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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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sind, die keine Bedürfnisse, als die Befriedigung rein physischer haben, in der
That anch nichts bei den alten, längst verfaulten Zuständen. Auch lag der Druck
auf ihnen nicht, sondern vielmehr nur auf den höchsten und niedrigsten Schichten
der menschlichen Gesellschaft, indem die erstem unerträgliche moralische, die letztem
physische Leiden zu erdulden hatten. Eben deshalb wurden auch sie die Träger
der Revolution, strebten auch sie allein nach einer für sie nothwendigen Umge¬
staltung der Verhältnisse. Freilich wurden dabei die in der Mitte stehenden Be¬
haglichen, zu ihren: großen Leidwesen, mit in die allgemeine Bewegung hinein-
gerissen; aber von einer wirklichen Begeisterung war bei ihnen selbst dann nicht die
Rede, als es den Anschein dazu hatte. Sie hatten seit Jahrhunderten, zugleich
mit dem vom Vater ans den Sohn überkommenen Vermögen, nnr materielle Be¬
dürfnisse geerbt und dem Moloch des Geldgewinns und Besitzes willig jedes
höhere Bedürfniß, jede edlere Regung zum Opfer gebracht. Mit Entsetzen sahen
sie sich daher in den Strudel der allgemeinen Bewegung hineingerissen, die
ihnen keine größern Geldvorthcilc, wohl aber vielleicht pccnniäre Verluste bringen
konnte.

Daß Geist, Wort und Schrift geknechtet, daß der zur Freiheit geborene
Mensch mit jedem Tage enger in die unerträglichen Schnürstiefel einer Schnüffel-
nnd Spionirpolizei gezwängt wurde, daß man im Vaterlande selbst sich nicht von
einem Orte zum andern bewegen konnte, ohne den lästigsten Plackereien ausgesetzt
zu sein, daß man sich an der Grenze jedes Dnodezlandes erst beschnüffeln, ja
wohl gar, gleich dem vom Metzger gekauften Vieh, betasten lassen mußte, daß
man, um von einem deutschen Gan in den andern überzusiedeln, sich selbst beim
besten Rufe gleich einem Vagabunden mit einem Heimathschein und andern theuren
Papieren versehen mußte, daß man, wenn diesem oder'jenem Pvlizeimenschen der
Schnitt der Nase oder die Form des Mundes nicht gefiel, sich ausweisen lassen
mußte und man die Unverschämtheit sogar so weit trieb, daß es Verbannte gab,
die man unter diesem oder jenem Vorwande nicht dulden wollte, so daß sie
nothgedrungen das bittre Brot der Verbannung im Auslande essen mußten, dieses
Alles und noch viel mehr kümmerte unsere Kaufleute durchaus nicht, indem sie
sich allen diesen Plackereien nicht ausgesetzt sahen. Sie waren bei alledem reich
geworden und ihre Söhne und Enkel konnten reich bleiben, wenn das so fortging;
somit mußte jede Veränderung ilMn Furcht einflößen. Hatten sie sich doch nicht
entblödet, selbst von den größten Kalamitäten, ja sogar von der Hungerpest ihre
Procente zu ziehen, indem sie das Getreide immer höher hinaustrieben und dadurch
Tausende zum schauderhaften Hungertode verdammten, da doch Brot für Alle,
ohne ihre fluchwürdige Speculation, dagewesen sein würde.

Freilich gab es auch für diese Leute einen Augenblick des Mißvergnügens,
ja sogar des Schreckens; es war da, wo man ihnen mit Zahlen bewies, daß
durch schlechten Staatshaushalt, durch Vergeudung der Staatseinkünfte, durch


sind, die keine Bedürfnisse, als die Befriedigung rein physischer haben, in der
That anch nichts bei den alten, längst verfaulten Zuständen. Auch lag der Druck
auf ihnen nicht, sondern vielmehr nur auf den höchsten und niedrigsten Schichten
der menschlichen Gesellschaft, indem die erstem unerträgliche moralische, die letztem
physische Leiden zu erdulden hatten. Eben deshalb wurden auch sie die Träger
der Revolution, strebten auch sie allein nach einer für sie nothwendigen Umge¬
staltung der Verhältnisse. Freilich wurden dabei die in der Mitte stehenden Be¬
haglichen, zu ihren: großen Leidwesen, mit in die allgemeine Bewegung hinein-
gerissen; aber von einer wirklichen Begeisterung war bei ihnen selbst dann nicht die
Rede, als es den Anschein dazu hatte. Sie hatten seit Jahrhunderten, zugleich
mit dem vom Vater ans den Sohn überkommenen Vermögen, nnr materielle Be¬
dürfnisse geerbt und dem Moloch des Geldgewinns und Besitzes willig jedes
höhere Bedürfniß, jede edlere Regung zum Opfer gebracht. Mit Entsetzen sahen
sie sich daher in den Strudel der allgemeinen Bewegung hineingerissen, die
ihnen keine größern Geldvorthcilc, wohl aber vielleicht pccnniäre Verluste bringen
konnte.

