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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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nachlässige oder gar verbrecherische Verwaltung des Staatsvermogens, die Stadt
ein den Rand des Abgrundes gebracht worden sei und vielleicht ein Staatsbankrott
in Aussicht stehe, wenn noch länger so fvrtgewirthschaftet würde. Man bewies
ihnen, daß die immer stärker belasteten Grundstücke zugleich mit jedem Jahre an
Werth verloren, weil die Armuth des Mittelstandes auf eine wahrhaft erschreckende
Weise zunahm, folglich die theuern Miethen nicht mehr erschwungen werden konn¬
ten. Mau wies ihnen nach, auf wie unverantwortliche Weise Millionen rein ver¬
schwendet worden waren, die sie wieder herbeischaffen mußten; man bewies ihnen,
daß einzelne einflußreiche oder begüterte Männer ans Kosten des Staats auf eine
wahrhaft unverschämte Weise bevorzugt worden, ja, daß man sogar mit Staats¬
domänen unverantwortlich umgegangen, indem man sie ohne Einwilligung der
Bürgerschaft an solche Begünstigte veräußert hatte, und da dieses in ihren Beutel
griff, entstand der Wunsch nach einer gcwissenhaftcru Verwaltung auch in ihnen,
ja, sie begriffen sogar die Nothwendigkeit einer Reform.

Aber auch nur auf diese Weise war ihnen beizukommen gewesen. Nachdem
dieses Alles und noch weit mehr ihnen bewiesen worden war, warfen sie sich in
die Arme Derer, die den Muth und die Klugheit gehabt hatten, ihnen den Ab¬
grund aufzudecken, an dessen Rande sie standen. Sie ließen es sich gern gefallen,
daß höhere Intelligenzen sich ihrer durch Schrift und Wort annahmen, daß sie
ihre materiellen Interessen, oft mit eigener Gefahr, verfochten; sie hörten auf die
Stimmen, die ihnen die Fehler der Verwaltung, die schreienden Mißgriffe der
Behörden, deu fehlerhaften, unzeitgemäßer Bau ihrer seitherigen Staatsverfassung
nachwiesen und schwärmten gleichsam für die "Männer des Fortschritts," für einen
Baumeister, Wex u. s. w. Sie ergriffen zum Theil selbst die Feder, um
diese oder jene Unbill aufzudecken und dringend Abhilfe zu fordern; ja es zeigte
sich in den angesetzten Burgcrversammlungen ein Geist, der auf eine bessere Zu¬
knifft schließen ließ.

So standen die Sachen vor dem Ausbruch der dritten französischen Revolu¬
tion, die von den gewaltigsten Folgen für das gescumnte Vaterland, mithin auch
für Hamburg war. Wie überall, gab sich auch hier der lange unterdrückte Unwille
der untern Volksschichten durch Crawalle kund; wie überall, erhob auch hier die
Intelligenz kühner das Haupt, denn ihre Aufgabe war es, die Rolle der Vor¬
kämpfer in dem beginnenden Riesenkampfe zu übernehmen. Wie erschracken aber
die Besitzenden, als sie wahrnahmen, daß die Waffen dieser Männer sich jetzt
auch gegen sie richteten, als man auch vou ihnen Opfer für das Gemeinwohl,
als man das Aufgeben gewisser Vorrechte auch von ihnen forderte! So lange,
als die Intelligenz nur in ihrem Interesse zu kämpfen schien, als sie sich gleichsam
für dieses aufopferte, hatte man die Männer des Fortschrittes fast vergöttert, ja
es sogar mit Bedauern gesehen, daß sie wegen einiger freier Reden und Handlun¬
gen mit Freiheitsstrafen belegt wurden.


nachlässige oder gar verbrecherische Verwaltung des Staatsvermogens, die Stadt
ein den Rand des Abgrundes gebracht worden sei und vielleicht ein Staatsbankrott
in Aussicht stehe, wenn noch länger so fvrtgewirthschaftet würde. Man bewies
ihnen, daß die immer stärker belasteten Grundstücke zugleich mit jedem Jahre an
Werth verloren, weil die Armuth des Mittelstandes auf eine wahrhaft erschreckende
Weise zunahm, folglich die theuern Miethen nicht mehr erschwungen werden konn¬
ten. Mau wies ihnen nach, auf wie unverantwortliche Weise Millionen rein ver¬
schwendet worden waren, die sie wieder herbeischaffen mußten; man bewies ihnen,
daß einzelne einflußreiche oder begüterte Männer ans Kosten des Staats auf eine
wahrhaft unverschämte Weise bevorzugt worden, ja, daß man sogar mit Staats¬
domänen unverantwortlich umgegangen, indem man sie ohne Einwilligung der
Bürgerschaft an solche Begünstigte veräußert hatte, und da dieses in ihren Beutel
griff, entstand der Wunsch nach einer gcwissenhaftcru Verwaltung auch in ihnen,
ja, sie begriffen sogar die Nothwendigkeit einer Reform.

Aber auch nur auf diese Weise war ihnen beizukommen gewesen. Nachdem
dieses Alles und noch weit mehr ihnen bewiesen worden war, warfen sie sich in
die Arme Derer, die den Muth und die Klugheit gehabt hatten, ihnen den Ab¬
grund aufzudecken, an dessen Rande sie standen. Sie ließen es sich gern gefallen,
daß höhere Intelligenzen sich ihrer durch Schrift und Wort annahmen, daß sie
ihre materiellen Interessen, oft mit eigener Gefahr, verfochten; sie hörten auf die
Stimmen, die ihnen die Fehler der Verwaltung, die schreienden Mißgriffe der
Behörden, deu fehlerhaften, unzeitgemäßer Bau ihrer seitherigen Staatsverfassung
nachwiesen und schwärmten gleichsam für die „Männer des Fortschritts," für einen
Baumeister, Wex u. s. w. Sie ergriffen zum Theil selbst die Feder, um
diese oder jene Unbill aufzudecken und dringend Abhilfe zu fordern; ja es zeigte
sich in den angesetzten Burgcrversammlungen ein Geist, der auf eine bessere Zu¬
knifft schließen ließ.

So standen die Sachen vor dem Ausbruch der dritten französischen Revolu¬
tion, die von den gewaltigsten Folgen für das gescumnte Vaterland, mithin auch
für Hamburg war. Wie überall, gab sich auch hier der lange unterdrückte Unwille
der untern Volksschichten durch Crawalle kund; wie überall, erhob auch hier die
Intelligenz kühner das Haupt, denn ihre Aufgabe war es, die Rolle der Vor¬
kämpfer in dem beginnenden Riesenkampfe zu übernehmen. Wie erschracken aber
die Besitzenden, als sie wahrnahmen, daß die Waffen dieser Männer sich jetzt
auch gegen sie richteten, als man auch vou ihnen Opfer für das Gemeinwohl,
als man das Aufgeben gewisser Vorrechte auch von ihnen forderte! So lange,
als die Intelligenz nur in ihrem Interesse zu kämpfen schien, als sie sich gleichsam
für dieses aufopferte, hatte man die Männer des Fortschrittes fast vergöttert, ja
es sogar mit Bedauern gesehen, daß sie wegen einiger freier Reden und Handlun¬
gen mit Freiheitsstrafen belegt wurden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/296>, abgerufen am 26.06.2024.