pöbelmasse seinem Haß gegen dieses oder jenes Raths¬ mitglied durch ernste Demonstrationen und Drohungen Luft machte. Man sah sich zu Concessionen genöthigt, wenn man nicht Alles verlieren wollte. Das erste Zugeständniß, als erste Frucht der gewaltigen Furcht aber nur zu betrachten, war die Freigebung der Presse, die eben zuvor «och in einem fast unglaublichen Grade im „freien Hamburg" geknechtet gewesen war, und andere Concessionen mußten dieser folgen, weil Despotie bei einer freien Presse nicht mehr möglich ist. Der bis dahin fast allmächtige Senat dankte gleichsam ab und legte seine Gewalt, zu¬ gleich mit dem Vorschlage zu einer neuen, zeitgemäßen Verfassung in die Hände einer Anzahl von Bürgern, denen auch vou seiner Seite einige Mitglieder beige¬ geben wurden, mit deren Wahl der intelligente Theil des Publikums aber keines¬ wegs zufrieden war und die als der erste Schritt zur Reaction, als ein neues Erheben des Hvdrahauptes der Despotie betrachtet werden muß. Die Bürger¬ schaft hatte dagegen die Häupter der Opposition erwählt, und so wäre uicht eben viel zu befürchten gewesen, wenn man einig geblieben wäre. Bald aber sahen sich die Geldmenschen durch die gewaltigen Vorgänge im übrigen Deutschland, die das Fallen aller Staatspapiere, eine Stockung des Handels in ihrem Gefolge hat¬ ten, in ihren theuersten Interessen bedroht: sie verloren augenblicklich noch mehr Geld, als seither durch den schlechten Staatshaushalt, und, was sie fast eben so schwer traf: das von ihnen seither verachtete, geknechtete, in seinen heiligsten Rech¬ ten gekränkte Volk erhob ihnen gegenüber laut seine Stimme. Jetzt hörte man in den Kreisen der Geldaristokratie die Befürchtung ausspre¬ chen: man werde einer Pöbelherrschaft verfallen; man werde vielleicht gar arm werden, oder doch seinen seitherigen, allein auf den Besitz gestützten Einfluß ein¬ büßen. Die freie Presse beleidigte überdies bald diesen, bald jenen seitherigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/297>, abgerufen am 26.06.2024.