Daß Geist, Wort und Schrift geknechtet, daß der zur Freiheit geborene
Mensch mit jedem Tage enger in die unerträglichen Schnürstiefel einer Schnüffel-
nnd Spionirpolizei gezwängt wurde, daß man im Vaterlande selbst sich nicht von
einem Orte zum andern bewegen konnte, ohne den lästigsten Plackereien ausgesetzt
zu sein, daß man sich an der Grenze jedes Dnodezlandes erst beschnüffeln, ja
wohl gar, gleich dem vom Metzger gekauften Vieh, betasten lassen mußte, daß
man, um von einem deutschen Gan in den andern überzusiedeln, sich selbst beim
besten Rufe gleich einem Vagabunden mit einem Heimathschein und andern theuren
Papieren versehen mußte, daß man, wenn diesem oder'jenem Pvlizeimenschen der
Schnitt der Nase oder die Form des Mundes nicht gefiel, sich ausweisen lassen
mußte und man die Unverschämtheit sogar so weit trieb, daß es Verbannte gab,
die man unter diesem oder jenem Vorwande nicht dulden wollte, so daß sie
nothgedrungen das bittre Brot der Verbannung im Auslande essen mußten, dieses
Alles und noch viel mehr kümmerte unsere Kaufleute durchaus nicht, indem sie
sich allen diesen Plackereien nicht ausgesetzt sahen. Sie waren bei alledem reich
geworden und ihre Söhne und Enkel konnten reich bleiben, wenn das so fortging;
somit mußte jede Veränderung ilMn Furcht einflößen. Hatten sie sich doch nicht
entblödet, selbst von den größten Kalamitäten, ja sogar von der Hungerpest ihre
Procente zu ziehen, indem sie das Getreide immer höher hinaustrieben und dadurch
Tausende zum schauderhaften Hungertode verdammten, da doch Brot für Alle,
ohne ihre fluchwürdige Speculation, dagewesen sein würde.

Freilich gab es auch für diese Leute einen Augenblick des Mißvergnügens,
ja sogar des Schreckens; es war da, wo man ihnen mit Zahlen bewies, daß
durch schlechten Staatshaushalt, durch Vergeudung der Staatseinkünfte, durch


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[0295] sind, die keine Bedürfnisse, als die Befriedigung rein physischer haben, in der That anch nichts bei den alten, längst verfaulten Zuständen. Auch lag der Druck auf ihnen nicht, sondern vielmehr nur auf den höchsten und niedrigsten Schichten der menschlichen Gesellschaft, indem die erstem unerträgliche moralische, die letztem physische Leiden zu erdulden hatten. Eben deshalb wurden auch sie die Träger der Revolution, strebten auch sie allein nach einer für sie nothwendigen Umge¬ staltung der Verhältnisse. Freilich wurden dabei die in der Mitte stehenden Be¬ haglichen, zu ihren: großen Leidwesen, mit in die allgemeine Bewegung hinein- gerissen; aber von einer wirklichen Begeisterung war bei ihnen selbst dann nicht die Rede, als es den Anschein dazu hatte. Sie hatten seit Jahrhunderten, zugleich mit dem vom Vater ans den Sohn überkommenen Vermögen, nnr materielle Be¬ dürfnisse geerbt und dem Moloch des Geldgewinns und Besitzes willig jedes höhere Bedürfniß, jede edlere Regung zum Opfer gebracht. Mit Entsetzen sahen sie sich daher in den Strudel der allgemeinen Bewegung hineingerissen, die ihnen keine größern Geldvorthcilc, wohl aber vielleicht pccnniäre Verluste bringen konnte. Daß Geist, Wort und Schrift geknechtet, daß der zur Freiheit geborene Mensch mit jedem Tage enger in die unerträglichen Schnürstiefel einer Schnüffel- nnd Spionirpolizei gezwängt wurde, daß man im Vaterlande selbst sich nicht von einem Orte zum andern bewegen konnte, ohne den lästigsten Plackereien ausgesetzt zu sein, daß man sich an der Grenze jedes Dnodezlandes erst beschnüffeln, ja wohl gar, gleich dem vom Metzger gekauften Vieh, betasten lassen mußte, daß man, um von einem deutschen Gan in den andern überzusiedeln, sich selbst beim besten Rufe gleich einem Vagabunden mit einem Heimathschein und andern theuren Papieren versehen mußte, daß man, wenn diesem oder'jenem Pvlizeimenschen der Schnitt der Nase oder die Form des Mundes nicht gefiel, sich ausweisen lassen mußte und man die Unverschämtheit sogar so weit trieb, daß es Verbannte gab, die man unter diesem oder jenem Vorwande nicht dulden wollte, so daß sie nothgedrungen das bittre Brot der Verbannung im Auslande essen mußten, dieses Alles und noch viel mehr kümmerte unsere Kaufleute durchaus nicht, indem sie sich allen diesen Plackereien nicht ausgesetzt sahen. Sie waren bei alledem reich geworden und ihre Söhne und Enkel konnten reich bleiben, wenn das so fortging; somit mußte jede Veränderung ilMn Furcht einflößen. Hatten sie sich doch nicht entblödet, selbst von den größten Kalamitäten, ja sogar von der Hungerpest ihre Procente zu ziehen, indem sie das Getreide immer höher hinaustrieben und dadurch Tausende zum schauderhaften Hungertode verdammten, da doch Brot für Alle, ohne ihre fluchwürdige Speculation, dagewesen sein würde. Freilich gab es auch für diese Leute einen Augenblick des Mißvergnügens, ja sogar des Schreckens; es war da, wo man ihnen mit Zahlen bewies, daß durch schlechten Staatshaushalt, durch Vergeudung der Staatseinkünfte, durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/295>, abgerufen am 26.06.2024.